Nicaragua, Portugal, Israel – es ist egal, wo sie sind, solange sie Laptop und Internet haben. Immer mehr Deutsche wollen unabhängig sein und bauen sich ein Leben als Digitale Nomaden auf. Drei von ihnen zeigen, wie das Arbeitsleben heute aussehen kann.
Christine Hasebrink (39) sitzt an ihrem Arbeitstisch und tippt E-Mails auf ihrem Laptop. Möwenkreischen hallt von draußen in das Büro, die Klimaanlage surrt auf Hochtouren. Aus dem Fenster blickt Christine auf das seichte Wasser des Douro-Flusses und auf die Altstadt von Porto, Portugal. Nicht nur die Kulisse, auch das Büro ist ungewöhnlich – es ist ein CoWorking-Space, ein Gemeinschaftsbüro. Christine, die eigentlich aus dem Ruhrgebiet kommt, hat ihren Arbeitsplatz hier nur für einige Wochen angemietet. Ihre Kollegen: Menschen aus aller Welt, die keinen festen Arbeitsort haben. Um ihren Job zu machen, brauchen sie nicht mehr als einen Laptop und Internet. Menschen wie Christine – Digitale Nomaden. Sie treffen sich täglich im Büro, dennoch hat jeder seinen eigenen Job und arbeitet für sich. Was sie verbindet, ist die Liebe zur Unabhängigkeit.
Und genau das ist auch der Grund, weshalb Christine vor über zwei Jahren Familie, Beruf und Freunde zurückließ und sich selbstständig machte. Jetzt tüftelt sie Marketing-Konzepte für Sprachschulen, Apotheken und Künstler aus. „Ich möchte mir die Umgebung, in der ich arbeite, einfach selbst aussuchen“, sagt sie. Und das ist momentan Porto, wo sie bei einer einheimischen Familie über Airbnb lebt. Heimweh hat sie trotzdem manchmal – „nicht oft, aber wenn zum Beispiel meine kleine Nichte krank ist, wäre ich schon gerne bei ihr.“ Ihren Lebensstil würde sie deswegen aber trotzdem nicht aufgeben, denn am wohlsten fühlt sich Christine bei Sonne, Sand und Meer.
Die Sehnsucht nach Selbstbestimmung wächst
Christine ist eine von vielen, die in den vergangenen Jahren nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Leben in Deutschland gekündigt haben und jetzt auf Reisen leben. Digitales Nomadentum nennt sich der aufsteigende Lebensstil. Seine Vertreter arbeiten in digitalen Jobs, häufig selbstständig, leben aus der Reisetasche und sind ortsunabhängig. Der Trend wächst – genau wie die Möglichkeiten in der heutigen Arbeitswelt und der Wunsch nach Selbstbestimmung in der Gesellschaft.
Selbst bestimmen – das wollte auch Tobias Neuhofer* (34). Er war zwölf Jahre als Sicherheitsinformatiker bei der Bundeswehr. Heute arbeitet er als Hacker und reist nebenbei durch die ganze Welt. Afghanistan, Pakistan, Israel – durch seine Zeit bei der Bundeswehr war Tobias schon immer viel unterwegs und nachdem er ausgedient hatte, wollte er das nicht aufgeben. Die ersten Jobs bekam er direkt über ehemalige Kollegen vermittelt, heute bekommt er seine Aufträge durch Mundpropaganda. Um Sicherheitslücken aufzudecken, hackt sich Tobias in Regierungsnetzwerke, Flugzeuge und Handys. Ob er dabei am Strand von Tel Aviv oder in den schottischen Highlands sitzt, entscheidet er nach Lust und Laune. Schon während seiner Bundeswehrzeit arbeitete Tobias lieber draußen an einem schönen Ort. Und da er gerne in fremde Länder eintaucht, war Digitales Nomadentum die beste Arbeitsform für ihn.
Und er hat viele Gleichgesinnte. Wie viele Menschen tatsächlich als Digitale Nomaden leben, lässt sich jedoch kaum nachvollziehen, da der Begriff nicht klar eingegrenzt ist. Dennoch zeigen die Unmengen an Angeboten, dass es viele sein müssen. Organisierte Kreuzfahrten für Digitale Nomaden, Konferenzen und Ratgeberbücher poppen überall in der Welt auf. Dass das Digitale Nomadentum besonders in den vergangenen Jahren boomt, ist kein Zufall. Die Internet-Infrastruktur entwickelt sich schnell, technische Geräte werden immer besser und Online-Banking ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Der technische Fortschritt macht das flexible Arbeiten möglich
Dem Trend ist auch Juliette Leufke (25) gefolgt. Ende 2015 bemerkte sie, dass sie in Deutschland keine gute Balance zwischen Leben und Arbeit fand: „Ich war nur noch gestresst und konnte nur noch an Arbeit denken.“ Kurzerhand kündigte sie ihren Job als Softwareentwicklerin bei einem Großunternehmen. Freunde und Familie unterstützten Juliette dabei, ihr Unternehmen als Werbeentwicklerin auf Bali aufzubauen. Fast ein Jahr lang pendelte sie zwischen Bali und Singapur und reiste dann für mehrere Monate durch Zentralamerika oder Europa.
Viel mitnehmen kann sie dabei nicht. Ihr komplettes Eigentum passt in zwei Koffer – dafür hat sie die Freiheit zu arbeiten und zu leben, wo sie will. Das Alleine-Sein macht ihr nichts aus – „dafür ist man gemacht oder man ist es nicht“, sagt Juliette. Auf Reisen lernt sie ständig neue Freunde kennen und weiß, dass sie sich nur für kurze Zeit sehen werden. Diese Verabschiedungen sind zwar traurig, aber über die digitale Welt ist es einfach in Kontakt zu bleiben.
„Wir brauchen keine räumliche Nähe mehr, um soziale Kontakte zu pflegen, deswegen können wir theoretisch überall sein“, sagt Dr. Peter Wippermann, Trendforscher im Trendbüro Hamburg. Das mache es vielen Menschen möglich ortsunabhängig zu leben und biete viele Freiheiten. Dass sich die Freiheit des ortsunabhängigen Arbeitens in Zukunft noch mehr Menschen nehmen wollen, davon geht Peter Wippermann fest aus, da der Wunsch nach Selbstbestimmung und Individualität wachse. Grund für die zahlreichen Digitalen Nomaden sind laut ihm der starke Drang nach Individualität in der deutschen Gesellschaft und die überragenden technischen Möglichkeiten, die die Kommunikation einfach machen.
Ihre Selbstbestimmung aufzugeben kommt für Christine Hasebrink auch in Zukunft nicht infrage, ihr reicht es hin und wieder für zwei Woche nach Deutschland zurück zu kommen. Sie genießt es nach einem anstrengenden Arbeitstag noch die Füße ins Meer zu strecken und im Sand zu vergraben. „Aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt“, sagt Christine „ich habe aufgehört zu planen.“
* Name geändert
IW
Was ich schon immer mal wissen wollte: Wo zahlt der digitale Nomade eingentlich seine Steuern? im Herkunftsland, aktuellen Aufenthaltsort, Land des Arbeitgebers/Auftraggebers – oder ist diese Frage jetzt indiskret?
Ich stelle auf alle Fälle mit meinen Steuern die Infrastruktur eines Landes mit zur Verfügung und Andere in anderen Steuerzahler in ihren Ländern
Daniel
Dieser Artikel bestätigt absolut meine Ansichten.
Auch ich habe vor einmal von egal wo zu arbeiten.
Mich würde das auch mal mit den Steuern interessieren, wäre gut zu wissen.
LG Daniel