Europa und Asien rücken im Zuge jüngster Ereignisse näher zusammen und es werden nur wenige bestreiten, dass diese Entwicklung Länder wie Menschen auf lange Sicht prägen wird. Der erste Teil einer Kolumne darüber, wie Ost und West voneinander profitieren können.

„Die Welt ist im Wandel“, beginnt eines der berühmtesten Zitate aus den „Herr der Ringe“-Filmen, gesprochen von Saruman, dem verräterischen Zauberer. Derzeit kommen mir diese Worte oft in den Sinn, wenn ich die Tageszeitungen lese. Jüngster Anlass war Chinas neues Jahrhundertprojekt des Seidenstraßengürtels, quasi die milliardensubventionierte Wiederbelebung einer uralten Handelsroute, die Asien und Europa schon in der Antike miteinander verband.
Tatsächlich beeinflusst der asiatische Raum uns Europäer bereits stärker, als wir es vielleicht erahnen. Dabei ist es nicht nur der sprichwörtliche Sack Reis, dessen Umfallen die Aktienmärkte in den vergangenen Jahrzehnten zu fürchten lernten. Jahr für Jahr kommen Millionen Touristen aus dem fernen Osten nach Europa, welche die gesammelten Eindrücke aus unserer Kultur mit nach Hause nehmen. Wenn man nun eines aus der Geschichte lernen kann, dann, dass Kulturaustausch keineswegs einseitig stattfindet. Die Notwendigkeit, mit unseren asiatischen Handelspartnern in stetigem Kontakt zu bleiben, führt bereits jetzt zu einem stark wachsenden Angebot entsprechender Studienfächer, wie es etwa die HTWG in Konstanz oder die Universität in Passau führen. Das Ausbildungsangebot im dualen Studium des Auswärtigen Amtes umfasst sogar nicht weniger als drei von sieben beworbenen Sprachen aus dem asiatischen Raum, fünf wenn man Arabisch und Russisch dazu zählt. Dass wir in unserem Alltag zu einem Großteil nur noch auf asiatische Produkte zurückgreifen, muss sicherlich gar nicht mehr weiter erläutert werden.
Was aber sollten wir im Zuge der immer enger werdenden Verbindungen nach Fernost berücksichtigen? Gibt es tatsächlich Dinge, die wir noch von den Ländern des asiatischen Kontinents lernen können? Und ab welchem Punkt laufen wir Gefahr unsere Identität aufzugeben?
Dynamischer Wirtschaftsraum Asien
Man mag den großen Märkten Asiens in Sachen Lohndumping und Arbeitsbedingungen so manches vorwerfen können, Stagnation und ein Mangel an Kreativität gehören jedoch sicherlich nicht dazu. So gilt die Volksrepublik China schon lange nicht mehr als bloßes Nest der Patentdiebstahl-Mafia. Mit Investitionen in die Nanotechnologie und umweltfreundliche Energieträger droht die Volksrepublik jetzt schon den USA ihren Rang abzulaufen. Südkoreanische Wissenschaftler revolutionieren unterdessen die Genforschung und bauen ihr mobiles Datennetz selbst in den ländlichsten Regionen aus. Im Süden machen Vietnam, Malaysia und die Philippinen mit traumhaften Wachstumsraten und dem Erschließen ungeahnter Rohstoffe auf sich aufmerksam; während die von China ausgelagerte Billigproduktion der Arbeitslosigkeit in Kambodscha und Laos entgegenwirkt. Selbst die Idee einer (südost-)asiatischen Wirtschafts- und Zollunion nach europäischem Vorbild ist durch die Gründung der ASEAN seit einigen Jahrzehnten in Entwicklung. Asien ist kurz gefasst eine wirtschaftlich hochdynamische Region. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Präsenz der beiden Konzepte des sogenannten Guan Xi und der Selbstorganisation von Kleinbetrieben im wirtschaftlichen Alltag, auf die ich im Folgenden eingehe.

Guan Xi
Guan Xi, aus dem Chinesischen am ehesten mit „Gefälligkeit“ oder „Beziehung“ zu übersetzen, bildet insbesondere in der Volksrepublik China die Quintessenz bei Vertragsschlüssen und stellt nebenbei auch eines der größten Hindernisse für europäische Investoren dar. Gemäß der Übersetzung meint Guan Xi ein Netzwerk aus Geschäftspartnern, die in der Regel mündliche Verträge schließen, in denen es um den Austausch von Gefälligkeiten geht. Die Einhaltung beruht auf gegenseitigem Vertrauen und einem Feingespür für die angemessene Erwiderung bestimmter Gefälligkeiten (hierbei sei noch einmal die Problematik für europäische Investoren hervorgehoben).
Die Art der dabei verhandelten Dienstleistungen kann so ziemlich alles beinhalten: Von der Lieferung von Naturalien an einen Stehimbiss bis hin zur Vermittlung an Banken und Großunternehmen. Trotz der aus europäischer Sicht fragilen Rechtsgrundlage – in Deutschland käme wohl kein Konzern auf die Idee, ohne schriftliche Rückversicherung Geschäfte zu machen – funktioniert Guan Xi in den allermeisten Fällen reibungslos und wird, vielleicht als ungewolltes Importprodukt chinesischer Kaufleute, auch in weiten Teilen Südostasiens praktiziert. Im europäischen Verständnis grenzt Guan Xi dagegen haarscharf an Korruption und es kann keinesfalls bestritten werden, dass die Grenzen nicht fließend wären. Auch gilt sie als einer der Hauptgründe dafür, dass sich die organisierte Kriminalität Asiens mühelos mit einer legal kaufmännischen Fassade tarnen könne. Andererseits ermöglicht Guan Xi nicht nur ein großes Maß an Spontanität, sondern auch die Förderung innovativer Ideen, die unter anderen Umständen erst gar keine finanzielle Hilfe erhalten hätten.

Die Kleinbetriebe
Dass Not den Menschen erfinderisch macht, beweisen vor allem im südostasiatischen Raum eine große Anzahl kleiner Betriebe, die den alltäglichen Bedarf der Bevölkerung decken. Jedem Asienreisenden sind die Straßenzüge voller Garküchen, kleiner Werkstätten und Getränkeverkäufern ein bekanntes Bild und so mancher fragt sich, ob diese zu den ebenfalls fest etablierten größeren Unternehmen nicht in Konkurrenz stehen. Tatsächlich koexistieren Groß- und Kleinbetriebe in diesen Ländern seit Jahrzehnten nebeneinander, was in erster Linie auf die verschiedenen Kundenkreise zurückzuführen ist. Wir alle kennen das unbehagliche Gefühl vor jeder TÜV-Prüfung, wenn man im Kopf bereits die Rechnung anstehender Reparaturen kalkuliert. Wie angenehm wäre es dagegen zur nächsten Werkstatt fahren zu können, die zwar qualitativ minderwertige Ersatzbauteile liefert, dafür aber die Preise der Zahlungskraft ihres Kundenkreises anpasst. Zugegeben, alleine aus umweltbedingten Gründen wäre dieses System in Deutschland undenkbar. Auch diverse Sicherheitsstandards entsprechen in einigen asiatische Ländern, vorsichtig formuliert, nicht unbedingt dem europäischen Maßstab.
Weitaus offener könnten wir dagegen bei den sogenannten Garküchen sein, die in Asien regelmäßig von Büroangestellten und Bauarbeitern besucht werden. Das Essen ist im Wok, einer stark gewölbten Pfanne, schnell hergerichtet und beinhaltet im Prinzip alles was der Körper benötigt: Proteine, Kohlenhydrate und Vitamine. Preise und Qualität regulieren sich aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks von selber, wer mit schlechten Lebensmitteln kocht wird morgen keine Kunden mehr haben.

Lizenzen für Standorte werden nicht bei den Behörden, sondern bei den Hausbesitzern an den genutzten Bürgersteigen vergeben, oft gegen eine Beteiligung an den Einnahmen. Größere Restaurants erfahren trotz des großen Andrangs in den Garküchen kaum einen Nachteil, da diese eher zu bestimmten Anlässen statt einer schnellen Pausengelegenheit aufgesucht werden. Mitunter sind es solche Kleinbetriebe, die für ein hohes Bruttoinlandsprodukt sorgen. Die Einnahmen bleiben nämlich letztlich im inländischen Geldfluss – anders als bei diversen Fastfood-Ketten, die nicht nur enorme Steuerbegünstigungen erfahren, sondern die Gewinne aller Regel nach auch noch ins Ausland transferieren.
Das Schnallen des eurasischen Wirtschaftsgürtels von Lissabon bis Tokyo wird über kurz oder lang in Europa zu medienwirksamen Debatten über die Einflüsse aus dem asiatischen Raum führen. Neue Konzepte und Ideen werden von innovativen Menschen entworfen, die dem europäischen wie auch asiatischen Erscheinungsbild ihren Stempel aufdrücken. Dass sich dieser anbahnende Kultur- und Ideenaustausch nicht nur auf die Wirtschaft beider Kontinente beschränkt, wird im zweiten Teil der Reihe „Orient küsst Okzident“ erläutert.
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