Ein Therapiepatient ist kein Auto, das in eine Autowerkstatt gebracht wird und danach wieder einwandfrei funktioniert. Eine Therapie ist ein Lernprozess, der teilweise fast ein Leben lang anhalten kann. Dessen müssen sich Betroffene bewusst sein. Ein Erfahrungsbericht. (Trigger Warnung: Soziale Ängste, Depression, SVV).

Menschen gehen nicht selten davon aus, dass man nach einer Therapie vollständig geheilt ist. Ganz so einfach ist das aber nicht. Ein Patient ist schließlich kein Auto, das in eine Autowerkstatt gebracht wird und danach wieder einwandfrei funktioniert. Genauso wenig lässt es sich mit einer Wundheilsalbe vergleichen, nach dessen Benutzen sich die Haut sofort besser anfühlt. Eine Therapie ist ein Lernprozess, der teilweise fast ein Leben lang anhalten kann.
Bevor ich vor fast zwei Jahren eine Verhaltenstherapie anfing, herrschte in meinem Kopf ein unkontrollierbares, emotionales Chaos. Die sozialen Ängste und depressiven Episoden, die mich nun schon mehr als zehn Jahre durch das Leben begleiten, hatten mich damals vollkommen im Griff. Egal was sie mich glauben lassen wollten, ich lies mich vollständig davon einnehmen. Es ging so weit, dass ich teilweise nicht einmal mehr verstand, wo die Realität aufhörte und meine irrationalen Assoziationen begannen. Der Drang, mir selbst zu entfliehen, wurde dadurch zunehmend größer.
So fing ich schon früh an, mich selbst zu verletzen. Wenn du nicht weißt, wie du mit dir selbst und deinen Gefühlen umgehen sollst, wendest du dich einfach schnell Verhaltensweisen zu, die dir selbst schaden und hoffst, darin eine Lösung oder fast schon einen Rückzugsort zu finden. Natürlich ändert sich dadurch absolut nichts an deinem Zustand. Es verschlimmert ihn lediglich. Das weiß ich jetzt auch. Für mein damaliges Ich war ein Leben ohne diese Mechanismen jedoch alles andere als vorstellbar.
Laufen lernen
Wenn ich so zurückblicke, war es auch keine Entscheidung, die von einem Tag auf den anderen eine Veränderung hervorgerufen hat. Es ist mehr so nebenher passiert. Je länger ich in der Therapie war und je mehr ich mich mit mir selbst auseinandergesetzt habe, desto einfacher wurde es. Genauso fiel es mir nach und nach leichter, meine Gedanken und Gefühle zu regulieren. Im Endeffekt verhält sich das nicht viel anders als bei der Behandlung eines gebrochenen Beins. Niemand wird von dir erwarten, dass du direkt nach dem ersten Arztbesuch sofort wieder richtig laufen kannst. Niemand hinterfragt deine Krücken oder deinen Gips. Auch bei einer Psychotherapie müssen Patient*innen erst wieder richtig laufen lernen.
Erst kürzlich musste ich feststellen, dass ich vermutlich immer wieder mit diesen Angewohnheiten konfrontiert sein werde. Nachdem ich vor wenigen Wochen umgezogen war und das familiäre Studentenwohnheim hinter mir lassen musste, fiel ich für ein paar Tage in ein emotionales Loch. Auch wenn mein neues Zuhause mich sehr glücklich macht, fühlte ich mich schrecklich einsam und fand mich schnell in altbekannten Gedankensträngen wieder. Ein Glas Wein könnte helfen. Wenn ich mir in die Haut schneide, ist es vielleicht besser. Früher wäre ich sofort darauf angesprungen, ohne es großartig zu reflektieren. Schließlich hatte ich nie gelernt, wie ich sonst mit solchen Gefühlen und Gedanken umgehen soll. Das hat sich mit der Verhaltenstherapie geändert. Nun reflektiere ich das, was in meinem Kopf vorgeht und erinnere mich daran, dass diese Verhaltensweisen nur eine kurze Erlösung bieten. Anstatt meinem Körper zu schaden, konzentriere ich mich auf Dinge, die mir gut tun wie Musik oder Yoga. Was hilft, muss dabei jeder für sich selbst herausfinden. Es gibt kein Geheimrezept, kein Universal-Heilmittel.
Der einzige Komfort
Es sind allerdings nicht nur die Verhaltensweisen, die schwer abzuschütteln sind, sondern auch die Gefühlswelt. Diese dunkle Wolke, von der immer so schön die Rede ist, gibt mir immer noch einen gewissen Komfort, denn sie ist im Prinzip das Einzige, was ich je richtig gekannt habe. Die einzige Konstante in meinem Leben. Ich habe mich darin eingerichtet und der Auszug fällt mir schwer; zumindest das Packen des letzten Umzugskartons. Es fühlt sich manchmal immer noch wie ein gewisses Sicherheitsnetz an. Sobald ich mich in einer mir unbekannten Situation befinde, suche ich darin Zuflucht. Das ist eine weitere Falle, die ich immer wieder gut reflektieren muss, da ich dabei schnell in eine Spirale rutschen kann, die mich wieder dorthin bringt, wo ich vor meinem Therapiebeginn war.
Abgesehen davon ist es auch einfach unglaublich schwer, sich von Denk- und Verhaltensweisen zu lösen, die über Jahre hinweg verinnerlich worden sind. Ohne die Verhaltenstherapie wäre es für mich nie möglich gewesen, mein Gehirn dahingehend umzuprogrammieren. Der Film, der sich in meinem Kopf abspielte, hatte meine Sicht zu sehr verzerrt. Das ist der Vorteil am Spektrum der verhaltenstherapeutischen Methoden. Die Verhaltenstherapie geht nämlich davon aus, dass jedes Verhalten nach gleichen Prinzipien erlernt, aufrechterhalten und auch wieder verlernt werden kann. Mit Verhalten sind dabei nicht nur äußere Aktivitäten, sondern auch innere Vorgänge wie Gefühle gemeint. Die einzige Voraussetzung sind eben ein Wille zur Veränderung und Partizipation.
Ein Versprechen an uns selbst
Wie wir gesehen haben, ist es bei einer Therapie wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass nicht sofort wieder alles in Ordnung sein wird. Eine Therapie ist ein Prozess, an dem sich Betroffene aktiv beteiligen müssen. Rückfälle passieren. Was dabei zählt, ist, dass das Ganze nicht als eine Niederlage, sondern eine Lernerfahrung betrachtet wird. Es ist keine Schande zu stolpern, solange danach nicht wieder der altbekannte Weg eingeschlagen wird. Ich habe mir selbst das Versprechen gegeben, mich nicht wieder an den Ort zu bringen, an dem ich vor Therapiebeginn befunden habe und mich besser um mich selbst zu kümmern. Dieses Versprechen werde ich einhalten. Wirst du das auch?
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