Apokalypsen-ähnliche Zustände in Köln: Dem Coronavirus auf offener Straße begegnen, betrunkene Löwen, die in freier Wildbahn auf die Bäume der Uniwiesen klettern, ravende Einhörner und mitten in der Masse, ET der einen Lauch küsst.
Ein Maya läuft schreiend über die Straße. War der Weltuntergang nicht für 2012 vorgesehen? Die bunte Vielfaltsstadt gleicht in den Karnevalstagen den Fieberträumen eines ETA Hoffmann. Die Jecken schlüpfen in ihre Tanzschuhe, elf Tränen auf der Wange und ein Lachtränchen im Augenwinkel, schunkeln sie betrunken von einem Zuch zum nächsten.
Ich gehe von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch aus Prinzip nicht ohne Kostüm aus dem Haus. Aus Lokalpatriotismus könnte man sagen. Hat die Kölner Seele mit all ihren Eigenheiten das Jahr über geschlummert, so erwacht sie spätestens zu Karneval. Und mit ihr erwachen die kölschen Werte, dieses Kölsche Gefühl, wie kann man es bloß beschreiben? Es fällt mir schwer in Worte zu fassen, was für eine Stimmung, was für ein Lebensgefühl an Karneval in der Luft liegt. All das was Köln ausmacht, scheint für eine Woche aus seinem Anstandsgehege auszubrechen und die Straßen unsicher zu machen.
Ich habe mich diesen Karneval auf die Suche nach jenem Kölner Gefühl gemacht. Gesucht habe ich es auf den vielen Karnevalszügen, im Kölner Nachtleben und den Karnevalssitzungen, am Hauptbahnhof, dem Rheinufer und allen anderen Winkeln dieser jecken Stadt.
Karneval ist Beziehungsstifter Nummer Eins
Was meine ich überhaupt, wenn ich von Ausnahmezustand spreche? Zunächst einmal ist Köln von einem auf den anderen Tag wie verzaubert. Am Mittwoch vor Weiberfastnacht fährt ein jeder seinen gewohnten Weg mit der Bahn nach Hause. In dem Abteil ist es ruhig, denn jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Doch am nächsten Morgen, um elf Uhr elf, verwandelt sich die Stadt in ein buntes Intermezzo. Laute Musik wird in den Zugabteilen gehört, plötzlich liegen sich Feuerwehrmann und Heilpraktikerin, Putzkraft und Bänker, verkleidet als der jeweils andere, in den Armen und schunkeln singend zu „in unsrem Veedel“. Das ganze Abteil singt mit und man lacht miteinander. Die Münder sind lockerer denn je und es werden Bütze verteilt wie zu keiner anderen Zeit im Jahr. So ist Karneval in Köln Beziehungsstifter Nummer eins. Fast jeder Kölner hat Pärchen im Bekanntenkreis, das an Karneval zusammengekommen ist. Und weil jede/-r plötzlich sagt, was ihm/ihr auf der Zunge liegt, trudeln in den Stunden des Morgengrauens glückliche Funkemariechen mit ihren gerade kennengelernten Schmusebären zurück nach Hause.
Einfach kölsch oder liegts am Kölsch?
Liegen diese Offenheit und das Überbrücken interpersoneller Barrieren wirklich am Kölsch, dem traditionellen Bier unserer Stadt? Als ich am Dom auf meine Freundin Sheila und ihren kolumbianischen Freund Juan wartete, kamen mir zwei junge Männer aus München entgegen, die mich schüchtern nach dem Weg nach Kalk fragten. Überrascht schauten mich die beiden an, als ich ihnen den Weg auf der Fahrplankarte zeigte. „Liegt eure Freundlichkeit am Bier?“, platzte es aus dem einen heraus und ich musste lachend den Kopf schütteln. Verrückt dachte ich, war glücklich und stolz zugleich, als ich feststellte, dass die beschriebene Freundlichkeit die Kölner Mentalität ausmacht.
Die Verbundenheit als Kölsches Gefühl
Sheila, Juan und ich, natürlich in Kostümen, machten uns auf den Weg zur „Immisitzung“, einer Karnevalssitzung, die hauptsächlich von Immigranten aufgeführt wird und eher zum alternativen, als zum traditionellen Karneval gehört. Von politischen Themen, bis hin zu vulgärem „Arschgesichter-Humor“, umfasst die Immisitzung satirische, gesellschaftskritische Inhalte gemischt mit kölscher Derbheit: Der Brexit als untergehendes Schiff, Liedparodien über die Handyabhängigkeit des einundzwanzigsten Jahrhunderts und für die emanzipierte Frau eine Büttenrede über die Vulva. Das Karikative darf bei all der Albernheit natürlich nicht fehlen. Auch die Wägen auf dem Rosenmontagszug kritisieren wie immer politische Entwicklungen, jedoch nicht ohne ein Augenzwinkern und lautes “Kölle Alaaf!“ Egal ob ordinäres Spaß-Kostüm oder verkleidet als Greta Thunberg. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Jedoch wohnt aller Kölscher Obszönität doch noch ein Stück Politik, Satire und Stellungnahme inne.
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