Du fragst dich, ob du einen Angehörigen auf einer geschützt-geschlossenen Station einer psychiatrischen Klinik besuchen kannst? Dir wird mulmig, wenn du überlegst, was hinter den oftmals großen Stahltüren passiert? Oder warst du vielleicht schon mal selbst Patient/in dort? Ich war es, zumindest für beinahe drei lange Monate. Im Artikel bekommst du Einblicke hinter die Kulissen und Informationen, worauf du bei einem Besuch dort achten kannst.
Achtung: Jede intensivpflegerische, geschützte Station variiert in ihren Strukturen und Vorgehensweisen. Ich berichte lediglich von meinen Erfahrungen. Außerdem beinhaltet der Artikel leidvolle Themen. Überlege dir, ob du weiterlesen willst.
„Packen Sie sich das Allernötigste zusammen…!“
Der Arzt schaute mich mit diesen Worten an. Ich verstand nicht, was er von mir wollte. Gerade noch erzählte ich von meinen starken Stimmungsschwankungen und dass ich schon „irgendwie lebensmüde“ wäre. „Sie gehen auf Station 1!“, behelligte er mich. „Station 1?“, fragte ich mich immer wieder.
„Welche Station 1?“ Als alle anderen Patienten auf ihre Zimmer mussten und ich mit meinen fünf Sachen ausgestattet über mehrere Flure geführt wurde und schließlich vor einer grauen, massiven Stahltür mit einem Glaseinsatz stand, dämmerte es mir: „Das ist die Geschlossene!“
„Au Backe…jetzt bin ich gefangen!“
In diesem Moment krachte die Tür ins Schloss und mir wurde klar: „Hier kommst du heute nicht mehr raus!“ Panik stieg in mir hoch. Mein Puls raste. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Meine restlichen Sachen sind aber noch auf der anderen Station!“, kreischte ich. Später wurde mir meine Habseligkeiten gebracht. Nun war es endgültig, dass ich einige Zeit auf der geschützten Station verbringen würde.
Mein erster Lichtblick
In der geschützten Abteilung angekommen, wurden die mitgebrachten Sachen kontrolliert. Alles, was zu einer Verletzung führen konnte (zum Beispiel Scheren, Rasierer, Föhn usw.), mussten abgegeben werden. Auch elektronische Geräte, wie Smartphones, Laptops etc., wurden eingelagert.
Bei Bedarf konnte man sie aber von den Pflegekräften erbeten. Ich war derart perplex von dieser „neuen, seltsamen“ Welt, sodass ich mich erstmals in einen Gemeinschaftsraum stürzte, in dem ich ein schickes, schwarz poliertes Klavier vorfand. Wow! Ich war schwer beeindruckt und konnte für einen Moment das Eingeschlossen-Sein vergessen.
Der Alltag kommt
Aber auch das Klavier konnte mich allmählich nicht mehr bei Laune halten. Ich kämpfte mit aller Macht, irgendwie doch noch aus dieser geschlossenen Abteilung zu kommen, bis ich mich schließlich mit der Situation arrangierte. In mir kehrte ein bisschen Ruhe ein. „Jetzt bin ich hier!“, sagte ich mir zuversichtlich. Langsam öffnete ich mich für meine Mitpatienten und fühlte mich unter ihnen wohl.
Mein Blick öffnete sich für sie und ich erkannte, dass hier nicht „Versager“ waren. Das war nämlich meine Meinung zuvor. Ich erinnerte mich an diverse Sportaktivitäten auf der offenen Station. Einmal kam eine Frau, die sehr mitgenommen aussah. Durch das Tuscheln erfuhr ich, dass sie von Station 1 war. Innerlich nahm ich mir vor: „So will ich nie aussehen. Dort will ich nie landen auf der Geschlossenen!“
Wir sitzen im gleichen Boot
Nun lernte ich aber, meine Vorbehalte gegenüber Mitpatienten abzubauen. Sie waren, genauso wie ich während dieser Zeit, in einer schweren Krise und waren Menschen wie du und ich. Von jeder Alters- und Berufsgruppe waren Menschen dort versammelt. Ich habe begonnen, mich mit ihnen zu unterhalten und bekam somit einen tieferen Einblick in ihr Leben und in die Strukturen der geschützten Station.
Bunter Trubel und doch die Leere
Und ja, es flogen auch Tassen durch die Gegend, weil ein Patient mit dem Arzt nicht einverstanden war. Auch wurden Fluchtversuche unternommen oder die Badewanne mit Zeitungsschnipseln verstopft. Aber in Summe keimte schon morgens die Angst in mir hoch: „Wie überlebe ich diesen Tag?“ Noch in diesen Gedanken klopfte es an die Türe: „Morgenvisite!“, rief eine Pflegekraft. Morgens wurden die Ausgangszeiten besprochen.
„Darf ich heute eine halbe Stunde raus?“, versuchte ich panisch auszuhandeln. Innerlich raunte ich mir zu: „Du darfst nicht so panisch wirken, sonst darfst du nicht raus!“ „Nein, Sie bleiben heute besser noch hier drin!“ Enttäuscht versuchte ich, meinen Alltag drinnen zu gestalten, zum Beispiel in Gesprächen mit Mitpatienten, mit einem Bücherregal, mit Spielen und mit eben meinem heiß geliebten Klavier. Im Gemeinschaftsraum gab es einen Tischkicker und auch die Möglichkeit, fernzusehen.
Schockmoment: Erinnerung an die Welt „draußen“
Ich war derart in einer anderen Welt, sodass ich meine Welt „draußen“ völlig vergaß, bis mir plötzlich einfiel, dass ich mich um diverse Angelegenheiten kümmern musste. Es war klar, dass ich längere Zeit krank sein werde und mein WG-Zimmer auflösen musste. Auch wurde mir schlagartig mit einer Mahnung bewusst, dass ich meine Bücher nicht rechtzeitig in die Bücherei gebracht habe.
An dieser Stelle kann ich nur die Empfehlung geben, seine Angehörigen mit einzubeziehen. Ich habe das leider viel zu spät gemacht, weil ich mich zum ersten Mal in so einer Situation befand. Erstelle am besten eine To-Do-Checkliste mit einem nahestehenden Menschen, falls du dich in der gleichen Situation befindest.
Ich lasse los
Mit der Zeit stellte sich bei mir immer mehr eine Entspannung ein und ich überdachte mein Leben. Immer wieder bekam ich auch Besuch. Entweder von Mitpatienten der offenen Stationen oder Besuch von Angehörigen. Die Mitpatienten zeigten wenig Scheu und besuchten mich gerne. Sie kannten sich bereits in psychiatrischen Strukturen aus. Bei meinen Angehörigen war das allerdings anders.
„Oh Gott, was passiert hier?“
Erst Jahre später berichtete mir eine liebe Freundin nach einem Besuch bei mir, dass sie heulend nach Hause fuhr. Sie meinte, dass sie mich am liebsten mitgenommen hätte. Leider ging es mir zum damaligen Zeitpunkt zu schlecht dafür. Auch meine Eltern waren dankbar, dass ich in einer geschützten Unterkunft war, weil sie sich mit meinem Zustand hilflos fühlten.
Kleine Inforunde zum Besuchen
Wenn du eine/n Freund/in oder einen Angehörigen auf einer geschützten Station besuchen möchtest, erkundige dich, ob dein Besuch erwünscht ist. Dann kannst du die Besuchszeiten erfragen, da in manchen Zeiträumen Therapien – beispielsweise eine Ergotherapie oder Psychotherapie – stattfinden. Wenn du etwas mitbringen möchtest, sei dir bewusst, dass du Tüten oder potentielle, verletzende Gegenstände abgeben musst. Wenn du magst, kannst du dich im Voraus erkundigen, was dein/e Freund/in braucht oder sich wünscht.
Ich war zum Beispiel immer dankbar für Obst, weil es das nur sehr spärlich dort gab. Eine Freundin hat mir auch mal einen Friseurbesuch ermöglicht oder mich in ein Restaurant eingeladen. Das ist aber abhängig davon, ob man Ausgehzeiten hat. Wenn du externe Ausflüge mit dem Patienten machst, halte bitte die Uhr im Blick. Wenn ihr nämlich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurückkehrt, wird die Polizei eingeschaltet.
Im Fall, dass der Patient keine Ausgangserlaubnis hat, kann man Spiele mitbringen oder den Gartenzugang nutzen, falls auf dieser Station einer vorhanden ist. Ich war immer dankbar, wenn jemand von „draußen“ kam und mir davon berichtete, was er gerade in seinem Leben durchlebte. In Summe habe ich kurze, regelmäßige Besuche als angenehm erlebt.
Angehörigengespräche
Oftmals werden Angehörige zu Gesprächen eingeladen, um mit den Ärzten über die Erkrankung und die weiteren Behandlungsmöglichkeiten zu sprechen. Hierfür kann ich empfehlen, sich vorher Fragen aufzuschreiben und sich Rat – zum Beispiel in Angehörigengruppen oder bei Fachexperten – zu suchen. Auch finde ich es hilfreich, seine eigene Position, zum Beispiel als Mutter oder Vater, nicht vollständig zu verlassen.
Meine Eltern berichten heute, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt völlig auf die Meinung des Arztes verlassen haben. Dadurch, dass sie sich selbst nicht auskannten, legten sie mein Leben völlig in die Hand des Arztes. Jahre später und nach einigen Therapien stellte sich eine andere Diagnose heraus.
Vorbehalte ablegen lernen
Bei ein paar Menschen, die mich auf der geschlossenen Abteilung besuchten, nahm ich einen Aufatmer wahr, als sie diese Station verlassen konnten. Einige Jahre später fragte ich nach, wie es ihnen dort ergangen war. „Es war so trostlos dort!“ und „Ich war einfach froh, wieder draußen zu sein“, wurde mir berichtet. Das verstehe ich zutiefst. Auf Nachfrage bei den Verantwortlichen, warum die Station so trostlos wäre, wurde mir gesagt, dass sie reizarm gestaltet ist und dass sich die Patienten dort nicht „zu wohl“ fühlen sollen.
Aber was passiert denn nun hinter den grauen Stahltüren?
Im Grunde genommen wird hier versucht, Menschen zu stabilisieren, die in einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung stecken. In meinem Fall war die ausreichende Führbarkeit auf offener Station nicht mehr gegeben, was die Verlegung auf die geschützte Station bedeutete. Auch schwer alkoholisierte Menschen lernte ich dort kennen oder Leute, die von der Polizei gebracht wurden.
Manche sind nur auf der „Durchreise“ in eine andere psychiatrische Klinik und wiederum andere wurden vor einem Suizid bewahrt. Je nachdem, in welcher (Stabilisierungs-)Phase man sich als Patient befand, konnte man an Therapien teilnehmen. Gelegentlich fand auch eine Gymnastikgruppe im Stuhlkreis statt. Gerne habe ich die Seelsorgegespräche angenommen, weil ich dadurch die Station mal verlassen durfte.
Manchmal ergab es sich auch, mit einer Pflegekraft oder mit einem FSJler einen Spaziergang machen zu dürfen. Sobald man ein gewisses Niveau an Stabilität erreicht hatte, wurde eine Verlegung auf eine offene Station oder andere Maßnahmen in Erwägung gezogen.
Was ich mir anders gewünscht hätte
Im Nachhinein hätte ich mir als Patientin dort gewünscht, dass meine Meinung auch gezählt hätte. Ich kam mir auf der Station ziemlich ohnmächtig vor, weil mir gesagt wurde, dass ich mich selbst nicht einschätze könnte. Trotzdem bin ich dankbar, in dieser schweren Krise einen geschützten Ort gehabt zu haben und ich bin froh, so viele besondere Menschen kennengelernt zu haben.
Habt ihr noch Fragen?
Dann stellt sie gerne in den Kommentaren😊.
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