Junge Menschen werden in den Medien nicht selten als beziehungsunfähig dargestellt. Wenn unsere Generation einmal alt ist, wird dann kaum noch jemand seine goldene Hochzeit feiern. Warum aber ist das so?
Was eine Chipstüte mit dem idealen Partner gemeinsam hat
Ihr geht in den Supermarkt und wollt Chips kaufen. Dieser hat aber nur eine Sorte im Angebot. Ihr kauft die Chips und sie schmecken nicht. Wer ist schuld? Der Supermarkt natürlich, werdet ihr jetzt sagen, der hatte ja nur die eine Sorte. Jetzt stellt euch denselben Supermarkt vor, nur mit hundert verschiedenen Sorten Chips. Wer ist jetzt schuld, wenn Ihr eine Sorte kauft, die nicht schmeckt? Ihr, denn Ihr habt die falsche Entscheidung getroffen. Und selbst wenn Ihr eine Sorte habt, die Euch schmeckt: Wer sagt Euch, dass die anderen 99 nicht eventuell besser schmecken könnten?
Ich glaube, dieses Dilemma lässt sich auf viele Situationen in der heutigen Zeit übertragen. Zu Zeiten unserer Eltern lebten in einer Gemeinde eine kleine Anzahl Jugendliche. Jeder hat sich jemanden vom anderen Geschlecht geschnappt und gut war‘s. Die große Auswahl gab es da schlicht nicht – jedenfalls nicht bei meinen Eltern und ihren Freunden. Heutzutage verschaffen uns Apps wie Tinder und Co. eine riesige Auswahl an möglichen Partnern. Und macht uns das glücklich? Macht das die Entscheidung einfacher? Nein! Statistiken beweisen, dass mehr Entscheidungsfreiheit nicht unbedingt glücklicher macht, denn man muss mit den Konsequenzen leben und wird sich immer fragen: Hätte ich etwas anders machen sollen? Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich dies oder jenes anders gemacht hätte? Nehmen wir an, man lernt jemanden bei Tinder kennen. Er/Sie ist ganz nett, sieht ganz gut aus, aber der oder die nächste könnte ja vielleicht noch besser aussehen. Und der/die nächste noch besser und so weiter.
Ein Ideal, das unerreichbar ist
Fragt man eine Frau wie der perfekte Partner sein sollte, bekommt man in etwa Folgendes zu hören: Er sollte attraktiv, muskulös, liebevoll, ein „Bad-Boy“, dominant, witzig, charmant, schlau und sensibel sein. Diese Liste könnte ich beliebig weiter fortführen. Wie soll jemand solch astronomisch hohen Anforderungen gerecht werden? Wir haben einfach viel zu viele Vergleichsmöglichkeiten. Grund dafür sind vor allem die Social Media. Wir bekommen gefotoshoppte Models vor die Nase gesetzt und ein Großteil der Mädchen glaubt, mit einem solchen Schönheitsideal nicht mithalten zu können. Die Folge ist das Gefühl, niemals gut genug zu sein. Und so steigen auch die Erwartungen an die Frau: Wer würde schon ein Model verschmähen, wenn sich die Gelegenheit bieten würde? Wir wollen aussehen wie Menschen, die selber nie so ausgesehen haben wie auf ihren Fotos. Alles, was über spindeldürr hinausgeht, wird schon als dick angesehen. Aus meinem eigenen Bekanntenkreis kenne ich Frauen, die sich wegen dem kleinsten Kilo mehr schon völlig aufregen.
Diese hohen Anforderungen kann keiner erfüllen und man neigt dazu zu denken: Entweder ich erreiche genau dieses Ideal oder ich scheitere. Alles, was weniger als dieses Ideal ist, ist nichts wert. Wenn die Beförderung, auf die ich so lange hingearbeitet habe, doch nicht kommt, ist dann mein ganzer bisheriger Lebensweg deswegen nichts mehr wert? Ich glaube, dieses Denken gab es in der Generation unserer Eltern noch nicht so verstärkt, wie es heute der Fall ist. Plattformen wie Facebook teilen uns immer nur einen Teil der Realität mit. Zum Beispiel die hübsche Blondine, die schon an dutzenden tollen Urlaubsorten war, die ich mir nicht leisten kann. Vielleicht ist sie gar nicht so glücklich, wie das auf ihrem Profil vielleicht aussehen mag. Der „glücklich“ Vergebene, der an dem einen Tag schreibt: „Ich liebe dich Schatz, du bist die Beste.“ Und am nächsten Tag: „Ich bin wieder Single.“ Trotzdem vergleichen viele von uns sich mit solchen Menschen. Und hier ist der Witz: Viele der Menschen, mit denen wir uns vergleichen, vergleichen sich insgeheim auch mit uns. Zwei Freunde von mir, die unterschiedlicher nicht sein könnten, waren einmal in so einer Vergleichssituation.
Der eine ist sehr extrovertiert und kann kaum aufhören zu reden, wohingegen der andere eher ruhig und zurückhaltend ist. Der Ruhige hat dann einmal gesagt: „Ich wünschte, ich könnte so offen sein wie er.“ Lustigerweise hatte der andere genau denselben Gedanken: „Ich wünschte, ich hätte manchmal nicht so ein starkes Mitteilungsbedürfnis und wäre eher so der ruhige Typ.“
Also genau das, was der eine an sich selber nicht mochte, hat der andere an ihm für erstrebenswert gehalten. Sich mit anderen vergleichen ist durchaus notwendig, also bitte versteht mich nicht falsch. Ohne Wettbewerb wären wir alle nur Einzeller. Auch gegen die technischen Neuerungen unserer Zeit zu hetzen, liegt mir fern, aber alles im Leben hat zwei Seiten.
Innere Schönheit von gestern?
Wie also mit einer Welt umgehen, wo uns von jeder Plakatwand perfekt aussehende Models anstrahlen? Derjenige, der lernt, mit wenig zufrieden zu sein, ist der wahre Gewinner in der heutigen Zeit. Einfach nur ein normaler Job, Frau und Kinder, ein paar Hobbys. Was will man mehr? Früher war man mit so etwas durchaus zufrieden. Heute reicht das vielen nicht mehr. Beide Elternteile wollen Karriere machen, und zwar am besten im großen Stil. Man will schön sein. Angestrebt wird aber nicht die Schönheit, die von innen kommt, wie es mir meine Mutter nahegelegt hat. Wir wollen vielmehr Schönheitsidealen nacheifern, die wir nie erreichen werden. Und oft denken wir: Wenn ich nicht so aussehe wie der/die auf dem Plakat, bin ich dann minderwertig?
Und auch nach zehn Jahren Ehe ist da eine kleine Stimme in unseren Köpfen: Könnte ich nicht jemand anderes kriegen? Ich habe doch so viel Auswahl. Das Paar von nebenan wirkt irgendwie viel glücklicher als wir. Das Gras ist auf der anderen Seite immer grüner. Dieses ständige Vergleichen mit anderen ist die Quelle für viel Unglück in unserer Generation. Du kannst nicht wissen, was genau du willst, weil Du nie wissen wirst, was es alles gibt. Du kannst dir nur etwas aussuchen und dann bewusst entscheiden, dass das jetzt das ist, was du willst.
Julie
Danke für den Artikel, da kann man nur zustimmen. Schade ist vor allem, dass dieser Lebensstil scheinbar salonfähig ist. Du bist erwachsen und trennst dich mal eben von heute auf morgen von deinem Partner, weil dir plötzlich aufgefallen ist, dass ihr nicht dieselbe Musik hört? Macht nichts, passiert. Ich bin wirklich gespannt, wie unsere Welt in 10 Jahren aussieht.
Sven
Traurige neue Welt
Gertie S.
Vielleicht es auch so, weil heute generell später geheiratet wird (wenn überhaupt). Längere Ausbildungs- und Studienzeiten schieben den Beginn des Arbeitslebens und damit den Zeitpunkt des gefühlten “Erwachsenwerdens” hinaus. Wenn man mit 18 bzw. 20 Jahren vor den Traualtar tritt ist es schon rein mathematisch leichter zum 50jährigen Ehejubiläum zu gelangen, als wenn man dies mit rund 10 Jahre später tut.
Wobei deine Argumente der “Bindungsunfähigkeit” bzw. Entscheidungsunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen sind, leider.
Nico
Ich finde es sehr wichtig, dass man über das Thema spricht und das Ideal der “einzig wahren Liebe”, welches man aus so vielen Liedern und Romanen kennt, ein bisschen der Realität angleicht. Natürlich sollten Partner in einer Beziehung zusammenpassen, aber ist es nicht auch klar, dass man manchen Interessen mit anderen Freunden oder alleine nachgehen sollte? Heutzutage habe ich das Gefühl, dass Heiraten “altmodisch” und praktisch ein Ding der Unmöglichkeit ist, weil man bis 30 ja sowieso noch warten möchte und dann lebt man sich auseinander und dann… Wie haben Chris Martin und Gwyneth Paltrow es so schön ausgedrückt: “Conscious Uncoupling”