Die Autorin hat selbst psychische Störungen und berichtet, wie schwer das Miterleben für ihr Umfeld war. Im nachfolgenden Bericht gibt sie Anleitungsmöglichkeiten, um einem seelisch notleidenden Menschen zu begegnen. Sie versucht, Ängste anzusprechen und gibt praktische Anregungen, wie man diese überwinden kann.
In diesem Beitrag geht es um psychische Störungen. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du weiterlesen möchtest. Am Ende findest du mögliche Hilfestellen. Wenn du einen Kommentar schreiben möchtest, freue ich mich riesig.
Ich will helfen, aber wie?!
Begleitest du zurzeit einen Menschen, der sich in einer schweren Lebenskrise befindet? Mich haben mehrere Personen unterstützen wollen und heute verstehe ich ihre verzweifelten Versuche dabei. Oft wussten sie gar nicht, wie sie mir begegnen sollten, auch aus der Angst heraus, falsch zu handeln. Daher habe ich mich entschlossen, dir ein paar Gedanken und Hilfestellungen weiterzugeben, falls es dich interessiert.
Darf ich dich spiegeln?
Besonders erinnere ich mich an eine Situation, in der ich im Klinikflur einer Psychiatrie auf dem Boden saß. Das mochte ich. Ich saß dort, bohrte meine Nägel in die Haut, kratzte mich blutig auf, hatte einen Eisbeutel in der Hand, den ich so lange knetete, bis ich eiskalte Finger hatte. Ich habe in diesem Moment so viel Hass für mich empfunden. Trotzdem hat sich eine Person getraut, sich neben mich zu setzen, nach vorheriger Bitte um Erlaubnis.
Sie berichtete mir ihr Erleben, wie sie mich empfand, was sie sah. Das hat mir kurz den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich erlebte Scham und einen innerlichen Schmerz und gleichzeitig hatte ich einen kurzen Lichtblick. Ich traute mich, mal kurz selbst in den Spiegel zu schauen und entdeckte diese Mundwinkel, die beinahe auf den Boden zuliefen. Ich war zum ersten Mal so richtig erschrocken über mich selbst.
Was möchte ich damit sagen?
Manchmal hilft es unglaublich, die Wahrnehmung von einer anderen Person geschildert zu bekommen, wenn man die Erlaubnis dazu geben möchte. Am besten ist es, Wahrnehmungen zu beschreiben und wenige, passende Fragen zu stellen, wenn ein Gespräch erwünscht ist. Zum Beispiel „Ich sehe dich auf dem Boden sitzen. Fühlst du dich hier wohl?“ „Deine Hände sind blutig gekratzt. Hat dir das geholfen, dein Inneres auszudrücken?“
Was könnte sonst noch helfen?
Wenn du dich stark genug fühlst und die Situation passend ist, könntest du ein kleines Rollenspiel mit der notleidenden Person beginnen. Du könntest dich neben sie setzen und eine andere Person spielen. Du kannst aber auch schweigend neben ihr sitzen, nur zuhören oder die Person fragen, was sie braucht. Oder du berichtest von einem gemeinsamen Erlebnis. Du könntest von deinen eigenen Emotionen sprechen. „Es ist okay, dass du gerade so traurig bist. Das darf sein. Ich trage es mit.“ Willst du davon erzählen, wie du selbst mit unangenehmen Emotionen umgehst?
Vielleicht ist eine leichte Berührung wohltuend?
Du könntest die notleidende Person fragen, ob du ihr deine Hand auf die Schulter legen darfst oder an eine andere Stelle. Ich habe festgestellt, dass es immer gut ist, erst um Erlaubnis zu bitten. Manchmal habe ich bei anderen und auch bei mir selbst erlebt, wie ich das ausnutzte und die Person gerade dann verletzen wollte, weil ich die Liebe in diesem Moment nicht ertrug.
Beispielsweise hat mir jemand die Hand auf die Schulter gelegt und ich habe sie weggestoßen aus Scham und weil die Geste nicht zu meiner Trauer passte. Ich wollte getröstet werden und dachte gleichzeitig, den Trost nicht verdient zu haben. Das wirkte oft paradox in der Situation und bewirkte, dass andere dachten, dass sie sich falsch verhielten. Nicht selten wurde ich aber auch schroff angefahren und allein zurückgelassen. „Dann halt nicht. Dir kann man ja eh nichts mehr recht machen!“, so wurde ich ihm Regen stehen gelassen.
Bitte einmal lächeln!
Ich denke, dass Humor auch hilfreich sein kann. Wenn du eine Gabe hast, andere Menschen zum Lachen zu bringen, dann versuche es doch auf sanfte Art bei (d)einem depressiven Freund. Lachen und eine gesunde, aufrechte Körperhaltung bei anderen Menschen zu sehen, können schon helfen. Wir sind auch imitierende Wesen.
Helfen, im Hier und Jetzt zu bleiben
Wenn du merkst, dass die seelisch erkrankte Person gedanklich immer mehr wegdriftet oder gefühlslos scheint, bring sie ein wenig in Bewegung. Hilf ihr, den Blick nach oben zum Himmel zu richten. Wirf ihr einen Ball zu, frag nach Geburtstagen, frag banale Dinge ab. Ich machte das oft mit mir selbst. Ich nannte meinen Namen, mein Alter, wo ich mich dort befand, was ich zu diesem Zeitpunkt machte.
Sobald ich tiefer in Dissoziationen steckte, hielt mir eine Person ein Riechstäbchen unter die Nase oder gab mir einen Igelball, eine Akkupressurmatte, einen Eisbeutel, eine Chilischote, einen Würfel etc. Es war zuvor abgemacht worden und zu dieser Zeit hatte ich meinen Notfallkoffer, meine wichtigsten Hilfsmittel, immer dabei. Ich wusste, was mir half und die Menschen um mich herum auch.
Helfernetz aufbauen
Vorausschauende Planung ist sehr wichtig, sowohl für den Betroffenen als auch für das Umfeld. Manchmal hilft es, die einzelnen Schritte schriftlich zu notieren, auch gegebenenfalls wichtige Telefonnummern aufzuschreiben.
So war bei mir im Falle eines aktiven Suizidgedankens klar, dass ein Krankenwagen angerufen werden musste. So leitete auch ein Arzt meine Familie zu Hause an. Darüber wusste ich Bescheid. Und dennoch war es für mich sehr hilfreich, eine laute Stimme zu hören, die mir alles transparent machte, was sich abspielte. Zum Beispiel: „Ich sehe, dass es dir nicht gut geht. Du hast deine Beine geritzt. Ich gehe jetzt zu XXX und hole Hilfe. Wir werden schauen, ob du in die Klinik gehst.“
Ganz klare Worte und ich wusste, woran ich war und ich durfte meine Zweifel äußern. Ich erlebte in diesen Situationen ein enormes Vertrauen. Wenn ich klar sagte, dass ich nicht in die Klinik möchte und das und jenes möchte, fand ich Gehör. Ich lernte, dass meine Worte wieder Gewicht bekamen und dass ich etwas bewirken konnte. Ich bin sehr dankbar, dieses heilende Umfeld gehabt zu haben. Und ich wollte dieses Vertrauen nicht enttäuschen.
Mit Erlaubnis helfen, zu analysieren und zu verstehen
Wenn es für dich stimmig ist, frage die seelisch notleidende Person, ob ihr gerade klar ist, welches Problem vorliegt und ob sie es aus ihrer Sicht schildern kann. Wenn du dich gerade selbst labil fühlst, könnte eine andere Person das Gespräch führen. Oder willst du die verzweifelte Person fragen, ob ihr später nochmal darüber sprecht und die Situation jetzt einfach mal an einem sicheren Ort parkt? Ich bin noch heute dankbar für Menschen, die mir geholfen haben, meine Probleme beim Namen zu nennen und sie zu verstehen.
Gut gemeinte Bibelverse verteilen
Ich muss sagen, dass ich das anfänglich ärgerlich fand. Ich hatte Gott den Rücken gekehrt und ich empfand es als ein Abservieren, wenn ich eine Karte mit einem Bibelspruch bekam. Ich dachte: „Der hat mich doch eh vergessen!“ Daher warf ich die Karten entweder gleich in den Müll oder ich ließ sie auf meinem Nachtisch in der Klinik liegen. Jedenfalls kann ich es nicht leugnen, mich ein wenig gefreut zu haben, dass jemand an mich dachte.
Aber ich nahm vieles auch nicht wirklich wahr oder nur verzerrt. Ich konnte es später mehr schätzen, dass so viele Menschen aus der Kirchengemeinde täglich für mich beteten und es immer noch tun. Ich habe es als unangenehm empfunden, wenn mir gläubige Leute versucht haben, mein Leid geistlich zu erklären, dass Gott mir zum Beispiel mein Studium weggenommen hätte, weil ich es über ihn stellte. Oder sie belehrten mich, dass ich mehr glauben müsste.
Kleine Zusammenfassung: Do´s and Don`ts
Zeige wie in jeder menschlichen Beziehung Respekt und Wertschätzung. Kläre in Ruhe aufkeimende Gefühle und Gedanken, die du in Bezug auf die notleidende Person entwickelt hast. Nimm dir diese Zeit für dich. Manchmal empfinden wie, dass jemand „plötzlich“ krank geworden ist und wir machen uns Vorwürfe, warum wir nicht früher gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt. Lass diese Eigenverantwortung bei der anderen Person. Nimm ihr keine Entscheidungen ab, belehre sie nicht, mach ihr keine Vorwürfe oder dränge sie nicht, Hilfe zu suchen. Gib ihr nicht das Gefühl, komisch, seltsam oder mit einem Makel behaftet zu sein.
Was ich selbst als sonderbar empfunden habe, war ein Freund, der so tat, als hätte ich gar keine Erkrankung, was vielleicht seine Bewältigungsstrategie und Selbstschutz war. Leider hat das unsere Freundschaft nicht überlebt, weil ich mich zu stark verändert hatte, als dass alles wie beim Alten weitergehen konnte. Stelle dich auf eine neue Art, Freundschaft zu leben, ein. Jeder Mensch kann ein Lerngeschenk für uns sein. In der Not des anderen kommen wir selbst an unsere wunden Punkte, die geheilt werden möchten. Verabschiede dich nicht von deinem Freund mit den Worten: „Wenn du etwas brauchst, melde dich!“, denn psychisch Erkrankte melden sich häufig eher nicht. Bringe von dir aus etwas mit oder rufe immer mal wieder an. Vernachlässige dich dabei selbst nie.
Hast du Fragen oder Anregungen? Dann schreibe sie doch bitte in die Kommentare!
Falls du noch mehr praktische Tipps erfahren möchtest, lies dir Teil zwei durch.
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
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