Ich verschluckte mich beinahe an meinem Brot, als ich noch leicht verschlafen die Tagesthemen des gestrigen Tages sah. Deutschlandweit werden in den nächsten Sendungen Personen um ihre Meinung zum Thema Geflüchtete gebeten. Mir war klar: Die Stimmung im Land ist nicht rosig. Die Menschen haben eine Abwehrhaltung. Doch was ich an diesem Morgen sah, ließ mich meine Meinung revidieren.
Was ist das für ein Land, das ich so gerne mag?
Surreal wirkende Sätze wie der von Angela Merkel „…dann ist das nicht mein Land“ mag ich so gar nicht. Genau das aber dachte ich. Leider.
Weil es nicht das Deutschland ist, in dem ich dachte zu leben. Weil das nicht das Deutschland ist, in dem ich leben will. Ich mag Deutschland, weil es unendlich vielfältig ist – dachte ich und hatte es auch weiterhin vor. Die Aussagen von Bewohnern eines Dorfes bei Stuttgart zerstörten mein Bild. Beinahe angenehm war, dass zumindest nicht der Stereotyp eines typischen ostdeutschen Ortes bemüht wurde. Seien wir ehrlich, es würde durch unseren mittlerweile gut eingeübten Filter politischer Erklärungsversuche laufen und unter „O“ wie typisch ostdeutsches Problem einsortiert, oder? Praktisch, bequem, nichts was in anderen Bundesländern in besorgniserregendem Grad vorhanden ist. Die Tagesthemen taten uns nicht den Gefallen.
Stattdessen wurde ein idyllisches Dorf im wirtschaftlich robusten Süden gewählt. Wäre es nicht so skurril, müsste ich schmunzeln. Man könne sich nicht mehr auf die Straße trauen, die bekämen alles hinterhergeworfen und man selbst nur 1.500 Euro Rente, waren nur einige der Aussagen. Bewohner zeigten sich offen vor der Kamera mit ihrem Namen, weil sie sich im Recht sehen und damit wohl viele Befürworter finden. Ich kenne aus meiner früheren Tätigkeit als Bankkauffrau weitaus niedrigere Rentenbeträge, doch das nur am Rande. Wir haben eine beinahe existentielle Angst, zu kurz zu kommen. In einem Ort, in dem im vergangenen Jahr 36 Straftaten verübt wurden, traut man sich nicht mehr auf die Straße – die Straftaten verübten Deutsche.
Die Welt zu Gast bei Freunden in Deutschland?
Ich frage mich: Haben wir denn „nur“ ein Problem mit Geflüchteten oder ist das eigentliche Problem nicht einfach eine generelle Ablehnung alles Fremden? Nach der Fußball-WM im eigenen Land hatten wir uns alle glückselig angesichts der neuen Weltoffenheit selbst auf die Schultern geklopft. Langsam aber treten noch andere Gefühlswelten und Meinungsbilder zutage. Ich bitte darum, an dieser Stelle auch nicht das Gespenst des Populismus anzuführen, denn auch das wird meiner Meinung nach oft nur hervorgeholt, um sich damit zufrieden zu geben, dass es eine neue Erscheinung sei. Populismus birgt Gefahren, findet immer mehr Anhänger, aber doch erscheint es mir wie eine Welle beschrieben, der wir uns selbst gerne als Opfer ausliefern und die meist nur die anderen mitnimmt. Aber nicht mich selbst, oder?
Zu Gast haben wir die Welt ganz gerne, doch dann ist es auch gut, wenn sie wieder geht, bevor sie zur Last wird. Illustrieren möchte ich dies an zwei Erfahrungen, die ich in letzter Zeit gemacht habe.
Was sollte ich vorweg schieben? Ich bin selbst schrecklich ängstlich. Bei Facebook antwortete ich nur Frauen, als ich nach einem Sprachtandem suchte und nicht jungen Männern aus dem Nahen Osten mit unbekannten Schriftzeichen auf dem Profil. Weil ich es nicht verstehe, weil ich es nicht kenne, weil ich Angst habe, mich mit Unbekannten zu treffen. Ich übe nun mit einer jungen Dame aus Indien Deutsch und lerne selbst Französisch von einer Algerierin. Beide haben einen Bachelorabschluss als Ingenieurin, beide sind so alt wie ich. Wir drei leben alle in Deutschland. Wer liegt dem Staat am meisten auf der Tasche? Momentan wohl ich als Studentin. Die Algerierin zahlt Steuern, die Inderin ist über ihren Mann versichert, der bereits einen Job hat und sie ist selbst auf Jobsuche. Sie geht täglich vier Stunden zum Deutschkurs, den sie selbst zahlt und bewirbt sich im ganzen Land.
Du bist keine Deutsche
Natürlich werden Skeptiker sagen dass ich nur die Vorzeigebilder beschrieben habe, um der Mär der Wirtschaftsflüchtlinge ein Ende zu bereiten. Nein. Nur möchte ich diese Dorfbewohner einmal bitten, solche Menschen kennenzulernen. Wir alle haben Angst vor Fremden, doch wenn ich höre, was meine beiden Bekannten mir erzählen, dann schäme ich mich. Ich gerate ins Rudern, wenn sie mich fragen, warum sie im Bus böse angesehen werden, warum niemand mit ihnen spricht, warum es so schwer sei, hier Freunde zu finden. Meine indische Bekannte meinte heute zu mir, ich sei ihre einzige Freundin und keine Deutsche. „Warum?“ fragte ich sie. „Weil du nett bist und mir hilfst“, war ihre Antwort. Ich konnte mich kaum freuen und dachte daran, wie ich selbst Angst vor Fremden in der Tandem-Gruppe hatte.
Ich bin in einem bayerischen Dorf aufgewachsen und in der Grundschule war ich verwirrt, als Mandy aus dem Osten in meine Klasse kam, nicht wie alle anderen katholisch war und erst recht nicht mein breites Bayrisch verstand. Aber das ist keine Ausrede, die es mir erlaubt, ein Leben lang nur das Bekannte zu wählen. Ich kann meiner indischen Bekannten nicht erklären, was in Deutschland gerade los ist. Weil ich es doch selbst nicht weiß. Weil ich Deutschland mag und auch meine Mitbürger. Wir sind alle irgendwie verbohrt, hoffte ich. Bis ich heute Morgen umdachte. Wie brutal und übermächtig ist diese Angst unter uns geworden? Die Inderin will hierbleiben. Mir tut es weh, dass ich nicht weiß, wie ich ihr helfen soll. Ich wünsche ihr nicht, in ein solches Dorf wie das bei Stuttgart zu geraten. Ich will mir nicht ausmalen, wie viele Menschen gestern Abend den Aussagen in den Tagesthemen zustimmten. Im Pflegeheim in besagtem Ort arbeitet ein Syrer als Pfleger – komisch, dass die alten Menschen vor der Kamera sich nicht vor ihm ängstigten, als er sie pflegte.
Die unbequeme Angelegenheit, im eigenen Seelenkämmerlein anzufangen
Vielleicht, weil sie keine Wahl hatten. Sie können kaum aus dem Heim fliehen. Wieder wird es Stimmen geben, die dahinter eine einlullende Geschichte der „Lügenpresse“ vermuten. Kommen wir in Berührung mit Fremdheit, sind wir doch selbst erschrocken, oder? Ich bin es manchmal, wenn ich wieder Schubladen-Denken bei mir bemerke. Hat mein Gegenüber dann „wieder innerem Erwarten“ menschliche Züge und ist sympathisch, merke ich, wie viel Arbeit noch vor uns allen liegt. Ich wünschte, wir würden uns trauen, im Alltag hinzusehen, was wir da genau tun, denken und fühlen.
Siegfried
Nur weil die Autorin ein gewisses xenophobes Trauma aus ihrer Kindheit zu haben scheint, heisst das nicht dass alle Menschen in Deutschland per se fremdenfeindlich sind. Gerade in den von der Autorin angesprochenen kleinen Dörfern im Südwesten Deutschlands (Baden-Württemberg, Hessen) gibt es eine kulturelle Vielfalt die verblüffend ist, da sind Italiener, Spanier, Türken, Araber oder auch Leute aus Afrika Teil einer Dorfgemeinschaft, und die meisten Einwanderer sprechen den lokalen Dialekt, bessere Integration gibts m.E. nicht. Ich kann nicht verstehen, wie die Autorin dazu kommt anhand eines Tagesthemen-Beitrags die These aufzustellen dass in Deutschland die Angst vor Fremden so weit verbreitet ist. Vielleicht war es in ihrem bayerischen Heimatdorf so, aber dann sollte sie das bitte entsprechend herausstreichen und ausdifferenzieren. Pauschalurteile sind einfach nicht zielführend und intellektuell eher untere Schublade.
Rico
Es muss nicht dein Land sein.
Du hast die Wahl dieses Erbe für dich abzulehnen aber eben nicht für alle anderen gleich mit. Eines solltest du aber bedenken, junge Dame.
Die welchen du hier Engstirnigkeit und Fremdenhass vorwirfst gehören auch zu den 80 Millionen deiner Gemeinschaft, aus welcher du kommst, welche teilweise durch tägliche harte Arbeit dafür gesorgt haben das du dein Leben bisher mit Rumdallen verbringen konntest.
Ohne dir die Hände schmutzig machen zu müssen.
Wenn du also am Ende meinst mit deinem schicken Abschluss lieber wo anders leben und arbeiten zu wollen trittst du jedem von ihnen in den Allerwertesten.
Diese Art Undank, Respektlosigkeit und Verantwortungslosigkeit gegen die eigene Gemeinschaft trifft im Übrigen auch, in noch viel größerem Maße, auf deine zwei Freundinnen zu, wenn man bedenkt wie viel Kraft es deren, deutlich ärmeren Gemeinschaften, kosten musste sie so weit zu bringen, nur um dann im Stich gelassen zu werden.
Übrigens, wenn du wie behauptet die Vielfalt Deutschlands liebst solltest du sie nicht durch gleichmacherische Einfalt zerstören.
Kathariba
Wie traurig und schade, dass einer jungen Frau, die sich mit dem Für und Wider von Migration auseinandersetzt, vorgeworfen wird, undankbar, respektlos und verantwortungslos “rumzudallen”. Es ist schon praktisch, auf den “schicken Abschluss” zu verweisen und ganz zu übergehen, dass die Autorin auch über ihre Berufserfahrung spricht und versucht, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Mir wurde mit diesem Beitrag in vielerlei Hinsicht aus dem Herzen gesprochen, weil versucht wird, die eigene innere Zerrissenheit in Worte zu fassen. Man braucht auch nur mal eben aus dem schönen, bequemen Europa herauszukommen, um zu sehen, auf welch hohem Niveau in Deutschland gemeckert wird.