Unsere Autorin hat ein Interview mit einer jungen Frau geführt, die unter jahrelangem narzisstischem Missbrauch lebte. Cora* berichtet von ihrer Geschichte und wie sie mutige Schritte in ein selbstbestimmtes Leben ging.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert
In diesem Beitrag geht es um psychische Störungen. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende findest du mögliche Hilfsinrichtungen. Wenn du einen Kommentar schreiben möchtest, freue ich mich riesig.
Frieda: „Liebe Cora, du hast ein Thema mitgebracht, das dir auf dem Herzen liegt. Es hört sich sehr schwer an und ist für mich selbst erst mal nicht greifbar. Es geht um narzisstischen Missbrauch. Magst du erklären, was das ist?“
Cora: „Zuerst einmal danke für unser Gespräch. Vorab möchte ich klarstellen, dass ich nicht über dieses Thema spreche, um Mitleid zu erregen oder eine Opferrolle einzunehmen. Mir geht es darum, aufzuklären, um anderen Betroffenen eine mögliche Hilfestellung zu geben. Ich kann dir auch keine klare Definition liefern, sondern eher beschreiben, wie und was ich erlebt habe.“
Frieda: „Woher wusstest du denn, dass du von narzisstischem Missbrauch betroffen bist?“
Cora: „Ich wusste es sehr lange nicht und bin auch nicht selbst darauf gekommen. Ich habe meine Kindheit und Jugend als normal empfunden. Trotzdem hatte ich, als Kind, schon Todeswünsche, Depressionen, Stimmungsschwankungen, Selbstverletzungen und lebte stark zurückgezogen. Später fand ich nie richtig ins Leben. Auch hatte ich sehr oft Probleme mit anderen Menschen.“
Frieda: „Wie wurde dann die Brücke zum narzisstischen Missbrauch geschlagen?“
Cora: „Später, im Erwachsenenalter, entdeckte ich an mir selbst narzisstische Züge, auf die ich immer wieder angesprochen wurde. Ich konnte das selbst sehr schwer nachvollziehen, warum ich manchmal so abstoßend und herablassend zu anderen Menschen sein konnte. In der therapeutischen Entdeckungsreise lüfteten wir das Geheimnis, dass ich selbst jahrelang unter narzisstischem Missbrauch gelebt hatte, ohne es zu bemerken. Auch hatte ich später eine Beziehung mit einem Menschen, der mir zwar mitteilte, dass er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung habe, aber ich wollte das nicht glauben.“
Frieda: „Nimm mich bitte da mal mit rein. Mir fällt das schwer zu verstehen, warum du das nicht glauben wolltest.“
Cora: „Ja, das hört sich wirklich abgefahren an, aber für mich war es fast normal so behandelt zu werden, sodass ich es nicht hinterfragte.“
Frieda: „Gibt es so typische narzisstische Verhaltensweisen?“
Cora: „Ich weiß nicht, ob das typisch ist. Ich kann nur berichten, wie ich es erlebte. Alles, was ich sagte, wurde entweder kritisiert, ins Lächerliche gezogen oder verbessert. Wenn ich mich mal traute, wütend zu sein, wurden mir verschiedene Blickwinkel aufgedrängt, wie ich mein Problem anders sehen könnte. Ich wurde mit Aussagen konfrontiert wie: „Hast du wirklich geglaubt, dass du…“ „Jetzt denkst du gerade, richtig schlau zu sein, oder?“ Meistens ist das mit einem sarkastischen, dunklen Unterton untermalt und führt in eine Art Gedanken- und Wahrnehmungsverdrehung. Meistens wusste ich gar nicht mehr, was ich glauben sollte. Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Fast immer war ich sehr gehorsam und offenbarte nicht, was ich wirklich dachte. Ich spielte alles mit, denn ich hatte sehr große Angst, von ihm verlassen zu werden.“
Frieda: „Das heißt, du hast dich zu ihm so hingezogen gefühlt, sodass du dir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konntest?“
Cora: „Ja, genau. Ich hatte nie richtig gelernt, selbst mein Leben zu leben. Ich war es gewohnt, unter der Haube anderer Menschen zu leben.“
Frieda: „Wie ging das mit der Beziehung weiter?“
Cora: „Ich vertraute mich Freunden an und berichtete ein wenig von der Problematik. Sie haben sofort reagiert und mir geraten, die Beziehung zu beenden.“
Frieda: „Da gab es aber noch die Verlustängste. Eigentlich wolltest du ihn ja nicht verlassen, richtig?“
Cora: „Ja, richtig. Aber ich hatte zu dieser Zeit eine Therapeutin, mit der ich sprechen konnte und die enge Beziehung zu meinen Freunden und so beende ich die Beziehung schlagartig und ließ alles stehen und liegen.“
Frieda: „Hat das alles so reibungslos geklappt?“
Cora: „Nein. Es gab immer wieder Manipulationen und einen erneuten Versuch, die Beziehung wieder aufzunehmen. Aber nach dem Beziehungsende ist auch wie eine kleine Pflanze in mir gewachsen. Ich spüre auf einmal wieder Lebenskraft und Freude. Das nutzte ich dafür, mein eigenes Leben zu suchen.“
Frieda: „Das heißt, obwohl die Verlustängste da waren, spürtest du eine Art Erleichterung und Freude darüber, endlich deine eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen und sie so gut, es geht, zu erfüllen?
Cora: „Ja, genau. So schnell ging das aber natürlich alles nicht. Es begann eine lange Therapiephase für mich und Stück für Stück erkannte ich, dass ich unter psychischem und emotionalem Missbrauch aufgewachsen war. Was noch viel besser war, dass ich Versöhnung erlebte mit meiner Lebensgeschichte.“
Frieda: „Wie ist das geschehen?“
Cora: „Ich habe mich jahrelang selbst dafür verurteilt, wie ich etwas erlebte. Zum Beispiel reagierte ich mit körperlichen Beschwerden auf bestimmte Reize aus der Umwelt. Ich konnte das nie zuordnen und verurteilte mich für meine erhöhte Empfindlichkeit. Heute weiß ich, dass mein Gehirn bestimmte Aspekte mit dem verknüpft hat, was ich in den traumatischen Zeiten erlebt hatte.“
Frieda: „Das heißt, du hast immer wieder Triggermomente erlebt und dich dafür verurteilt?
Cora: „Ja, genau. Dann lernte ich mich selbst, mehr anzunehmen. Das Hilfreichste war, zu den Menschen, die mich so einengten und mich über die Jahre seelisch beschwerten, den Kontakt abzubrechen. Das brauchte sehr viel Zeit, weil Schmerzen auch manchmal sehr verbinden können.“
Frieda: „Du meinst, da gibt es wie nonverbale Botschaften durch das Schmerzhafte, was man erlebte, das einen irgendwie auf seltsame Art und Weise verbunden hält?“
Cora: „Ja, das ist ganz seltsam. Es gibt wie so Botschaften, die zum Beispiel lauten: Du darfst nicht weg. Du darfst dich nicht wehren. Du musst mir dienen. Du muss mir alles sagen, was du weißt. Du kannst ohne mich nicht leben.“
Frieda: „Das hört sich an, wie unter den Armen eines Herrschers gefangen gehalten zu werden.“
Cora: „Ja das hört sich verrückt an, aber so könnte man es beschrieben. Als lebte man in einer Diktatur und einer lebt völlig seine Emotionen, seine Bedürfnisse und Wünsche aus und die anderen liegen ihm dienend zu Füßen.“
Frieda: „Gut, dass du da rausgekommen bist. Wie geht es dir denn heute? Erlebst du immer noch die Auswirkungen davon?“
Cora: „Ich habe Schritt für Schritt langsam in mein Leben gefunden. Das heißt, dass ich im Normalfall beispielsweise meine Gefühle spüren und einordnen kann. Das war jahrelang nicht der Fall. Auch hatte ich keine eigene Grenze. So verschmolz ich regelmäßig mit Menschen in meinem Umfeld. Ihre Probleme wurden zu meinen, ebenso körperliche und seelische Empfindungen. Mit der Zeit verstand ich, dass ich eine Daseinsberechtigung habe und für mein Leben selbst verantwortlich bin.“
Frieda: „Das hört sich nach richtig viel Arbeit an. Hattest du dabei Unterstützung?“
Cora: „Ja, auf jeden Fall. Nach und nach hatte ich ein kleines Helfernetzwerk, an das ich mich wenden konnte. Auch im Beobachten, wie andere Menschen ihr Leben lebten, blühte ich auf. Ich entdeckte, dass das Leben auch bunt sein kann. Bisher kannte ich es entweder schwarz oder weiß.“
Frieda: „Möchtest du anderen, die vielleicht auch von narzisstischem Missbrauch betroffen sind, etwas mitgeben auf ihren Weg?“
Cora: „Verpasse nicht die Chance, mit einer vertrauensvollen Person in den Austausch zu kommen. Wichtig ist, dass du ihr wirklich vertrauen kannst. Verpasse nicht den Absprung, dich aus toxischen Beziehungen zu befreien. Glaube nicht, dass der narzisstische Missbrauch bis zum Ende deines Lebens gehen wird und du nichts daran ändern kannst. Das ist nämlich eine Lüge. Nichts muss bleiben, wie es ist. Wir gestalten, was kommt.“
Frieda: „Vielen Dank, dass du mit uns über dieses wichtige Thema gesprochen hast.Alles Liebe und Gute dir!“
Cora: Dir auch, liebe Frieda!“
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
Kai
Hi, tolle Siegergeschichte – leider extrem, extrem seltend. Bei den Meisten hapert es schon daran, die richtige therapeutische Unterstützung zu bekommen. Etwas irritiert hat mich der Hinweis, kein Mitleid erregen zu wollen oder nicht in einer Opferrolle sein zu wollen. Wäre das tatsächlich so ein Verbrechen? Ich finde Mitleid für diesen Höllentrip zu bekommen oder sich auch Mal schwach zu fühlen, völlig in Ordnung.
Zudem: Viele, die nicht auf die richtige Hilfe zu greifen können, tragen die dysfunktionalen Muster sehr wohl über Jahre in sich. Eine gesunde Beziehung leben zu können, nachdem man emotionalen Missbrauch auf diesem Niveau erlebt hat, ist sehr selten. Gibt es die Möglichkeit, mit der Interviewpartnerin in den Austausch zu kommen? VG Kai