Wenn ihr mich vor einem Jahr gefragt hättet, ob ich jemals alleine verreisen würde, hätte ich sofort gesagt „Niemals! Dafür bin ich nicht mutig genug.“ Im Juni dieses Jahres habe ich mich dann aber tatsächlich daran gewagt und bin eigenständig nach Dharamshala und Manali im Himalaya in Indien gereist. In dieser Zeit habe ich nicht nur viel über das Reisen, sondern auch über mich selbst gelernt, was ich nun versucht habe, in Worte zu fassen.

Du brauchst diese ganzen Klamotten nicht!
Dass ich viel zu viel Gepäck mitgenommen hatte, durfte ich schon an meinem ersten Tag lernen. Da zwischen meiner Ankunft in Delhi und der Weiterreise nach Dharamshala nur wenige Stunden lagen, ergab es keinen Sinn, noch ein separates Hotel zu buchen. Trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen, einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Schon nach wenigen Metern spürte ich jedoch, wie mein Rucksack mit jedem Schritt schwerer wurde. In diesen Stunden bereute ich es sehr, dass ich mich nicht davon abhalten konnte, so viel einzupacken. Zumal ich im Laufe meiner Reise gemerkt habe, dass ich ohnehin immer nur die gleichen Kleidungsstücke trug und manche sogar nicht einmal aus meinem Rucksack packte, was mich dazu brachte, mein Konsumverhalten grundlegend infrage zu stellen.
Du musst nicht einsam sein!
Einsamkeit ist vermutlich das, wovor sich die meisten Menschen fürchten, bevor sie sich alleine auf eine Reise begeben. Da ich ein Mensch bin, der sich schnell einsam fühlt, begann ich schon Wochen vorher darüber nachzudenken, wie gut ich wohl damit umgehen würde beziehungsweise, ob ich es überhaupt schaffen würde, damit umzugehen. Letztendlich waren meine Sorgen vollkommen unbegründet. Ich empfand es als durchaus angenehm, ein wenig Zeit nur mit mir selbst zu verbringen und meine Gedanken bewusst wahrzunehmen. Die Momente, in denen ich mich nach Gesellschaft sehnte, verbrachte ich einfach in Cafés, wo ich die Möglichkeit hatte, mich mit anderen Reisenden auszutauschen. Ohnehin trifft man unterwegs oft auf Gleichgesinnte, mit denen man das eine oder andere Wort wechseln oder sogar gemeinsame Unternehmungen machen kann.
Trotz allem wird man nicht immer von Einsamkeit verschont. Ich erinnere mich noch genau an die Nacht in meinem ersten Hotel in Manali, in der ich mich so alleine gefühlt habe wie noch nie zuvor. Das Hotel stand ungefähr drei Kilometer von Manali entfernt mitten im Nirgendwo und bot mir keinerlei Möglichkeiten, unter Menschen zu kommen. Ich habe nicht lange gezögert und umgehend versucht, eine neue Bleibe zu finden, da ich wusste, dass ich meine Zeit dort nicht hätte genießen können.
Du bist nicht auf Google und Co. angewiesen!
Es lässt sich kaum bestreiten, dass wir das Internet mit der Zeit zu einem wesentlichen Teil unseres Lebens gemacht haben. Langsam, aber sicher vergessen wir, dass wir einst ohne diese technischen Spielereien gelebt und überlebt haben. Daher war es nicht überraschend, aber dennoch erschreckend für mich zu sehen, wie verloren ich mich gefühlt habe, als in Manali eines Abends der Strom ausfiel und sich auch in den kommenden zwei Tagen nicht blicken ließ. Glücklicherweise verflog dieses Gefühl schnell, denn es ist bei Weitem interessanter, nachts in den von Sternen übersäten Himmel zu sehen oder beim Wandern dem Zwitschern der Vögel zu lauschen, als die Benachrichtigungen auf Instagram und Facebook nachzuverfolgen.
Du darfst dich sicher fühlen!
Nachdem ich in Dharamshala auf dem Weg zur Bushaltestelle von zwei jungen Männern sexuell belästigt wurde, plagten mich tagelang schwere Schuldgefühle. Tausende Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Noch bevor ich ein Wort über den Vorfall verloren hatte, hörte ich die Stimmen der Menschen in meinen Ohren erklingen. Welche Kleidung hast du getragen? Was dachtest du dir auch dabei, in Indien alleine unterwegs zu sein? Es dauerte eine Weile, bis ich begriffen hatte, dass nicht ich diejenige bin, die beschuldigt werden sollte, sondern die Männer, die es für tragbar gehalten haben, eine Frau so dermaßen respektlos zu behandeln. Schnell wandelte sich auch die Unsicherheit wieder in Selbstbewusstsein, denn ich verstand, dass Gefahren nicht an jeder Straßenecke lauern und ich mich sicher fühlen kann, solange ich aufmerksam und mir der Risiken bewusst bleibe. Immerhin verlief meine Reise sonst reibungslos und ich begegnete ansonsten nur Menschen, die mich sehr achtungsvoll behandelt haben. Lasst euch davon also nicht entmutigen, aufzubrechen und diesen unglaublichen Planeten zu erforschen. Jeden Tag bereisen Millionen von Frauen die Welt ohne, dass ihnen etwas zustößt. Wenn sie es schaffen, schaffst du es auch.
Du kannst mehr als du denkst!
Schon immer war ich ein eher schüchterner Mensch und hatte zugegebenermaßen eher wenig Selbstbewusstsein. Der bloße Gedanke an meine Reise bereite mir daher ziemliche Bauchschmerzen. Rückblickend war das natürlich vollkommen unbegründet, denn dadurch, dass ich oft sowohl physisch als auch psychisch an meine Grenzen gebracht wurde, fühle ich mich nun schon um einiges selbstsicherer.
Hin und wieder habe ich mich sogar selbst gefordert. Ich habe mich an Paragliding gewagt, obwohl ich mich vor dem Fliegen fürchte. Ich habe einen Gipfel von 2800 Metern bezwungen, obwohl ich zeitweise daran zweifelte und umkehren wollte. Ich habe mir selbst bewiesen, dass ich zu mehr fähig bin, als ich bisher von mir glaubte und es ist mir kaum möglich zu beschreiben, wie unglaublich sich das anfühlt.
Hallo Helena,
Danke für diesen spannenden Beitrag – ich überlege selbst gerade nach Indien zu reisen und dein Beitrag ermutigt mich!
Wo hast du den dort genau gearbeitet? Habe was von Suizidprävention gelesen, dass hört sich sehr spannend an :)!
Kannst du diese Einrichtung weiterempfehlen?
Liebe Grüße
Sophie
Hallo Sophie,
es hat mich sehr gefreut zu lesen, dass mein Beitrag dich dazu ermutigt hat!
Ja, ich habe bei Connecting NGO in Pune gearbeitet. Diese Organisation hat verschiedene Programme (Helpline, Suicide Survivor Support Program sowie das Peer Educator Program an Schulen)! Die Einrichtung ist auf jeden Fall empfehlenswert, wenn du selbstständig arbeiten oder vielleicht sogar eigene Projekte durchführen möchtest. Es gibt auch genug Möglichkeiten einen Einblick in die verschiedenen Programme zu bekommen. Kontaktiere Connecting NGO doch einfach mal über ihre E-Mail Adresse (connectingngo@gmail.com). 🙂
Liebe Grüße
Helena