
Auf der Suche nach der Unbeschwertheit
Wann fangen wir an, Nährwerte zu zählen, anstatt beherzt in ein Schokocroissant zu beißen? Wann hören wir auf, laut in der Öffentlichkeit zu lachen, wann fangen wir an, den Tag X in drei Wochen zu planen?
Irgendwann im Leben scheint ein Punkt zu kommen, an dem wir aufhören, im Moment zu leben. Ein Zeitpunkt, an dem wir die Unbeschwertheit gehen lassen. Wohin?
Dass wir viel von unseren Jüngsten lernen können – Neugier, Entdeckerlust, Offenheit – ist mittlerweile bekannt. Aber Kinder sind keine fremde Spezies, wie etwa Vögel, von denen wir uns die Aerodynamik abschauen, oder Kaninchen, die unsere Vorbilder beim Tunnelbau sind. Wir alle waren einmal Kinder, und haben uns alle mehr oder weniger bewusst entschieden, die Unbeschwertheit gehen zu lassen.
Warum?
In gewissem Maße ist diese Entwicklung natürlich und notwendig. Erwachsene Menschen sind in unserer Gesellschaft Verantwortungsträger. Wer verantwortlich handelt, muss Folgen abschätzen, muss Handeln abwägen und vorausschauend planen. Schon mit der Einschulung beginnt es: Zeitmanagement bei den Hausaufgaben, Sätze aus den Mündern der Älteren wie: ,,Denk an deine Altersvorsorge!” und politische Forderungen für mehr Nachhaltigkeit tun ihr Übriges. Ihr Übriges dazu, dass wir immer weniger das Jetzt genießen. Unsere Unbeschwertheit verlieren wir an dem Punkt, an dem wir diese Philosophie auf unser ganzes Leben übertragen und uns fragen:
Was wenn ich von dem Stück Kuchen zwei Kilo zunehme? Was, wenn ich mich kurz vor dem Bewerbungsgespräch bekleckere? Was wenn mein Geschenk nicht gut ankommt? Was wenn übermorgen der Strom ausfällt?
Die Unbeschwertheit ist bedroht. Sie verschwindet schleichend, gar unauffällig. Und viele vermissen sie nicht einmal. Verschwunden zwischen Zeitplänen, Zukunftsängsten und Kalkulationen. Aber es gibt Hoffnung! Die Unbeschwertheit und die Unbefangenheit sind nicht vom Aussterben bedroht, sondern nur von dem Vergessenwerden. In dem Wort Unbefangenheit steckt das Wort ,,gefangen”. Den Schlüssel zum Freilassen unserer einstigen Fähigkeiten haben wir selbst. So einfach, wie einen Schlüssel im Schloss zu drehen, ist es dann doch nicht. So langsam die Unbeschwertheit gegangen ist, so lange braucht sie auch, um wiederzukommen.
Wie?
Einst verjagt, ist die Unbeschwertheit ein scheues Tier. Aber sie lässt sich locken. Mit Achtsamkeit, dem Bewusstwerden des Hier und Jetzt. Was sich anhört wie eine Psychotaktik, meint eigentlich nur das Hören von Vogelgezwitscher, das Sehen von Regentropfen, die die Fensterscheibe herunterlaufen, das Schmecken von Salz auf dem Brezel oder das Spüren von kitzelnden Sonnenstrahlen.
Im Grunde genommen ist es einfacher als man glaubt, und das ist gerade das Schwierige. Die Leichtigkeit ist uns zu schwierig geworden, so paradox das auch klingen mag. Es geht auch darum, die oben genannten Fragen zu ersetzen, so lange, bis sie zu neuen Gedanken werden. Zu fragen: Was rieche ich gerade? Welche Geräusche kann ich mit geschlossenen Augen verorten? Was freut mich? Achtsamkeit ist ein To-Go-Konzept, das ohne Ausreden auskommt. Ich kann im Stau auf dem Weg zur Arbeit die schönste Autofarbe in der Warteschlange vor mir aussuchen. Ich kann zwischen zwei Terminen das Klacken meines Absatzes auf dem Flur hören. Ein bisschen mehr im Hier und Jetzt leben: So einfach und schwer zugleich.
Dieser Beitrag wurde finanziell möglich gemacht durch das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg. Schaut Euch auch die Homepage an: http://institut-walberberg.de/index.php?cID=1
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