Ein Jahr studierte ich in Moskau, auf meiner To-Do-Liste: mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland fahren. Also buchte ich mit drei Freunden kurz vor Schluss und ohne viel Recherche Zugverbindungen, um von Moskau bis zum Baikalsee zu fahren. Eine der wohl anstrengendsten Reisen meines Lebens, aber auch eine der interessanten und intensivsten. Hier die Transsibirische Eisenbahn im Schnelldurchlauf.

Russland ist flächenmäßig das größte Land der Welt, erstreckt sich von Europa und den weltbekannten Städten Moskau und St. Petersburg bis nach Asien, grenzt an China, die Mongolei und sogar Nordkorea. Was diese Orte verbindet? Die Transsibirische Eisenbahn. Gebaut von 1891 bis 1916 ist sie die längste durchgehende Zugverbindung der Welt. Die Bahn fährt auf drei Routen: erstens nach Wladiwostok, den äußersten Ostzipfel Russlands, zweitens die Fortführung dieser Bahn bis nach Pjöngjang und drittens die Transmongolische Eisenbahn, die von Ulan-Ude in die Mongolei und dann nach Peking fährt – die wohl beliebteste Strecke unter Urlaubern, oder eher Abenteurern. Wer von Moskau nach Wladiwostok reist, durchquert acht Zeitzonen und braucht 144 Stunden, also etwa eine Woche. Aber mit der Eisenbahn durchzufahren, ohne auszusteigen, wäre zu schade. Doch wie entscheidet man, wo man aussteigt und wo besser nicht?
Unser Reiseplan
89 Städte liegen auf der Strecke, wir hatten elf Tage für die Reise eingeplant und entschieden uns daher, die größten von ihnen zu besuchen: Jekaterinburg, die an der Grenze Europas zu Asien am Uralgebirge liegt, die sibirischen Städte Novosibirsk und Krasnojarsk, zum Schluss Irkutsk und den berühmten Baikalsee. Als ich einigen russischen Freunden von unserem Reiseplan erzählte, gaben sie zu, selbst noch nie in diesen Städten gewesen zu sein, aber wünschten mir viel Glück. Unsere Reise fand während der WM in Russland statt, zu einer besonderen Zeit für ganz Russland, nicht nur für den europäischen Teil, wie wir später herausfinden würden.
Das (Über)leben im Zug
Auf YouTube gibt es einige Videos, welche die Reise mit einem Glas Rotwein in der Hand in einem luxuriösen Abteil darstellen. Das ist aber leider nur ein Teil der Wahrheit. Denn die meisten Reisenden fahren in der Holzklasse, so auch wir. Der Wagon ist in mehrere Großraumabteile aufgeteilt, insgesamt sind 52 Liegebetten in einem Wagon untergebracht, also viele Menschen allen Alters und Herkunft für lange Zeit auf wenig Raum. Als wir in unseren Wagon einstiegen, strömte uns ein durchdringender Geruch nach Leberwurst und verschwitzten Füßen entgegen. Hier würden wir also über 60 Stunden verbringen. Wir hatten uns einiges an Proviant mitgebracht, um die Zugfahrt zu überleben: viele Snacks, Tütennudeln, vor allem aber viel Wasser und etwas zu lesen. Der größte Luxus in unserem Wagon war ein Kessel mit heißem Wasser, welches man sich kostenlos abfüllen konnte, um Tee oder Kaffee zu trinken. Klimaanlage – Fehlanzeige.
Auf unserer ersten Zugverbindung teilten wir unseren Wagon mit einer Gruppe Soldaten, so sicher habe ich mich auch noch nie in einem Zug gefühlt. Einer der Soldaten war interessiert an uns, in einer Mischung aus Englisch und Russisch verständigten wir uns. Ein älterer Herr erzählte uns von Sibirien, ein anderer schaute auf seinem Handy das Russland WM-Spiel und teilte uns anhand von Stöhnen und Jubeln das Ergebnis mit. Schaute man aus dem Fenster, sah man vor allem viel Nichts, Baum an Baum und kein Zeichen von Zivilisation. In der Nacht gab es immer irgendjemanden, der laut schnarchte oder den Gang auf und ab lief. Wir waren jedes Mal froh, wenn wir unser Ziel erreicht hatten. Aber dennoch: Für die Fahrt bis nach Irkutsk bezahlten wir nicht einmal 100 Euro – für 4.222 Kilometer.
Erster Stopp an der Grenze zu Asien – Jekaterinburg
Unser erster Stopp war Jekaterinburg, die Stadt, die direkt am Uralgebirge liegt. Die Stadt ist auch aus traurigen Gründen bekannt: Hier wurde nach der Russischen Revolution die kaiserliche Familie der Romanovs umgebracht. Außerdem liegt die Infektionsrate von HIV liegt bei 1,8 Prozent der Stadtbevölkerung, unter Männern zwischen 20 und 39 Jahren sind es sogar zehn Prozent, die höchste Rate in Russland. Aber Jekaterinburg hat mehr zu bieten: Auf einer Promenade kann man am Fluss entlang laufen, der quer durch die Stadt fließt. Außerdem war die Stadt Austrageort der Fußball-WM mit eigenem FIFA-Fanfest. Es war also einiges los. Auf dem Fanfest trafen wir sogar noch andere Deutsche, gemeinsam feierten wir den unerwarteten Sieg von Deutschland gegen Schweden.

Sibirische Städte: Novosibirsk, Krasnojarsk und Irkutsk
Sibirien, das erscheint uns immer unendlich weit weg, irgendwo im Hinterland, mit Bären und Taiga. Doch es gibt einige Großstädte, von denen in Europa fast niemand gehört hat. Sibirien enttäuschte, aber begeisterte uns auch. In Novosibirsk gab es außer einer Oper und einem Zoo nicht viel zu sehen. Hier verstand ich auch, warum viele Russen entweder nach Moskau oder ins Ausland wollen. In Sibirien liegt der durchschnittliche Lohn bei etwa 500 Euro monatlich. Wir waren froh, weiter nach Kransnojarsk zu reisen – eine Stadt, die uns positiv überraschte. Krasnojarsk liegt im Tal, hat einen breiten Fluss, einen berühmten Nationalpark und viele hippe Restaurants und Bars. Die letzte Stadt in Sibirien, die auf unserer Route lag, war Irkutsk. In einer schicken Bar mit aufwendigen Cocktails fühlte ich mich, als wäre ich irgendwo mitten in Londons angesagter Partystraße.
Der Baikalsee: der Juwel der Transsibirischen Eisenbahn
Der Höhepunkt unserer Reise war der Baikalsee, der tiefste und älteste Südwassersee der Erde. Mit ratterndem Bus fuhren wir von Irkutsk nach Chuschir, einer kleinen Stadt oder einem großen Dorf, darüber lässt sich streiten, die auf der Insel Olchon liegt. Viel gibt es nicht, von geteerten Straßen keine Spur, und die Toiletten stellen sich häufig als Löcher im Boden heraus. Aber die Insel bietet auch unberührte Natur und wird von etwas Mystischem umgeben. Besonders beeindruckend sind die Schamanenfelsen, wo früher Rituale praktiziert wurden. Obwohl wir Anfang Juli auf der Insel waren, war sie nicht von Touristen überlaufen und wir hatten das Gefühl, die Insel mit ihrer unglaublichen Landschaft gehöre nur uns. Mit einem Bully fuhren wir durch den Süden der Insel. Unser Fahrer kochte uns eine Suppe mit Fisch, den er vorher im See gefangen hatte. Ein weiteres Highlight war im einzigen Pub der Insel die WM-Spiele zu verfolgen. Hier traf man auf eine Mischung von Reisenden aus aller Welt und Einheimischen. Als Russland gegen Spanien gewann, rasteten alle aus, die russische Fahne wurde herausgeholt und es wurde gefeiert.
Mit der Transsibirischen Eisenbahn zu fahren, war eine Reise voller Kontraste. Wer Lust auf ein Abenteuer hat, keine Fünf-Sterne Hotels braucht, um sich wohlzufühlen und dem lange Reisen in Zügen nichts ausmachen, der sollte diese Reise einmal machen. Er wird belohnt mit unglaublichen Landschaften und einmaligen Erfahrungen im größten Land der Erde.

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