Schon mit den ersten Sonnenstrahlen breitet sich eine drückende Hitze über Arequipa aus. Ein Flimmern geht durch die verlassenen Gassen der weißen Stadt, keine einzige Wolke versperrt die Sicht auf die majestätischen Vulkane Misti, Chachani und Picchu Picchu, die auf die Stadt im Süden Perus herabschauen. Während der Rest der Stadt sich den Schlaf der vergangenen Nacht noch aus den Augen reibt, hat das bunte Treiben im Mercado San Camilo längst begonnen. Scharenweise strömen Besucher in das unscheinbare Mauerwerk, das von außen nicht im Entferntesten an einen Markt erinnert. Die matte Fassade in tristem blau-grau strotzt nur so vor Sterilität und bereitet mich nicht im Geringsten auf das vor, was mich in den Markthallen erwartet.
Ich mische mich also unter die Menge und finde mich irgendwo zwischen wild mit Kameras fuchtelnden Touristen und gemächlich schlendernden Einheimischen wieder. Über meinem Kopf taucht ein großes Schild auf. „Bienvenidos al Mercado San Camilo“ heißt es darauf, „Eingang Nummer eins“. Ich frage mich, wie viele Eingänge es wohl noch geben mag und lasse mich von der Strömung weiter in das Gebäude hineintragen. Für einen kurzen Augenblick blendet mich das gleißende Licht, das durch die vielen glaslosen Fenster fällt und macht es mir unmöglich, irgendetwas zu erkennen. Die Geräuschkulisse ist atemberaubend. Liedfetzen peruanischer Volksmusik erklingen aus veralteten Radioapparaten, Mercaderos preisen lauthals ihre Ware an und in allen Ecken summt und brummt es vor sich hin.
Seccion frutas – ein Obstparadies
Als meine Augen sich an das helle Licht gewöhnt haben, finde ich mich in der seccion frutas wieder, der Abteilung für Obst. Links und rechts türmen sich Papayas, Ananas, Avokados, Cherimoyas, Granadillas und andere Exoten auf. Einem Großteil der hier angebotenen Früchte kann ich nicht mal einen Namen zuordnen. Aber auch Mangos, Orangen, Birnen und Äpfel wechseln hier den Besitzer. Irgendwo zwischen Beeren und Trauben sitzen die Händler. Meist sind es ältere Frauen, die wachsam ihre Ware beaufsichtigen und den Kunden Kiwis und Co. zu Schnäppchenpreisen verkaufen. So kostet eine Papaya im Mercado durchschnittlich zwei Soles, also etwa 60 Cent. Für einen Stand zahlen die Verkäufer im Monat 130 Soles, umgerechnet sind das 40 Euro.
Von behelfsmäßig angebrachten Stangen baumeln Waagen, die schon unter dem Gewicht weniger Trauben bedrohlich ächzen. Von dem exotischen Angebot nahezu überwältigt, komme ich nicht drum herum, mir eine Granadilla zu kaufen. Ich schlage die orange Frucht mit der brüchigen Schale an einem Kasten wie ein Ei auf und breche sie in der Mitte auseinander. Das Fruchtfleisch besteht aus Samen, die von einer dickflüssigen, durchsichtigen Masse umgeben sind, und erinnert – so unappetitlich wie es klingt – an Froschlaich. Genüsslich schlürfend mache ich mich also auf den Weg in die nächste Abteilung: Fleisch.
Nichts für Vegetarier
Auf dem Boden hat sich ein kleiner Bach aus einem Blut-Wasser-Gemisch gebildet, der den unebenen Boden entlangfließt. Die seccion carne ist also nicht zu verfehlen. Als ich aufschaue, blicke ich einem rosa Schwein direkt in die Augen. Nach wiederholtem Blinzeln wird mir klar, dass ich mich nicht täusche. Ganz im Gegenteil. Vor mir liegen neben einem waschechten Schweinekopf auch noch andere Teile des – offensichtlich – toten Tieres. Ich kann meinen Blick nicht von dem einprägsamen Gesichtsausdruck des Schweins lösen. Der Verkäufer muss mein Erstaunen bemerkt haben. Er macht sich einen Spaß daraus und steckt zwei Finger in die Nasenlöcher des Tieres. Englische Touristen neben mir wittern den ganz großen Schnappschuss und knipsen wild drauf los. Mir ist der Appetit auf die Granadilla eindeutig vergangen. Diese Abteilung ist nichts für schwache Nerven und schon gar nichts für Vegetarier.
An europäische Hygienestandards und das sauber abgepackte Fleisch, das nicht mehr viel vom ursprünglichen Tier erkennen lässt, gewöhnt, ist der Gang selbst für abgebrühte Fleischliebhaber eine Herausforderung. Blut spritzt umher, als eine Verkäuferin auf etwas Beinartigem herumhackt. Ihre Schürze ist schon ganz besprenkelt und erweckt den Eindruck einer Horrorfilm-Requisite. Aus einer Kiste ragen Hühnerbeine – samt Füßen und Krallen versteht sich. Vor ihr auf dem Tresen liegen lauter gehäufte Hähnchenkörper. Diese ähneln schon eher dem, was ich aus den Kühltruhen deutscher Supermärkte gewohnt bin. Die Freude über etwas Bekanntes, ja scheinbar Normales in dieser skurrilen Fleischwelt, währt nur kurz. Neben seinen fertig präparierten Geschwistern liegt ein weiteres Huhn. Es hat seinen Kopf noch nicht verloren, allerdings baumelt dieser über den Tresen und gibt ein sehr mitleiderregendes Bild ab.
Beim nächsten Stand erwartet mich ein Meerschweinchen. Das Cuy zählt in Peru zu den Nationalgerichten. Jährlich verdrücken die Peruaner etwa 70 Millionen der Meerschweinchen. Vor allem das Gehirn gilt als Delikatesse. In Grünzeug gebettet und aufgeschnitten liegt es dort und gibt den Blick frei auf dünne Knochen und allerhand Organe. Was für mich sehr befremdlich ist, ist für die Einheimischen Normalität. Während wir Europäer Essen mit Ästhetik verbinden und uns gerne der Illusion hingeben würden, Steaks kommen nicht von einem armen Schwein, geht man hierzulande wesentlich selbstverständlicher und natürlicher mit Fleisch, Schlachtung und Essen um.
Sagenumwobener Hexenmarkt
Nicht weniger absurd geht es auch in der nächsten Abteilung weiter. An jedem Stand hängen getrocknete Lamaföten. Eine Verkäuferin erklärt mir, dass junge Paare sich solche Föten in ihre Häuser hängen. Das diene der Fruchtbarkeit. Der Aberglaube scheint in dieser Abteilung eine große Rolle zu spielen. Überall hängen seltsam riechende Kräuter, die für alles Mögliche gut sein sollen und allerhand Heilmittel versprechen jegliche Gebrechen, Krankheiten und Probleme in Luft auflösen zu können. Der Hexenmarkt ist heiß beliebt. Mit prall gefüllten Taschen, aus denen Föten und sonstiger Hokuspokus ragen, verlassen Einheimische die Abteilung. Die Touristen bleiben dem Mystizismus gegenüber skeptisch und geben sich mit ihren Fotos schon mehr als zufrieden.
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