Studieren ist für viele der erste richtige Schritt in Richtung Erwachsenwerden und eigentlich eine gute Perspektive nach dem Abitur. Unsere Autorin Andrea Santrau hat ihr geisteswissenschaftliches Studium für uns einmal Revue passieren lassen. Eine kleine Abrechnung mit der Alma Mater und mit denen, die Geisteswissenschaftler belächeln.
![](https://www.firstlife.de/wp-content/uploads/2017/01/statue-756624_1920-1140x758.jpg)
Die volle U-Bahn hält an ihrer Endstation „Universität Ost/Botanischer Garten“. Oh ja. Diese eine Haltestelle, die ich nun seit dreieinhalb Jahren anfahre und jedes Jahr freue ich mich über das Sommersemester und “hasse” das Wintersemester. Das liegt gar nicht daran, dass der Sommer schön ist und der Winter nicht. Sondern, weil die U-Bahn im Sommer leer ist und im Winter voll. Im Winter kommen die Erstis und beginnen, die Uni wieder aufs Neue zu belagern. Sie nehmen uns die Plätze in der Mensa weg, die Sitze in den Seminaren und den Platz in der Bahn. Und das gibt mir zu denken. Was studiert ihr eigentlich?
Die Erstis in der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studieren Geschichte, Germanistik, Modernes Japan und was halt sonst noch so angeboten wird. Jetzt bin ich so gut wie am Ende meines Studiums und denke mir immer wieder: War das Studium wirklich nötig?
Ich studiere Geschichte und Germanistik – aber nicht auf Lehramt! – und liebe mein Studium… eigentlich. Ich war in der Schule nie ein Freund von Geschichte. Aber nur, weil ich die Lehrer damals komisch fand. Da auf Germanistik damals noch ein NC lag und ich mit meinem Abi von 3,0 nur auf ein Pferd setzen konnte, war das Germanistik. Geschichte war dann NC-frei und ich dachte mir: Irgendwie wird’s schon Spaß machen. Und das hat es auch. Genau wie Germanistik. Versteht mich also nicht falsch, wenn ich hier jetzt ein bisschen mit meinem Studiengang abrechnen werde.
Und was macht man damit?
Taxifahrer! Putzfrau! Alles ehrbare Berufe, aber anscheinend nicht für eine studierte Frau in Deutschland. Tja, Pech gehabt! Mein Masterplan: Taxifahrerin mit eigener Radiostation werden.
Natürlich nur ein Spaß. Aber diese Frage nervt einfach. Was ich mit Germanistik und Geschichte machen kann, das soll mal meine Sorge sein. Ich wollte nie studieren. Ich musste aber. Und zwar musste ich einen Studiengang absolvieren, der am Ende eigentlich nur nochmal Abi ist. Tja und das eigentlich gar nicht aus dem Grund, dass meine Eltern mich dazu gezwungen hätten, sondern einfach, weil eine Ausbildung für jemanden, der Abitur hat, so gut wie nicht möglich war. Keiner wollte mich aus diesem Grund. Studieren war also der letzte Strohhalm.
Geschichte verläuft nämlich ganz Abi-ähnlich: Man hat zwei Semester, in denen aussortiert wird. In den vielen Vorlesungen, die man dazu besucht, hat man dann erst einmal einen Professor, der schneller als die Lichtgeschwindigkeit redet. Außerdem ist in jeder Vorlesung und in jedem Seminar „alles relevant“ für die Abschlussprüfungen. Die übrigens aus einer riesen Klausur bestehen, für die man viel Unnötiges lernen muss, das bisher (und Geschichte habe ich bereits abgeschlossen) nicht mehr wichtig war. Toll! Trotzdem waren die Klausuren schwer und insgesamt wurden in den ersten zwei Semestern locker 60 bis 70 Prozent meiner Kommilitonen „aussortiert“.
Ich erinnere mich aber noch gut an die Worte von meinem Papa: „Wozu macht ihr das, wenn ihr dann sowieso wieder alles vergesst?“ Das habe ich mich im Abi gefragt und zu dem Zeitpunkt in Geschichte auch. Eigentlich frag ich mich das bis heute, aber für irgendetwas wird es schon gut gewesen sein.
Aber was ich jetzt genau mit meinem abgeschlossenem Geschichtsstudium machen kann, weiß ich bis heute noch nicht so wirklich. Eigentlich alles. Journalismus, Verlagswesen, PR. Hauptsache, das Studium ist abgeschlossen.
Ähnlich verhält es sich mit meinem Hauptfach Germanistik. Vier Module musste ich da abschließen in drei Jahren. Wirkliche Vorgaben, was ich belegen muss und wie, gab es nicht. Am Ende musste die Hausarbeit gut sein, denn die bewertet das Modul. Ob ich zu drei der vier Seminare und Vorlesungen gegangen bin, ist egal.
Dann kann das ja jeder!
Klar, nur weil der Deutsch- und Geschichtsunterricht in der Schule sogenannte „Laberfächer“ waren, kann das Studium natürlich jeder. Nein, eben nicht. Nur weil ich eine Geisteswissenschaft studiere, kann das nicht jeder. Nehmen wir doch einfach mal direkt mein Hauptfach als Beispiel: Mehre Module müssen abgeschlossen werden, dazu zwei Fachmodule mit mündlicher Prüfung und am Ende logischerweise der Bachelor. Achja, und am besten sollten die Hausarbeiten noch gute Noten haben, weil man will ja auch noch den Master machen.
Unter Zeitdruck galt es ab dem zweiten Semester gefühlt jedes Semester drei Beteiligungsnachweise in den verschiedensten Formen zu sammeln. Referate, Essays, Hausarbeiten. Und dann bekommt man die Nachricht aller Nachrichten: Die Hausarbeit ist korrigiert und man solle doch bitte in die Sprechstunde kommen. Aber wann? Der Dozent hat keine Termine auf der Homepage und auf die Mail antwortet er auch nicht. Dann also abwarten, bis die Note online ist und sich über eine 3,0 wundern, obwohl die Arbeit doch ganz gut war? Und so geht’s dann immer weiter, bis die Bachelorarbeit kommt.
Und neben den Arbeiten im Kernfach kommt fast der selbe Aufwand noch einmal für das Nebenfach hinzu, bei dem man im höheren Fachsemester auch nochmal durch die Archive NRWs tuckern darf, um am Ende eine riesige Hausarbeit abzugeben.
Am allerbesten wäre es noch, wenn man so ein Studium in sechs Semestern abschließt, denn ab dem siebten bekommt man nicht mal mehr eine Verabschiedung und darf sich das Bachelorzeugnis irgendwann vom Prüfungsamt abholen und das war’s dann. Aber das kann ja jeder.
Sag mal, du studierst Geschichte, oder? Wer war eigentlich…?
Stopp! Ich studiere Geschichte, aber ich bin nicht Wikipedia oder Google. Ich kann dir nicht alle Fragen zur Weltgeschichte beantworten und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Das sind einfach die tollsten Gespräche auf Partys oder unter Freunden. Ich frag ja schließlich auch keinen Mediziner, wer Doktor House ist und wieso er nicht Krebs heilen kann. Okay okay. Meine Vergleiche sind grottenschlecht, aber der Punkt ist: Ja, ich studiere und nein, ich bin kein wandelndes Lexikon. Niemand ist das, der studiert. Aber wieso werden Geisteswissenschaftler immer als solche abgestempelt? Und nur weil ich gerne lese, habe ich nicht alle Reclambücher in Sonderausgaben Zuhause stehen und auch (noch) keine Bibliothek. Ich helfe gerne mal bei kleineren Fragen, aber nicht aus heiterem Himmel und nicht auf irgendwelchen Partys. Aber was Spaß macht, sind schlechte Geschichtswitze auf Partys, die eigentlich niemand wirklich versteht, außer Geschichtswissenschaftler.
Aber anders ist es auch nicht, wenn ich erzähle, dass ich Germanistik studiere. Plötzlich muss ich wissen, welcher Schriftsteller welches Buch geschrieben hat und wieso auf dem Lehrplan der Schulen Thomas Mann oder Max Frisch stehen. Woher soll ich das wissen?! Ich fand die Seminare an der Uni auch teilweise nervig und schwierig. Viele Schriftsteller und doppelt so viele Bücher kann ich einfach nicht mehr sehen. Würde mir einer ankommen mit „Das Nibelungenlied…“ Raus! Sofort! Ich kann weder Kriemhild noch Siegfried oder Gunther hören und schon gar nicht über diese Figuren diskutieren.
Und wieso studierst du diese Fächer dann, wenn du hier nur über sie ablästerst?
Es wird leider auch weiterhin so sein, dass ich immer wieder gefragt werde, wieso ich überhaupt angefangen habe zu studieren oder wieso ich das studiere und trotzdem nicht als Lehrerin enden will. Und meine Antwort wird immer wieder lauten: Ich studiere, weil ich studieren musste. Es war leider meine einzige und letzte Möglichkeit, in irgendeine Berufssparte zu kommen. Denn wo ich hinwollte nach dem Abi, wusste ich auch nach einem Jahr Auszeit noch nicht so richtig.
Aber was ich danach mache, ist mittlerweile meine Sache. Und wenn ich in die Medien will, dann schaffe ich das. Ich weiß, dass ich in vielem nur mittelmäßig bin, aber in meinem Studienfach bin ich verdammt gut und das werde ich jedem einzelnen zeigen, der mich belächelt, weil ich Geisteswissenschaften studiere. Und ich hoffe, dass das von jedem Geisteswissenschaftler der Anspruch ist, denn wir sind nicht doof. Und was wir da täglich in der Uni leisten, ist nicht einfach, aber verdammt genial! Deshalb muss ich zugeben, dass ich keine einzige Minute bereue zu studieren.
Schreibe einen Kommentar