PEOPLE PLEASING
Es allen recht zu machen, macht dich unglücklich – so findest du den Mut, Nein zu sagen.
Wir alle kennen es: Man sagt „Ja“, obwohl man „Nein“ meint, um Konflikte zu vermeiden oder anderen zu gefallen. Dieser ständige Drang, es allen recht machen zu wollen, nennt sich People Pleasing – und das macht uns auf Dauer unglücklich. In diesem Artikel geht es darum, wie du lernst, Grenzen zu setzen, für dich einzustehen und Selbstliebe zu entwickeln.
Der Drang, es allen recht zu machen
Kennst du das? Du bekommst eine Nachricht von einem Freund oder Freundin und fühlst dich sofort verpflichtet, schnell zu antworten, obwohl du eigentlich Zeit für dich selbst brauchst. In deiner Beziehung sagst du selten, was dich wirklich stört, aus Angst vor Konflikten. Vielleicht erwarten deine Eltern, dass du immer verfügbar bist und zu jedem Familienevent erscheinst, auch wenn du dich dabei gestresst fühlst. Und dann gibt es diese Einladungen zu Partys oder Veranstaltungen, auf die du eigentlich keine Lust hast, aber zusagst, weil du nicht als langweilig gelten möchtest. Kommt dir das bekannt vor?
Warum uns People Pleasing und Glaubenssätze daran hindern, Nein zu sagen
Viele von uns haben das Bedürfnis, es allen recht zu machen – das nennt sich People Pleasing. Wir sagen Ja, um andere nicht zu enttäuschen, gemocht zu werden oder Konflikte zu vermeiden. Oft steckt dahinter die Angst, abgelehnt zu werden oder nicht dazuzugehören. Vielleicht hast du gelernt, dass du nur dann Anerkennung bekommst, wenn du anderen entgegenkommst. Aber dieses Verhalten kann auf Dauer dazu führen, dass du dich selbst aus den Augen verlierst und deine eigenen Bedürfnisse unterdrückst.
Unsere tief verwurzelten Glaubenssätze, wie ‘Ich muss immer gefallen, um gemocht zu werden’, treiben uns oft in das People Pleasing. Diese Überzeugungen lenken unser Verhalten und machen es schwer, Grenzen zu setzen.“
Ein Grund dafür ist der soziale Druck: In Freundesgruppen, bei der Arbeit oder in der Familie fühlen wir uns oft verpflichtet, die Erwartungen der anderen zu erfüllen, damit wir dazugehören. Auch Prägungen aus der Kindheit spielen eine Rolle. Vielleicht wurdest du als Kind dafür gelobt, wenn du brav warst und dich angepasst hast und bestraft, wenn du laut wurdest und deinen Bedürfnissen nachgegangen bist. Solche frühen Erfahrungen prägen uns oft tief und beeinflussen, wie wir als Erwachsene handeln.
Ein weiterer Faktor ist die Angst vor Ablehnung. Wir fürchten uns, nicht mehr gemocht zu werden oder als unfreundlich zu gelten, wenn wir Nein sagen. Und natürlich gibt es noch die Konfliktvermeidung. Viele von uns hassen es, in Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, und denken, es sei einfacher, einfach Ja zu sagen, um Streit zu vermeiden – selbst wenn wir innerlich anderer Meinung sind.
Warum People Pleasing auf Dauer ungesund ist
Allerdings hat dieses Verhalten seinen Preis. Indem wir ständig versuchen, es allen recht zu machen, verlieren wir uns selbst aus den Augen. Unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche bleiben auf der Strecke, und das führt auf Dauer zu innerer Unzufriedenheit. People Pleasing kann uns erschöpfen, weil wir uns immer wieder in Situationen begeben, die uns nicht gut tun. Statt auf uns selbst zu hören, passen wir uns den Erwartungen anderer an – und das hinterlässt Spuren, sowohl mental als auch emotional.
Wenn wir uns ständig anpassen und uns nie trauen, Nein zu sagen, fangen wir an, uns selbst zu vernachlässigen. Das Gefühl, nicht genug für uns selbst einzustehen, kann zu einem schwachen Selbstwertgefühl führen und den Stresspegel dauerhaft erhöhen. Auf lange Sicht kann es sogar zu Burnout oder anderen psychischen Belastungen kommen, weil wir uns selbst immer wieder hinten anstellen.
Glaubenssätze: Der innere Richter, der dich verurteilt
Stell dir vor, in deinem Kopf gibt es einen inneren Richter. Dieser Richter wurde durch all die Regeln, Überzeugungen und Erwartungen geprägt, die du im Laufe deines Lebens gelernt hast – von deinen Eltern, Lehrern, Freunden und der Gesellschaft. Der innere Richter bewertet ständig dein Verhalten und sagt dir, ob du „gut genug“ bist oder nicht. Jedes Mal, wenn du dich nicht an die ungeschriebenen Regeln hältst, klagt er dich an.
Vielleicht hast du den Glaubenssatz: „Ich darf niemanden enttäuschen.“ Dein innerer Richter tritt auf den Plan, wenn du versuchst, Nein zu sagen, und flüstert dir ins Ohr: „Was denken die anderen von dir? Sie werden dich ablehnen, wenn du Nein sagst.“ Diese ständigen Urteile beeinflussen, wie du dich verhältst und oft zwingen sie dich dazu, den Erwartungen anderer zu folgen, selbst wenn es gegen deine eigenen Bedürfnisse geht.
Aber dieser Richter hat nicht immer recht. Er basiert auf alten Überzeugungen, die oft nicht einmal der Realität entsprechen. Vieles von dem, was er dir sagt, ist nur eine Ansammlung von Glaubenssätzen, die dir in der Vergangenheit vielleicht geholfen haben, dich anzupassen, jetzt aber dazu führen, dass du dich selbst vernachlässigst.
Um den inneren Richter zu entmachten, musst du diese alten Glaubenssätze hinterfragen. Frag dich: „Ist es wirklich so schlimm, Nein zu sagen? Was passiert, wenn ich meinen eigenen Bedürfnissen folge?“ Je öfter du diese Überzeugungen überprüfst, desto schwächer wird der innere Richter und desto mehr kannst du dich von seinen Urteilen befreien.
Hier beginnt die Reise zur Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Indem du dich von den ständigen Urteilen deines inneren Richters löst, machst du Platz für Selbstliebe. Selbstliebe bedeutet, dass du dich selbst mit all deinen Stärken und Schwächen annimmst – ohne dich ständig zu verurteilen. Du erkennst, dass du es verdienst, gut zu dir selbst zu sein, und dass du genauso wertvoll bist, wenn du deine eigenen Bedürfnisse priorisierst. Selbstakzeptanz ist der Mut, zu sagen: „Ich bin genug, so wie ich bin“ – auch wenn das bedeutet, manchmal Nein zu sagen und Grenzen zu setzen.
Gewaltfreie Kommunikation: Bedürfnisse klar ausdrücken
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Selbstliebe und Selbstakzeptanz ist, deine eigenen Bedürfnisse klar und einfühlsam auszudrücken – das ist das Herzstück der Gewaltfreien Kommunikation (NVC). Oft haben wir Angst, dass ein Nein oder das Ausdrücken unserer Wünsche zu Konflikten führen könnte. Doch mit dem Prinzip der NVC lernst du, deine Bedürfnisse ohne Schuldzuweisungen zu kommunizieren und gleichzeitig die Bedürfnisse der anderen anzuerkennen.
Die Gewaltfreie Kommunikation basiert auf vier Schritten:
- Beobachtung: Du teilst mit, was du ohne Bewertung oder Urteil wahrnimmst. Zum Beispiel: „Ich habe bemerkt, dass du mich gefragt hast, ob ich an dem Wochenende Zeit habe.“
- Gefühle: Du drückst aus, was du dabei fühlst. „Ich fühle mich gestresst, weil ich das Gefühl habe, dass ich immer Ja sagen muss.“
- Bedürfnisse: Du machst klar, welches Bedürfnis hinter deinem Gefühl steht. „Ich brauche etwas Zeit für mich selbst, um mich zu erholen.“
- Bitte: Schließlich formulierst du eine konkrete, erfüllbare Bitte. „Wäre es okay, wenn wir ein anderes Mal etwas zusammen unternehmen?“
Durch diese Art der Kommunikation kannst du authentisch Nein sagen und gleichzeitig respektvoll und verbindend bleiben. Du machst deine Bedürfnisse sichtbar, ohne dabei Schuldgefühle zu erzeugen – weder bei dir noch bei der anderen Person. Diese Methode hilft dir, Grenzen zu setzen, ohne dabei Konflikte zu fürchten, und stärkt so dein Selbstwertgefühl und deine Selbstliebe.
Fazit: Selbstliebe beginnt mit einem „Nein“
Am Ende des Tages ist Nein zu sagen kein Akt der Ablehnung gegenüber anderen, sondern ein Akt der Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Es bedeutet, dass du deine eigenen Bedürfnisse genauso wichtig nimmst wie die der Menschen um dich herum. Indem du lernst, deine Grenzen zu setzen, gibst du dir selbst den Raum, authentisch zu sein und deinen eigenen Weg zu gehen – ohne Schuldgefühle.
Mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation kannst du deine Bedürfnisse klar und respektvoll ausdrücken, ohne andere vor den Kopf zu stoßen. Diese Methode hilft dir, ehrlich zu dir selbst zu sein, ohne Angst vor Ablehnung oder Konflikten. Du wirst merken, dass das Nein sagen eine Stärke ist, die dein Selbstwertgefühl stärkt und dir erlaubt, deine Beziehungen auf gesunde Weise zu gestalten.
Selbstliebe beginnt genau in diesen Momenten, in denen du dich dafür entscheidest, dich selbst nicht zu vergessen – in den kleinen und großen Neins, die dich auf den Weg bringen, dich selbst mehr zu respektieren und zu lieben.
Persönliche Geschichte: Wie ich lernte, Nein zu sagen
Auch ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass Nein sagen nichts mit Ablehnung zu tun hat, sondern mit Selbstfürsorge. Besonders im Freundeskreis fiel es mir schwer, Verabredungen abzusagen, wenn ich merkte, dass ich keine Kraft oder Lust hatte. Am Anfang dachte ich, dass es an mir lag – vielleicht Stimmungsschwankungen oder Unzuverlässigkeit. Erst später habe ich erkannt, dass es völlig normal ist, sich manchmal einfach nicht in der richtigen Verfassung zu fühlen.
Ich erinnere mich an einen Wendepunkt in meinem Leben, der mir deutlich gemacht hat, wie sehr ich mich selbst zugunsten anderer vernachlässigt habe. In einer wichtigen Beziehung in meinem Leben habe ich so viel gegeben und mich angepasst, dass ich irgendwann das Gefühl hatte, mich selbst zu verlieren. Ich dachte, dass ich durch das ständige „Ja sagen“ Anerkennung und Liebe erhalten würde, aber am Ende blieb das Gefühl, dass ich meine eigenen Bedürfnisse völlig ignoriert hatte.
Als diese Beziehung endete, hatte ich plötzlich niemanden mehr, für den ich mich aufopfern konnte. Ich fühlte eine Leere, weil mir die Bestätigung fehlte, die ich durch mein Handeln für andere gesucht hatte. Das war der Moment, in dem ich erkannte, dass ich anfangen musste, mich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und nicht immer die Erwartungen der anderen zu erfüllen.
Mit der Zeit wurde es für mich leichter, ehrlich zu mir selbst und meinen Freunden zu sein. Ich weiß jetzt, dass ein Nein zu einer Verabredung kein Nein zu meinen Freunden ist, sondern ein Ja zu mir selbst. Diese Ehrlichkeit hat nicht nur mir geholfen, sondern auch meinen Freundschaften gutgetan. Meine Freunde wissen heute, dass ich wirklich Lust habe, mich zu treffen, wenn ich zusage – und das schafft Vertrauen.
Besonders schwer fällt es mir aber immer noch in der Beziehung zu meinen Eltern. Wenn sie mich um Hilfe bitten oder einfach nur telefonieren wollen, ertappe ich mich oft dabei, dass ich versuche, es ihnen recht zu machen, selbst wenn ich gerade keine Zeit oder Energie habe. Hier hat mir die Gewaltfreie Kommunikation sehr geholfen. Inzwischen fragen meine Eltern oft nach, ob es mir wirklich passt – und sie geben mir damit die Freiheit, ehrlich zu mir selbst zu sein.
Eine Methode, die mir besonders geholfen hat, ist es, nicht sofort Ja oder Nein zu sagen. Stattdessen frage ich oft, ob es okay ist, wenn ich die Entscheidung spontan treffe. Das gibt mir die Freiheit, auf meine aktuelle Energie und Lust zu hören und hilft mir, unnötigen Druck zu vermeiden. Diese Flexibilität ermöglicht es mir, ehrlich zu bleiben, ohne mich verpflichtet zu fühlen, sofort eine Entscheidung zu treffen.
Und genau das ist es: Ein Nein zu anderen kann das größte Ja zu dir selbst sein.
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