Gerade ist es richtig in, nach dem Schulabschluss den Schritt zu wagen und Zeit im Ausland zu verbringen: ob im Rahmen von „Work and Travel“, Reisen oder einem Freiwilligendienst. Wie ist es, in einem anderen Land ein ganz neues Leben anzufangen? Ich habe mich für ein freiwilliges Jahr in einem Kibbutz in Israel entschieden und möchte mit meinen Artikeln einen Einblick in diesen neuen und ziemlich aufregenden Lebensabschnitt geben.

Yom HaShoa – Gedenktag für die Opfer der Shoa
Am 12. April war der „Yom HaShoa“ oder auch der „Yom haZikaron laShoa weLaGwura“, ein israelischer Nationalfeiertag und Gedenktag sowohl für die Opfer der Shoa als auch den jüdischen Widerstand.
Die jüdischen Feiertage fangen jeweils am Vorabend an, wenn die ersten drei Sterne zu sehen sind. Der Yom haShoa begann also mit einer Gedenkfeier unserer Einrichtung, bei der am Abend alle zusammenkamen und wir die Geschichte von Aharon Appelfeld gehört haben. Am nächsten Tag sind dann um zehn Uhr im ganzen Land Sirenen ertönt und für zwei Minuten stand so ziemlich alles still – die Menschen bei der Arbeit, die Autos auf der Straße haben angehalten und die Leute sind ausgestiegen, um zwei Minuten lang zu schweigen. Die meisten öffentlichen Einrichtungen blieben geschlossen, im Radio und Fernsehen liefen statt Unterhaltungssendungen Dokumentationen über den Holocaust und Trauermusik.
Das Leben von Aharon Appelfeld
Aharon Appelfeld wuchs seit seiner Geburt 1932 in Czernowitz auf; als er acht Jahre alt war, wurde seine Mutter von rumänischen Antisemiten umgebracht und er wurde zusammen mit seinem Vater in ein Zwangsarbeitslager verschleppt. Er konnte fliehen, versteckte sich in den kommenden Jahren im Wald und arbeitete später auf rumänischen Bauernhöfen. 1944 schloss er sich der Roten Armee an und arbeitete dort als Küchenjunge, 1946 kam er über Italien nach Palästina, wo er Hebräisch lernte und in den kommenden Jahren an der Universität studierte und als Schriftsteller und Professor für hebräische Literatur arbeitete.
Aharon Appelfeld wurde für seine literarischen und akademischen Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet; seine Erzählungen handeln oft von Erinnerungen an seine Kindheit vor der Vertreibung und Verfolgung. Bis zu seinem Tod im Januar diesen Jahres lebte er mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Jerusalem (Wer an seinem Leben und seinem Schaffen interessiert ist: Hierzu findet man auf Youtube mehr; Aharon Appelfeld konnte Deutsch und hat so auch einige Interviews auf Deutsch gegeben).
Reisen in Israel und der West Bank
Im März habe ich mir Urlaubstage genommen, um mit einer Freundin herumzureisen. Wir waren zehn Tage unterwegs und dadurch, dass wir fast ausschließlich getrampt sind, kamen wir ziemlich herum. So waren wir schlussendlich an ganz vielen kleineren oder größeren Stationen; unter anderem in Jerusalem, in der Nähe von Tel Aviv, am Toten Meer, am Roten Meer in Eilat und in Bethlehem, Ramallah und Nablus im Westjordanland. Überall haben uns hilfsbereite Leute mitgenommen; einmal durften wir sogar bei einer Familie zuhause übernachten.

Ramallah
Von den Orten, die wir gesehen haben, war vor allem Ramallah sehr eindrucksvoll. Als wir von Jerusalem aus den arabischen Bus über die Grenze genommen haben, sind wir hinter dem Checkpoint schon in eine ganz andere Welt eingetaucht. In Ramallah war der Verkehr ziemlich chaotisch, die Infrastruktur zum Teil ganz schön schlecht dafür, dass Ramallah de facto ja die Hauptstadt des Staates Palästinas ist. Wir haben unsere Zeit damit verbracht, durch die Straßen und den Gemüsemarkt zu laufen und uns das „Dar Zahran Heritage Building“ anzuschauen. Letzteres ist ein 250 Jahre altes Familien- und Rathaus, welches heute als Ausstellungsraum für traditionelles palästinensisches Familien- und Stadtleben und teilweise auch als Galerie für Künstler dient. Der Besitzer hat uns Besucher nicht nur hereingelassen, sondern direkt zum Kaffee trinken eingeladen.
Im Gespräch mit ihm und anderen Ladenbesitzern in der Stadt haben wir mehr über das Leben unter der Besetzung erfahren und wieder realisiert, wie geprägt wir von unserer europäischen bzw. westlichen Sicht sind. Ich war auch ein bisschen schockiert davon, wie gut ich die Situation zwischen Israel und Palästina ausblenden kann, so lange ich in meinem kleinen Kibbutz fernab der Grenze zum Westjordanland lebe. Ich habe das Gefühl, je mehr ich erfahre, desto verwirrter werde ich und wie viel ich mich auch informiere, ich kann niemals ganz objektiv auf den Konflikt schauen. Ich fühle mich immer weniger befugt dazu, einen persönlichen Standpunkt zu beziehen. Wer mehr über die Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten erfahren möchte, findet auf der Webseite der OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Infomaterial, darunter Karten und Statistiken.

Vielfalt in Israel
Was mir das Reisen vor Augen geführt hat, ist die Vielseitigkeit dieses Stückchens Erde, auf dem ich mich gerade befinde. Man kommt mit dem Auto in sechs Stunden von Eilat an der südlichen Spitze bis ganz in den Norden an die Grenze zum Libanon und Syrien. Auf dem Weg sieht man verschiedene Klimazonen, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Religionen. Während man auf dem Mount Hermon im Norden im Winter Ski fahren kann, erstrahlt unsere Region, Galiläa, in sattem Grün und die Pflanzen wuchern regelrecht, in der Wüste hingegen ist es karg und heiß. Während wir im Norden unbesiedelte und unberührte Natur suchen, fühlt man sich in der Negevwüste einsam und ganz klein und ist zeitweise ziemlich froh, wenn man ein Zeichen von Zivilisation und Wasser findet.
Und irgendwie sind alle diese Orte auf ihre Weise Israel. Ein allumfassendes Bild lässt sich meiner Meinung nach über dieses Land gar nicht bilden; wir können zu unserem Mosaik nur ein kleines Steinchen hinzufügen.
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