Lower Manhattan. Dort wo einst die Türme des World Trade Center standen, tummeln sich heute jeden Tag Tausende Menschen, die sich um das 2011 eröffnete 9/11 Memorial scharen. So viele Jahre sind die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York nun schon her. Sie haben die Stadt gezeichnet, traumatisiert und verändert.
Vor meinem New York Aufenthalt hätte ich nicht gedacht, dass mich das Thema 9/11 noch einmal so bewegen würde. Natürlich weiß ich selbst noch genau, wie ich vor vierzehn Jahren von den Anschlägen erfahren und wie sehr mich diese schon damals beschäftigt haben. Doch wenn man dann erst einmal vor Ort ist und in der Stadt lebt, in der so etwas Furchtbares passiert ist, man selbst in einem der vielen Hochhäuser arbeitet und der zuständige Officer bei der Notfallübung des eigenen Bürogebäudes nicht nur auf Gefahren wie Feuer, sondern insbesondere auf die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich eines möglichen terroristischen Anschlags hinweist, wird man noch einmal auf eine ganze andere Art und Weise mit dem Thema konfrontiert. Noch immer ist es in der Stadt allgegenwärtig.
Ein neuer Anfang
Gefühlt allgegenwärtig ist in New York inzwischen auch das neue One World Trade Center, das im November letzten Jahres eröffnet wurde und nun mit seinen 541 Metern und 104 Stockwerken derart über der Stadt thront, dass man es bei einem Spaziergang durch die Straßen immer wieder zwischen den Häuserschluchten erspähen kann und über die anderen Wolkenkratzer hinausragen sieht. Es soll das sicherste Gebäude der Welt sein, mit unter anderem Scheiben aus Panzerglas und einem 57 Meter hohen Betonsockel, der Detonationsauswirkungen auffängt und somit Erschütterungen und Explosionen standhalten kann. Gleichwohl waren bei dessen Eröffnung gerade einmal 60 Prozent der Bürofläche vermietet. Bis 2019 sollen es 95 Prozent werden. Einer der bekanntesten Mieter ist dabei unter anderem der Condé Nast Verlag (Vogue, Vanity Fair, GQ), der inzwischen die Stockwerke 20 bis 44 bewohnt.
Sicherstes Gebäude hin oder her – allein die dunkle Vergangenheit ist der Grund dafür, dass sich die Büroflächen so schlecht vermieten lassen. Viele wollen nicht an diesen Ort oder nicht mehr an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren. Gerade erst hat eine kleine Gruppe Staatsbediensteter im Manhattan Federal Court Klage gegen den Umzug ihrer Behörde in das One World Trade Center eingereicht. Aus Angst vor einem weiteren terroristischen Anschlag wollen sie damit den Umzug ihres Arbeitgebers, der bereits einen Zwanzig-Jahre-Vertrag abgeschlossen hat, stoppen. Verübeln kann man es ihnen nicht.
Ein Ausblick der seinesgleichen sucht
Abzuwarten bleibt, ob sich die knapp vier Milliarden Dollar, die der Bau des One World Trade Centers gekostet hat, in Zukunft rentieren werden. Ein Teil der Ausgaben soll dabei durch Einnahmen der im Mai 2015 eröffneten Aussichtsplattform auf den Stockwerken 100 bis 102 gedeckt werden. An ähnlichen Modellen, wie beispielsweise der Aussichtsplattform des Empire State Buildings, kann man sehen, dass sich eine solche lohnen kann. Tatsächlich nimmt das Empire State Building 40 Prozent seiner jährlichen Einnahmen allein durch den Betrieb der Aussichtsplattform ein. Auch das Observatory Deck des One World Trade Centers ist bereits ein Publikumsmagnet und man kann es nicht anders sagen, der atemberaubende 360 Grad Blick vom höchsten Gebäude der westlichen Hemisphäre sucht seinesgleichen. Da wirken sogar die höchsten Wolkenkratzer der Stadt plötzlich wie kleine Miniaturbauten und bei gutem Wetter kann man über die Stadtgrenzen hinaus bis zu 65 Kilometer weit blicken.
Ein würdiger Gedenkort
Von dort oben sieht man nicht nur die Stadt aus verschiedenen Blickwinkeln, sondern kann von hier aus ebenfalls auf das 9/11 Memorial hinabblicken, welches sich direkt neben dem One World Trade Center befindet und aus zwei Brunnen in Form der exakten Grundrisse – sozusagen als “Fußstapfen” – der ehemaligen Türme besteht. Wenn man das ruhig fließende Wasser betrachtet, das in jeweiligen Einkerbungen in der Mitte der beiden Brunnen verschwindet, kann man sich kaum noch vorstellen, was für ein unglaublicher Trümmerhaufen sich hier einmal befunden hat. Doch die Stimmung an diesem Ort ist bewegend. Angemessen bedrückend. Insbesondere wenn man sich ehrfürchtig die einzelnen Namen der Verstorbenen durchliest, die in der Kupferumrandung der beiden Brunnenbecken eingelassen sind. Dabei sind manche Nachnamen mehrmals abgebildet und man kann sich nur allzu realistisch vorstellen, wie eine Familie hier vor vierzehn Jahren womöglich ihre beiden Söhne oder Kinder ihre Eltern verloren haben.
Die Wandlung
Viele, mit denen ich gesprochen habe, erzählten mir von Personen, die damals in einem der Türme gearbeitet haben. Beinahe jeder meiner Gesprächspartner schien zumindest entfernt einen der ca. 50.000 Menschen zu kennen, die damals im World Trade Center arbeiteten. Manche verloren an diesem Tag einen guten Freund, ehemaligen Kollegen oder eine flüchtige Bekanntschaft. Doch jeder von ihnen wollte über das Thema sprechen, fand mein Interesse daran gut und berichtete ausführlich darüber als sei es gestern gewesen. Sie alle wussten noch genau, wie sie von den Anschlägen erfuhren, wo sie sich aufhielten und wie die gesamte Stadt innerhalb weniger Stunden regelrecht gelähmt wurde – in einen Schockzustand versetzt wurde, der noch lange nach dem 11. September anhielt. Tief im Herzen wurden New York und seine Einwohner an diesem Tag getroffen. Manche verließen die Stadt danach endgültig. Geblieben sind Bilder, die sich für immer ins Gedächtnis eingebrannt haben.
Danach habe sich die Stadt verändert, erklärte mir eine Kollegin. Und damit meinte sie nicht nur die akribischen Sicherheitskontrollen an Flughäfen und staatlichen Gebäuden oder die berühmte Skyline. Früher sei New York tough gewesen, meinte sie. Furchtlos und unbesiegbar. Und mit der Stadt auch ihre Menschen. Niemand habe sich um die Interessen der anderen geschert. Als Einzelkämpfer habe man hier am besten gelebt. Doch plötzlich waren sie alle angreifbar, verwundbar und – viel schlimmer noch – bereits verwundet. Ein Grund dafür, weshalb die Stadt und die Mentalität ihrer Menschen heute eine andere sei als noch vor 14 Jahren. Manchmal schaue auch sie sich an überlaufenen Plätzen oder New Yorker Sehenswürdigkeiten noch bedacht um. Allein das Bewusstsein, dass der Stadt einmal so etwas Schreckliches wiederfahren konnte, sitze allen von ihnen auch noch über ein Jahrzehnt nach den Anschlägen tief in den Knochen. Doch die New Yorker seien zusammengewachsen. Allem voran habe jedoch jeder ein ganz neues, besonderes Verhältnis zu New York entwickelt. Eine Verbundenheit, die man zuvor nicht kannte. Die Verbundenheit zu einer neuen, einer veränderten Stadt.
Ich selbst habe New York nur als diese “veränderte” Stadt kennen gelernt. Doch gerade in einer schnelllebigen Stadt wie New York kommt man um dieses Gefühl nicht umhin, dass sie sich ständig verändert. Sich erneuert und weiterentwickelt. Gerade das ist es, was New York letztendlich ausmacht und weshalb sie zu einer der interessantesten Städte der Welt gehört. Einer Stadt, die sich selbst geheilt hat. Durch einen Prozess, der auch heute noch anhält und dort auch noch immer zu spüren ist.
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