Es ist überall zu hören: Deutschland geht es wirtschaftlich so gut wie nie zuvor. Auf Bundesebene gibt es seit 2014 keine staatliche Neuverschuldung mehr; die Unternehmensgewinne sowie die Anzahl der Erwerbstätigen steigen auf Höchstwerte. Und doch gibt es Menschen, die sich kaum ihr Essen leisten können. Hier unterstützt „die Tafel“ – und Lebensmittel für Bedürftige sind nicht die einzige Hilfestellung, die sie anbietet.
Auf den Tischen stehen dutzende Körbe mit frischem Salat. Eine Frau lächelt mich an und sagt: „Finde ich schön, dass auch eine junge Frau hilft.“ Meine örtliche Tafel in der Verbandsgemeinde Asbach zählt fast 100 ehrenamtliche Engagierte – proportional zum Ort gesehen ist das eine Menge. Die meisten sind im Ruhestand. Jemanden in meinem Alter habe ich noch nicht gesehen – nur einen Schüler, dessen Schulleitung ihn für irgendein Fehlverhalten zur Mithilfe bei der Tafel verdonnert hat. Schade, denn die Arbeit der ehrenamtlichen Organisation ist nicht nur interessant, sondern außerdemwichtiger für unsere Gesellschaft als viele denken.
Zu dritt beginnen wir, die Waren auszusortieren. Mittwochs und donnerstags holen ehrenamtliche Helfer die Spenden der Supermärkte ab. Dabei sind leider nicht nur gute Sachen. Das Sortieren ist viel Arbeit, nur wenige melden sich dafür – gerade Salat ist oft im Überfluss da und muss gut kontrolliert werden. Ausgeteilt wird nur das, was auch jeder der Anwesenden noch zubereiten würde. Der aussortierte Rest – sei es wegen leicht faulen Stellen, lange abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum oder Schimmel, landet am Ende beim Bauern. So haben immerhin seine Schweine noch etwas von den Lebensmitteln. „Heute Nacht träumen wir sicher alle von Salat“, kommentiert jemand grinsend. Über zwei Stunden lang prüfen wir, trotzdem schaffen wir nicht alles. Den Rest kontrollieren wir am nächsten Tag.
Ein Mal in der Woche teilt die Tafel hier Waren aus. Zunächst frühstücken die Helfer gemeinsam, dann geht es an‘s Werk: Am frühen Nachmittag jeden Donnerstag beginnt die Ausgabe. Etwa 700 Menschen beziehen hier Lebensmittel, bei etwa 22.000 Einwohnern der Verbandsgemeinde. „Wir schätzen, dass eigentlich etwa 2.000 Leute dazu berechtigt sind, Waren von uns zu beziehen. Aber sie schämen sich – und nehmen die Hilfe nicht an“, sagt mir einer der Vorsitzenden bei einer Rundführung. Um in die Kartei der Tafel aufgenommen zu werden, legen die Kunden entweder einen Nachweis vor, dass sie beispielsweise Arbeitslosengeld II oder Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Auch bei Vorlage eines Einkommensnachweises prüft die Tafel, ob sie helfen kann.
Hier wird Nächstenliebe noch gelebt
Viele der Kunden, wie sie die ehrenamtlich Engagierten hier nennen, sind schon am Morgen vor Ort und melden sich an, um ihren Korb frühzeitig zu bekommen. Dabei dürfen sie durchaus Wünsche angeben – möchte jemand viel Gemüse oder verträgt keine Laktose, nehmen die Körbepacker darauf Rücksicht. Viel mehr als das erfahre ich als Helfer nicht über den Kunden – nur die Größe des Haushaltes und ihre Wünsche, damit es fair bleibt
Gar nicht mal so einfach, einen Korb mit Lebensmitteln für eine zehnköpfige Familie zusammenzustellen. „Ist das genug?“, frage ich zweifelnd in die Runde. „Immer nach Gefühl packen“, meint eine Frau freundlich, „ und wenn Sie mit einer Sache nichts anfangen können, tauschen Sie es vorne um.“ Zu dem Zweck steht neben der Ausgabe eine Kiste: Gefällt den Helfern eine Sache nicht, legen sie diese dort rein. Dafür nehmen sie sich etwas, was ein anderer zurückgegeben hat. Zusätzlich gibt es einen Tisch mit Sachspenden, bei dem sich die Kunden ein, zwei Sachen nehmen dürfen – zum Beispiel Stifte oder Nagellack.
In der offenen Caféteria unterhalten sich die Kunden und Besucher währenddessen bei Tee, Kaffee und Kuchen. Letzteren bereitet ein Bäcker aus dem Nachbardorf extra frisch für diesen Zweck zu. Hier treffen verschiedenste Menschen aufeinander, tauschen sich aus. Hier wird zugehört und Freundschaft geschlossen. In verrückten Zeiten wie diesen scheint die Tafel eine Oase der Menschlichkeit zu sein – hier wird Nächstenliebe tatsächlich noch gelebt.
Integrationshilfe inklusive
Mahlzeiten gibt diese Tafel nicht aus. Und trotz dass sie „nur“ ein Mal die Woche geöffnet ist, hat sie recht hohe laufende Kosten. Die vier Ortsgemeinden, die von der Hilfe der Tafel profitieren, zahlen immerhin die Kaltmiete für das Gebäude. Aber Strom, Benzin für Hol- und Bringservice der Kunden, für die Abholung der Lebensmittel, Versicherung der Autos und weitere Nebenkosten sind ebenso jeden Monat fällig.
Neben der Lebensmittelverteilung bietet die Tafel Sprach- und Integrationskurse an. Eine Erleichterung für Flüchtlinge, die wegen der stockenden Bürokratie noch keine Kurse vom Staat bekommen. Jeden Monat wird außerdem ein Integrationskaffee angeboten – zum Beispiel bei syrischen Spezialitäten treffen sich Alt und Jung, um sich besser kennenzulernen. Durch kleinere private und größere Spenden von Unternehmen sowie Stände auf Floh- und Weihnachtsmärkten finanziert sich die gemeinnützige Organisation.
Das Obst ist schnell aus: „Bananen und Äpfel haben wir im Moment immer zu wenig“, erklärt der Chef der Warenvorbereitung. Dafür gibt es heute Tiefkühlpizzen, die an die großen Familien verteilt werden. Und das möglichst schnell, denn hier gibt es nur eine alte Tiefkühltruhe, die viel zu viel Strom verbraucht.
Erst Anfang April feierte die Tafel hier ihr dreijähriges Jubiläum. Dem zu Ehren fand ein Treffen mit den Bürgermeistern der Umgebung und allen Gründungsmitgliedern statt. Für die Zukunft wünscht sich der Verein mehr Unterstützung aus der lokalen Politik – und einen neuen Gefrierschrank, nicht nur für Tiefkühlpizzen. Ich wünsche mir, dass sich mehr junge Leute ehrenamtlich bei der Tafel engagieren, und wenn es nur für eine Stunde die Woche ist – weil es hierbei nicht nur um Essen geht.
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