Es wird gerne gesagt, dass Glaube und Vernunft zwei unüberbrückbare Gegensätze seien. Aufzuzeigen, dass beide Erkenntnisweisen aber zusammengehören und dass weder die eine, noch die andere allein wirkliche Orientierung in der Welt schenken kann, war ein besonderes Anliegen von Papst emeritus Benedikt XVI.

„Glaube und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.“ Diese Worte aus einer Enzyklika seines Vorgängers fassen die Überzeugung von Papst Benedikt am besten zusammen. Beide Erkenntnisweisen sind nötig, um tiefere Einblicke in die Wirklichkeit zu gewinnen. Doch was heißt eigentlich Glaube und was Vernunft?
Die Vernunft: Die Fähigkeit des Menschen, die Welt zu verstehen
Die Vernunft ist die Fähigkeit des Menschen, die Zusammenhänge der Welt zu erkennen, zu verstehen und sich nutzbar zu machen. Seit der Epoche der Aufklärung wurde die Vernunft immer häufiger als einzig verlässliche Erkenntnisweise angesehen. Die Menschen konnten durch die methodisch geleitete Vernunft der Wissenschaften seither viele Geheimnisse der Welt aufdecken und wohl ebenso viele technische Errungenschaften hervorbringen, die das Leben der Menschen verbessert haben. Andererseits sind beispielsweise auch die schrecklichen Massenvernichtungswaffen, die menschenverachtenden Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus oder neuerdings die Ermöglichung der Züchtung und Selektion von Menschen Produkte der Vernunft. Es zeigte sich: Die Vernunft kann zum Guten und zum Bösen eingesetzt werden.
Der Glaube: Das vertrauensvolle Sich-Verlassen auf Gott
Der Glaube wird insbesondere im Christentum als vertrauensvolle Antwort auf die Selbstoffenbarung Gottes verstanden. Die Vernunft kann zwar bis zu einem gewissen Grad erkennen, dass es einen ersten Ursprung und ein letztes Ziel der Welt mit Namen Gott geben kann. Wer aber fragt, wie denn dieser Gott ist, kann dies nur erfahren, wenn Gott selbst zeigt, wie er ist, wenn er sich selbst aus Liebe zu uns Menschen offenbart. Nach christlichem Verständnis kann der Mensch diese Selbstoffenbarung mithilfe des Glaubens bejahen. Gott erhellt durch sie unsere Welt, sodass wir sie und uns selbst mithilfe des Glaubens in größerer Tiefe und in Bezogenheit auf Gott besser verstehen können als mit der Vernunft allein. Deshalb konnte der mittelalterliche Theologe Anselm von Canterbury sagen: „Ich glaube um zu verstehen und ich verstehe um zu glauben“.
Die Gefahren des Fanatismus und des Fundamentalismus
Papst Benedikts Anliegen war es, aufzuzeigen, dass Glaube und Vernunft nur für sich genommen zu gefährlichen Denkweisen führen können. Der Glaube ohne Vernunft ist in allen Religionen in der Gefahr, fanatisch und fundamentalistisch zu werden. Das heißt, dass ein Mensch seine religiösen Überzeugungen gegen jegliche vernünftige Kritik immunisieren, sie ideologisch verfestigen und manchmal auch anderen Menschen gegen ihren Willen aufzwingen will. Die Vernunft ohne den Glauben hingegen steht in der Gefahr, die Wirklichkeit auf das zu verkürzen, was sie zu erkennen vermag und kann dabei Weltanschauungen und Ideologien entwickeln, die ebenfalls in fanatischer und fundamentalistischer Weise vertreten werden.
In jüngster Zeit wird beispielsweise zunehmend in Frage gestellt, dass die Vernunft uns Menschen dabei hilft, allgemeingültige Werte und Normen – wie etwa die Menschenrechte – zu erkennen. Diese sind jedoch für das menschliche Zusammenleben unentbehrlich und daher gemeinsame Basis für den Dialog zwischen den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Diese Einstellung wird „Relativismus“ genannt und wurde von Papst Benedikt wegen ihrer Intoleranz sogar als „Diktatur des Relativismus“ bezeichnet.
Wenn nämlich alles relativ ist, dann können letztlich mein interessengeleitetes Ich oder die Interessen meiner Gruppe und nicht die allen Menschen gemeinsame Fähigkeit, mit der Vernunft die Wirklichkeit möglichst unvoreingenommen zu erfassen, zum Maßstab erklärt werden. Anders gesagt: Wer behauptet, dass es absolut wahr sei, dass nichts absolut wahr sei und es keine Werte gebe, die für jeden Menschen gelten, kann schnell intolerant gegenüber den Menschen werden, die aufgrund ihrer Weltanschauung oder Religion für die Existenz solcher gemeinsamen Werte in respektvoller Weise eintreten.
Glaube und Vernunft: Gegenseitige Begrenzung und Erhellung zugleich
Aufgrund der genannten Gefahren ist es wichtig, dass sich Glaube und Vernunft gegenseitig in die Schranken weisen lassen. Dadurch können beide Erkenntnisweisen bei ihren guten Seiten bleiben und sich auch gegenseitig erhellen. Papst emeritus Benedikt ist davon überzeugt, dass ein echter und toleranter Dialog zwischen verschiedenen Religionen und Weltanschauungen gerade auch in einer Demokratie nur möglich ist, wenn man ein gemeinsames Grundwertefundament teilt.
Die Anerkennung der universalen Menschenrechte ist das beste Beispiel für solch einen Grundkonsens, der sich auch in der Werteordnung unseres Grundgesetzes ausdrückt. Wie man einzelne Rechte und Werte interpretieren und wie man sie ganz konkret verwirklichen kann, ist dann der Gegenstand von Dialog und Diskussion. Der Glaube hilft dabei, zu erkennen, dass alle Menschen letztlich deshalb die gleichen Rechte und eine unantastbare Würde haben, weil sie Söhne und Töchter eines liebenden Schöpfergottes sind.
Dieser Beitrag ist Teil einer Kooperation mit der Stabsabteilung Medien im Erzbistum Köln. Jeden ersten Sonntag im Monat schreiben wir exklusiv einen Gastbeitrag für die Facebook-Seite Firmlinge im Gespräch mit Weihbischof Schwaderlapp.
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