Das Trio „Axensprung“ folgt der Geschichte des 1930 erschienenen Romans „Heeresbericht“ von Edlef Köppen, in dem dieser seine eigenen Kriegserfahrungen schildert. Durch die Figur des Adolf Reisiger wird der Zuschauer in die Kriegswelt, in die Gedanken und Emotionen des jungen Soldaten hineingezogen. Reisiger meldet sich als Kriegsfreiwilliger, der stolz und glücklich ist, sein Vaterland verteidigen zu dürfen. Er glaubt an die Kameradschaft und daran, dass der Krieg etwas Ehrenvolles ist. Seine Einstellung wird nicht einmal dann getrübt, als der Vizewachtmeister sich über ihn, den Neuling, lustig macht und ihm sinnlose Aufgaben aufträgt, bis er versetzt wird. Er wird dem Bataillon 196 an der Westfront in Frankreich zugeteilt und dort als Richtkanonier eingesetzt. Schon auf dem Weg dorthin kommen ihm erste Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns. Doch wirklich bewusst wird ihm der Ernst der Situation erst, als einer seiner Kameraden bei seiner Feuertaufe, dem ersten Angriff den er miterlebt, schwer verletzt wird.
Reisigers Gedanken verdunkeln sich
Seine Zeit im Krieg führt ihn immer tiefer in Zweifel. Das Töten wird für ihn zur Monotonie, verliert jeden Sinn, sofern es denn einen hatte. Aber diese Einsicht braucht lange, um zu reifen. Selbst als er verletzt wird, will er so schnell wie möglich aus dem Lazarett zurück zu seiner Truppe geschickt werden. Es gelingt ihm sogar, zum Unteroffizier ernannt zu werden. Letztendlich zermürbt ihn aber der Alltag, der nur aus Töten und quälend langem Warten und Nichtstun besteht. Reisiger beginnt den „Feind“ mit sich zu vergleichen und stellt viele Ähnlichkeiten fest, insbesondere die verbindende Menschlichkeit.
Nach zwei Jahren im Krieg, hat sich seine Sicht auf die Dinge so gewandelt, dass er den Krieg als „größte Sauerei“ empfindet und sich selbst nicht mehr für einen Helden, sondern für einen Schuldigen hält. Seine Zeit im Heer endet, als er sich weigert auch nur noch einen Schritt weiter zu gehen. „Wir tragen alle Mitschuld an diesem Verbrechen!“ Reisiger will lieber erschossen werden, anstatt im Krieg weiter zu dienen. Er wird seiner Desertion wegen verhaftet und in die Irrenanstalt gesperrt.
Die Collage
Das Stück folgt nicht ausschließlich dem Roman Köppens. Die erzählenden Passagen werden unterbrochen von Gedichten August Stramms, Auszügen aus den Essays „Gedanken im Kriege“ von Thomas Mann und Briefen von Soldaten. Darunter auch solche, die von den Großvätern und Urgroßvätern der Schauspieler verfasst wurden. Die Entdeckung eben dieser Briefe inspirierte sie zu diesem Theaterstück. Im Hintergrund werden Gemälde, wie „der Krieg“ von Otto Dix und Zeichnungen von Soldaten sowie während des Krieges geschossene Fotografien und verfasste Postkarten auf die Leinwand projiziert. Die Musik wurde von Markus Voigt komponiert. Sie wird teilweise eingespielt und teilweise zwischen den Textpassagen von dem Komponisten selbst auf der Bühne erzeugt.
Die Leistung der Schauspieler zu dritt die Beklemmung einer Kriegssituation auf die Bühne zu transportieren, ist bemerkenswert. Besonders Bideller überzeugt trotz seiner 60 Jahre in der Rolle des jungen gerade erst in den Krieg gezogenen Adolf Reisiger. Er spielt alle Facetten der Figur vom anfänglichen Stolz in den Krieg ziehen und das Vaterland verteidigen zu dürfen, bis zur wachsenden Verzweiflung und Ernüchterung. An dieser Stelle übernimmt Oliver Hermann, der den geläuterten, aber langsam von der Last des Krieges erdrückt werdenden Unteroffizier Reisiger bis ins Irrenhaus leitet. Auch Voigt ist in der Rolle des vorgesetzten Offiziers Reisigers aufgegangen. Deutlich spürbar ist sein Zynismus, die Verachtung für Leben und Tod und die völlige Überzeugung von seiner Sache, denn anders ist es nicht zu rechtfertigen, den einzigen, der klar bei Verstand ist, wegsperren zu lassen.
Als Kind unserer Generation fällt es schwer, diesen blinden Gehorsam des gerade einmal 20-jährigen Reisigers zu verstehen. Unserer Generation wurde eingebläut, dass Krieg etwas ist, das sich niemals wiederholen darf und auch Patriotismus spielt kaum noch eine Rolle. Reisiger hingegen wurde in die Richtung erzogen, den Krieg als etwas Notwendiges und Ehrenhaftes zu begreifen. Es gehörte zu seinem Weltbild, dass das Töten für das Vaterland etwas Gutes sei. Die Vorstellung, dass es zwei Jahre Kriegserfahrung braucht, damit diese Ansicht ins Wanken gerät, ist für uns erschreckend. Das Stück hilft, die Mentalität der jungen Männer zu dieser Zeit zu verstehen. Jedoch ist es hinterher durch Reisigers Erfahrungen noch schwerer zu verstehen, wie sich diese Katastrophe nur wenig später zum zweiten Mal ereignen konnte.
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