Oft werden wir als entweder extrovertiert oder introvertiert abgestempelt. Was aber, wenn man sich weder völlig wie das eine noch das andere fühlt? Du könntest ein ambivertierter Mensch sein. Ich beschreibe hier einige Punkte aus persönlicher Erfahrung, mit denen sich auch viele andere Ambivertierte identifizieren können.

Die letzten Jahre war ich oft verwirrt, wenn ich über mich selbst, mein Verhalten und meine Gefühlslage in verschiedenen sozialen Situationen nachgedacht habe. Mal war ich ein sozialer Schmetterling und dann wieder ein Einsiedlerkrebs, immer abhängig von meiner Tagelaune, meiner Umgebung, den Menschen und noch weiteren unbewussten Faktoren. Umso erleichterter war ich dann, als ich zum ersten Mal von der Bezeichnung „extrovertierter Introvertierter“ oder auch „ambivertiert“ gehört habe. Sie beschreibt Menschen, die regelmäßig zwischen Introversion und Extroversion schwanken. Nun könnte man behaupten, dass alle Menschen in verschiedenen Situationen mal introvertierte, mal extrovertierte Verhaltensmuster aufzeigen. Jedoch bin ich der Meinung, dass ambivertierte Menschen dabei in den meisten Situationen immer ähnlich reagieren. Folgend beschreibe ich einige Merkmale, die sehr typisch für uns sind.
Wir sind gerne allein, aber nicht einsam
Ambivertierte verbringen gerne Zeit alleine. Das bedeutet nicht, dass wir uns einsam fühlen, solange diese Situation von uns so gewählt wurde. Wir brauchen Zeit mit und für uns selbst, um wieder aufzutanken, vor allem nach Situationen, in denen wir lange von vielen Menschen umgeben waren. Wenn wir allerdings gerne Gesellschaft hätten und stattdessen aber alleine zuhause sitzen, weil niemand für uns Zeit hat, fühlen wir uns einsam. Manchmal wünschen wir uns, jemanden bei uns zu haben, aber irgendwie wollen wir auch eigentlich alleine sein. So laden wir am Sonntag unseren besten Freund zum Mittagessen ein, sind dann aber auch froh, wenn er nach zwei Stunden wieder nachhause geht und wir uns mit einem Buch im Bett verkriechen können. Bekommen wir nicht genug Zeit alleine, fühlen wir uns schnell ausgelaugt und unausgeglichen.
Unsere Geselligkeit hängt von vielen Faktoren ab
Unsere Position auf dem Spektrum ändert sich meistens mit unserer Umgebung und damit auch den Menschen, die uns umgeben. Wir können beispielsweise im Umgang mit nahestehenden Personen wie unserer Familie sehr kommunikationsfreudig und gesellig sein, aber zurückhaltender und bedachter in einem beruflichen Umfeld. Unser Verlangen nach Gesellschaft kann sich auch mit einem Schlag ändern. Heute noch können wir es kaum erwarten mit unserer besten Freundin abends zu kochen und einen Film zu schauen, am darauffolgenden Tag haben wir jedoch oft keine Lust weder einen Kaffee mit ihr trinken zu gehen noch sie auf eine Party zu begleiten.
Im kleinen Kreis fühlen wir uns wohl
Große Gruppen rauben uns oft unsere Energie. Deshalb umgeben wir uns lieber mit wenigen Menschen, manchmal auch nur mit einer anderen Person, mit der wir uns wirklich verbunden fühlen. Das gibt uns die Möglichkeit, über Smalltalk hinauszugehen und bedeutungsvollere Konversationen zu führen. In großen Gruppen ziehen wir uns oft zurück und nehmen eine stille Zuhörer- und Beobachterposition ein. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir schüchterne Menschen sind, sondern nur, dass unser Energielevel gerade nicht hoch genug ist, um mit so vielen Menschen gleichzeitig zu interagieren oder nur in bedeutungsloses Geplapper abzudriften. Im Gespräch zu zweit können wir jedoch völlig aufgehen und gar zur Quasselstrippe werden, wenn Themen wie unsere Leidenschaften oder Interessen aufkommen. Wenn wir uns in unserer Umgebung wohlfühlen, können wir uns stundenlang unterhalten, sind gute Zuhörer und stören uns aber auch nicht an Momenten der Stille.
Wir finden andere Menschen faszinierend, aber auch anstrengend
Ambivertierte verbringen sehr viel Zeit in ihrer eigenen Gedankenwelt. Wir sind sehr aufmerksam und überanalysieren alles, was andere sagen, beobachten ihre Gestik und Mimik und versuchen dadurch sie besser zu verstehen. Es macht uns Spaß, Menschen auf tieferen Ebenen kennenzulernen und zu erfahren, was sie beispielsweise wütend oder glücklich macht, um dann darauf eingehen zu können. Es ist uns wichtig, dass sich andere in unserer Umgebung wohlfühlen. Da wir selbst empfindlich auf unsere Umgebung reagieren, achten wir stets auf die richtige Atmosphäre. Dieses ständige, intensive Auseinandersetzen mit anderen Menschen und unserem Umfeld kann jedoch sehr anstrengend sein und unsere sozialen Batterien schnell ausbrennen lassen. Hab Geduld mit uns, wenn wir nach einem Gruppenausflug keine Lust haben, noch gemeinsam etwas trinken zu gehen oder uns nur stillschweigend dazu setzen.
Falls du dich in den beschriebenen Aspekten wiedererkennst, brauchst du nicht überrascht sein. Laut einer Studie von Adam Grant, einem Psychologieprofessor an der Universität von Pennsylvania, sind zwei Drittel aller Menschen ambivertiert und lediglich ein Drittel nur introvertiert oder nur extrovertiert. Ambivertierte schaffen damit also die Balance zwischen beiden Extremen.
Sehr schöner Artikel! Kann ich mich durchaus mit identifizieren! 🙂