Von „Whoa, bitte was?“ bis „So weit ist es schon gekommen…“, erwarte ich jede Reaktion auf diesen Titel. Sobald das Thema „Gaming“ während meiner Arbeit mit Pädagogen, Eltern oder den Kirchen aufkommt, begegnet mir immer wieder die gleiche Einstellung: „Zocken ist verspielte Lebenszeit und somit die Vergeudung unserer wertvollsten Ressource.“
Fraglich in zwei Punkten..
Fraglich in zwei Punkten..
Erstens: Verschwendung ist das, was nicht dem Sinn und Zweck dient. Doch den besitzt Gaming für viele von uns.
Zweitens: Diese Aussage ist unabhängig dessen zu hören, was Menschen als Sinn und Zweck definieren. Mit diesem Satz wird gesagt: „Zocken passt nicht in meine Lebenswirklichkeit und sie passt auch nicht in irgendeine andere Lebenswirklichkeit – sie ist für das Leben ganz und gar bedeutungslos.“
Zwischen Sinn und Zweck
In unserem Sprachgebrauch vereinen wir gerne Sinn und Zweck. Ich bin jedoch der Meinung, dass sich diese zwei Wörter leicht unterscheiden. Wenn eine Schere nicht mehr schneidet, dann hat sie noch immer einen Sinn.
Sinn verleiht Bedeutung und prägt Identität. Der Schere wurde ein Sinn gegeben – er macht sie zu dem was sie ist. Sie ist ein Schneidewerkzeug (merke: Identitätsaussage). Diesem Sinn kann sie sich nicht entsagen. Wenn sie stumpf ist, spielt das für ihren Sinn keine Rolle. Lediglich ihrem Zweck kann sie nun nicht mehr nachkommen.
Zweck ist Ausdruck des Sinns und macht ihn erkenntlich. Eine stumpfe Schere hat also noch einen Sinn (Identität=Schneidewerkzeug), kommt ihrem Zweck aber nicht nach, weil sie ihrem Sinn nicht mehr Ausdruck verleihen kann.
Wenn die Schere ihren Sinn nicht kennt und/oder ihrem Zweck nicht nachkommt, ist sie und/oder ihr Handeln wahrhaftig bedeutungslos.
Die Suche nach Sinn
Die Pubertät ist eine wegweisende, bedeutungsvolle Zeit. Die damit verknüpften Veränderungsprozesse werfen viele Fragen auf, wie z.B.: Woher komme ich und wohin gehe ich? Wozu bin ich hier und wie will ich leben? Wer bin ich und was kann ich? Es geht um die Suche nach dem eigenen Weltbild.
Sinn, wie ich ihn am Beispiel der Schere beschrieben habe, ist ein Sinn von außen; er wird gegeben. Es ist leicht, Gegenständen von außen einen Sinn zu geben. Doch mit unserer persönlichen Suche nach dem Sinn des Lebens funktioniert das nicht so leicht. „Der Sinn des Lebens ist leben.“, so beschreibt es Casper in einem seiner Songs. Es klingt so einfach und doch reicht es uns meist nicht. Wir gehen weiter auf die Suche nach der tieferen Bedeutung unseres Lebens.
Identität beziehen wir in unserer Gesellschaft häufig nicht vom Sinn von außen, sondern von innen. Von den Dingen, denen wir persönlich Sinn zuschreiben. Einfach nur ein lebendes Wesen (als Sinn von außen) zu sein, erfüllt uns halt nicht. Was uns erfüllt, ist dieses Existieren so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir beziehen unsere Identität aus unseren Bedürfnissen, die wir zu erfüllen versuchen. Aus unserem Versuch uns selbst zu verwirklichen – nach Maslow, das höchste Bedürfnis. Erfüllte Bedürfnisse drücken sich in Freude aus, denn erfolgreiche Handlungen lassen unser Gehirn Endorphine ausschütten.
Der Sinn von innen
Weil uns der Sinn von außen, also einfach nur richtungslos zu leben, nicht reicht, schreiben wir einzelnen Aspekten des Lebens einen primären Sinn zu. Den Sinn von innen, der unserem Leben Richtung geben soll. Unsere Identität ist weiterhin von außen geprägt, auf diesem Sinn von innen basierend: Wenn beispielsweise Arbeit der Sinnaspekt des Lebens ist, dann wird die Identität durch Arbeit festgelegt. Eine Identitätsaussage könnte somit lauten: „Ich bin Entrepreneur.“ Das zeigt allerdings zum einen, dass Sinn, subjektiv ist. So wie er für mich ist, existiert er eben nur für mich. Zum Zweiten bedeutet dies, dass der Sinn von innen nichts weiter als eine Zeitbewältigungsstrategie ist: wir versuchen uns so von unserer Unzufriedenheit mit dem äußeren Sinn abzulenken.
Subjektive Realität
Zocken als verspielte Lebenszeit zu bezeichnen, ist demnach nichts weiter als eine subjektive Aussage. Verpackt man diesen Satz in eine Ich-Aussage, dann wird er legitim.
Für viele Menschen aber, gerade weil Games durch ihre Mechaniken Bedürfnisse erfüllen, zu gut deutsch also Spaß machen, ist Gaming der Sinn des Lebens. „[…] if you commit suicide how would you be able to play video games and eat food?”, fragte der Profi-Gamer Dyrus im Jahr 2013 und folgte vor diesem Hintergrund nur elementarer Logik. Ob die wertvollste Ressource, die wir Menschen haben, vergeudet ist, richtet sich eben nach dem Sinn, der unser Leben definiert. Solange wir also nicht verstehen, dass Realität subjektiv zu betrachten ist, wird es uns immer schwerfallen, einen Zugang zu anderen Menschen zu bekommen.
Von Gott, dem Spielen und dem Leben
Als Christen glauben wir, dass Gott alles geschaffen hat. Sinn kann also nur von ihm gegeben sein. Auch wenn man sich über die Ausformulierung dieses Sinns im Detail streiten mag, bekommen wir direkt zu Beginn der biblischen Geschichte etwas zu seinem Zweck mitgegeben. Wir werden aufgefordert, es dem Schöpfer gleich zu tun und uns kreativ zu betätigen: Die Welt wahrnehmen, benennen und gestalten, uns an ihr erfreuen und das Leben genießen. Das Geschaffene ist Ausdruck des Schöpfers, weshalb es uns etwas über ihn verraten kann (s. Psalm 19,2-5 & Römer 1,19-21). Genauso verhält es sich mit Games und dem Spielen an sich. Auf mehr als eine Art, kann ich argumentieren, dass Games Miniaturen des komplexen Systems „Leben“ sind. Und weil Games aus dem Leben inspiriert sind, können sie uns etwas über das Leben sagen.
Games sind weder die Lösung aller Probleme noch der Untergang unserer Gesellschaft. Wenn wir sie aber ernst nehmen, sei es als Möglichkeit, das Leben zu genießen oder um etwas über die Menschen um uns herum zu erfahren, dann können sie uns ein großer Schatz sein. Unter dem höchsten Gebot der Liebe, können uns Games ein Werkzeug sein, um unserem Zweck an Gott, unseren Nächsten und uns selbst nachzukommen.
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