Die philosophische Position des Relativismus bezweifelt, dass es absolute Wahrheiten geben kann. Stimmt das? Ein aktueller Sammelband stellt die Frage, was das für die christliche Theologie und Kirche bedeuten würde. Benedikt Bögle hat es gelesen.
Was ist Wahrheit? Diese Frage ist nicht nur schwer zu beantworten, sondern darüber hinaus Jahrtausende alt. Was ist wahr, was nicht? Einfache Sachverhalte des Alltags können wir noch einigermaßen einfach auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Wir könnten nachfragen oder googlen. Aber wie steht es mit den großen Themen des menschlichen Lebens? Was ist die Wahrheit über die Liebe oder die Welt oder Gott? Kann man denn darüber überhaupt mit Sicherheit etwas Wahres sagen?
Was heißt „Relativismus“?
Das sieht die philosophische Position des Relativismus etwas kritisch: Der Relativismus stammt – zumindest dem Begriff nach – aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er meint, alles Wissen und alle Erkenntnis des Menschen sei „relativ“. Das heißt: Menschliches Erkennen könnte nie Dinge an sich verstehen, sondern immer nur die Beziehung verschiedener Dinge untereinander. Diese philosophische Grundannahme hat noch einen zweiten Gesichtspunkt. Alle Wahrheiten, die der Mensch äußert, können keinen unbedingten Geltungsanspruch erheben. Sie gelten eben nur relativ bezogen etwa auf „Individuen, Kulturen, sowie sachliche Kontexte“, schreibt der Philosoph und Theologe Florian Baab in dem Sammelband „Glaube ohne Wahrheit?“ Dieser beschäftigt sich mit den Herausforderungen des Relativismus für Theologie und Kirche.
Die Kritik von Papst Benedikt XVI.
Denn natürlich formulieren Religionsgemeinschaft immer Wahrheiten, die in ihren Augen nicht nur relativ sein können, sondern absolut gelten. Unter allen Umständen etwa existiere Gott – nicht nur relativ, bezogen auf ein bestimmtes Sprachsystem oder eine einzelne Kultur. „Gott existiert“ muss ein immer wahrer Satz sein. Der Relativismus würde das Gegenteil behaupten. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. wandte sich immer wieder scharf gegen den Relativismus. Besonders eindrücklich sprach er in einer Predigt vor dem Konklave, aus dem er als Papst hervorgehen sollte, von der „Diktatur des Relativismus.“
Relativismus und Marxismus
Die Äußerungen des Papstes stoßen in „Glaube ohne Wahrheit?“ nicht nur auf Beifall, sondern werden durchaus auch kritisch unter die Lupe genommen. Für ihn gibt es eine gewisse Dominanz des Relativismus, die sich auch aus historischen Gründen erklären lassen könnte: Der Marxismus war als weltanschauliches System der Überzeugung, die großen Fragen nach Sinn und Wahrheit des Lebens beantwortet zu haben. Der große Unterschied zum Christentum – und wohl auch anderen Religionen – allerdings sei, dass er behauptete, diese Frage im „Modus des Wissens“ zu beantworten. Religionen müssen zugeben, dass sie nur glauben, nicht aber beweisbar wissen. Genau das habe aber der Marxismus von seiner eigenen Lehre behauptet. Nach dem Zusammenbruch, so der Papst, habe das dazu geführt, dass nicht nur der Marxismus selbst in der Krise stand, sondern mit ihm gleich auch die Frage nach der Wahrheit an sich.
Konsequenzen der Frage
Die Suche nach dieser Wahrheit mag als akademische Übung erscheinen. Aber sie hat auch praktische Konsequenzen. Etwa bei der Frage nach richtig oder falsch. Was ist moralisch gut? Kann es hier denn eine Wahrheit geben? Oder gibt es auch hier nur einzelne Sätze, die immer nur relativ wahr sind? Das Problem mit der Moral: Immer wieder kann der schon sehr alte „Übereinstimmungssatz“ zum Einsatz kommen. Demzufolge ist eine Aussage dann wahr, wenn die bezeichnete Gegenstand und der geäußerte Satz übereinstimmen. Wenn ich sage „die Rose ist rot“, dann ist das wahr, wenn die gemeinte Sache – also eine bestimmte Rose – wirklich rot ist. Aber wie macht man das mit der Moral? Es gibt ja keine moralischen Sachverhalte in diesem Sinn. Da kann der Relativismus durchaus interessant erscheinen.
„Glaube ohne Wahrheit“ beschäftigt sich aus vielfältigen Perspektiven mit dem Thema Relativismus. Der Sammelband, herausgegeben vom Theologie-Professor Michael Seewald, versammelt bedeutende Theologen und Philosophen zu diesem Thema.
Michael Seewald (Herausgeber), Glaube ohne Wahrheit, Theologie und Kirche vor den Herausforderungen des Relativismus (Theologie kontrovers), Herder 2018, 287 Seiten, EUR 16.
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