
Erinnerst du dich noch an unsere schlaflosen Nächte im Sommer?
Ich erinnere mich noch genau an dein Lächeln, deine braunen Augen lachten immer mit, wenn du einen deiner Witze machtest. Ich erinnere mich noch genau an unsere Gespräche, die oft bis zum Morgengrauen gingen und ich erschöpft aber inspiriert feststellte, dass ich in zwei Stunden wieder aufstehen muss. Und doch würde ich nichts daran ändern.
Ich zog weg und es machte vieles schwieriger für uns beide. Fortan sprachen wir fast nur noch über Videochats. Die Stunden bis dahin zogen sich wie Jahre und ich fühlte mich schrecklich, weil die einzige Person, der ich von meinem Tag erzählen wollte, nicht physisch da war. Damals hat mir wohl niemand so viel Aufmerksamkeit geschenkt, so viel Zeit, so viel Trost und aufrichtige Anteilnahme, wie du. Und ich tat es dir gleich, auch wenn uns viele Kilometer und auch, für damalige Verhältnisse, viele Lebensjahre trennten. Immer wieder plagten mich Ängste, ich könne dich nicht erreichen, du warst mein Vorbild, mein Lehrer und meine Inspiration.
Vielleicht ein wenig merkwürdig, dass es wie ein Liebesbrief klingt, aber es ist keiner, vielleicht höchstens einer an den einen besten Freund. Unsere Beziehung blieb immer platonisch und das war wundervoll, für uns beide und auch wenn viele sagten, eine Freundschaft zwischen Mann und Frau kann nicht funktionieren, tat es das bei uns und nur darauf kam es uns an.
Du machtest immer Witze darüber, dass ich bei Vollmond besonders debattierfreudig war und über mein Muttermal im Gesicht, denn du kanntest mich besser als die oberflächlichen Menschen.
Du kanntest meine Macken und Selbstzweifel und hast mich angenommen und auf eine Art geliebt, wie es Geschwister oder Eltern tun.
Denn du wusstest genau, wovon die Menschheit zu wenig hatte und hast das getan, was in deiner Macht stand. Du hast mich mehr Achtsamkeit gelehrt, mehr Selbstliebe und Akzeptanz, obwohl du selber nicht viel davon erfahren hattest und vieles erleben musstest. Immer hast du dich für mich gefreut, ehrlich und aufrichtig, so wie ich es damals nur von wenigen Menschen in meinem Leben kannte.
Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass wir uns öfter sahen, doch du studiertest damals weit weg und ich war noch in der Schule. Und doch haben wir es manchmal geschafft, trotz aller Umstände und Schwierigkeiten.
Es kam eine Zeit des Umbruchs für dich, du, der du dich als ewiger Student bezeichnet hast. Du zogst noch weiter weg und fandest deine bessere Hälfte und ich hätte für dich nicht glücklicher sein können. Ich blendete die Ängste aus, dich zu verlieren, so wie es schon in der Vergangenheit bei anderen Freunden passiert war. Es schien mir unmöglich, denn unsere Verbindung war einmalig und weder du noch ich würden es jemals soweit kommen lassen. Vielleicht war ich naiv oder ich habe einfach zu sehr an unsere Freundschaft geglaubt.
Es blieb einige Zeit, wie es war und ich war glücklich und ich gönnte es dir so sehr, dass du endlich glücklich warst. Ich fühlte mich nicht von dir vernachlässigt, dennoch meldete ich mich weniger, damit ihr die Zeit gemeinsam und nur zu zweit verbringen konntet. Außerdem wollte ich keine Eifersucht seitens deiner Freundin riskieren und hielt mich deshalb oft zurück, dir zu schreiben oder anzurufen. Ein wenig entfernten wir uns voneinander und doch war unsere Verbindung immer gleich geblieben und nur darauf kam es an.
Es vergingen Tage, Monate und fast anderthalb Jahre, in denen wir den Kontakt hielten und doch irgendwie zunehmend unerreichbar füreinander wurden.
Es tat weh. Es tat weh, dass keiner von uns beiden das auszusprechen wagte, was wir fühlten und tief in uns wussten. Wir hatten uns verändert, ohne es zu merken. Wir hatten uns an jedem Tag ein kleines Stück voneinander entfernt und es geschehen lassen. Unsere Wege, die wir so sehr versucht hatten, zusammenzuführen, glitten auseinander. Unser Fundament war stark, aber konnte es auch dem getrennten Alltag trotzen?
Deine bessere Hälfte schien dir gut zu tun und ich hakte nicht weiter nach, wenn ich mal Zweifel daran hatte, denn ich vertraute darauf, dass du weißt, was gut für dich ist. Du sagtest, sie mochte mich und obwohl sie und ich uns niemals getroffen hatten, wäre sie eifersüchtig. Dabei war sie so viel älter, dachte ich; eine gestandene Frau, ganz im Gegensatz zu mir. Für mich stand sie mit dir auf einem Podest, auf das ich mich selber niemals gestellt hätte. Umso mehr überraschte mich ihre grundlose Eifersucht, denn ich hatte alles dafür getan, es nicht zu provozieren.
Tief in mir verabscheute ich Frauen, die ihre männlichen Freunde einnahmen und immer ihre Aufmerksamkeit wollten, sich sogar ein regelrechtes Tauziehen mit den Partnerinnen des besten Freundes machten. So eine Freundin wollte ich niemals werden.
Ich fragte mich, was ich falsch gemacht hatte, was ich tun könnte, denn mir gegenüber hatte sie immer sehr nett geschrieben und keine Anzeichen gezeigt, ich hatte sie sogar in mein Herz geschlossen. Jemand der dich glücklich machte, hatte das zurecht verdient.
Du löschtest alle deine sozialen Medien. Einen Grund dafür konntest du, oder wolltest du mir damals nicht sagen. Vielleicht tat es dir auch viel zu sehr weh.
Ich tröstete mich damit, dass wir auch sonst ohne ausgekommen waren, aber doch war es ein seltsames Verhalten. Es war deine Entscheidung und wir hatten ja immer noch das Handy und die Emails. Und wo ein Wille, da ein Weg.
Du warst weg. Keine Antwort, kein einziges Wort von dir. Keine Notiz.
Mit ihr blieb ich auf sozialen Medien befreundet und sie postete oft glückliche Bilder von euch beiden. Ich freute mich für dich und auch für sie, doch da war auch die Trauer, dass du nicht mehr in meinem Leben warst. Und ich wusste nicht warum. Dort wo du vorher gewesen warst, klaffte ein sehr schmerzhaftes Loch, als würde ein Stück meines Herzens fehlen. Du schriebst mir zum Geburtstag und doch klangen deine Worte so gezwungen und inhaltslos; als ich fragte, wie es dir ginge, schweigst du lange.
Ein Jahr später schriebst du erneut. Diesmal einen Brief, den du mit Tinte geschrieben hattest, du hast ihn sogar mit einigen Schnörkeleien verziert.
Ich war überrascht über diese plötzliche Nachricht. Du klangst erleichtert, aber sehr traurig und gebrochen. Endlich könntest du wieder frei atmen, schriebst du. Die letzten Jahre waren eine Qual für dich. Sie hat dich unter Druck gesetzt, dich gezwungen, den Kontakt zu allen abzubrechen. Sie war narzisstisch und extrem eifersüchtig gewesen. Sie hatte psychische Probleme und obwohl sie ein guter Mensch ist, hat sie dich und deine vergangenen Lebensjahre zur Hölle gemacht. Es sprudelte nur so aus dir heraus und ich war so glücklich, dass du zumindest wieder ehrlich reden wolltest.
Ich verstand nicht, warum du mir das alles so lange verschwiegen hattest. Du schriebst mir nun sehr oft und schicktest mir Kleinigkeiten, die du für mich passend glaubtest, du öffnetest dich wieder und ich hatte das Gefühl, dir etwas von der Fürsorge zurückgeben zu können, die du mir einst gegeben hattest. Und doch hatten wir uns ein Stück weit verloren. Wir waren nun so viel anders, vielleicht waren wir beide nun desillusioniert, aber unsere Verbindung war trotzdem noch geblieben. Jeden deiner Briefe habe ich aufbewahrt.
Du schriebst mir deine neue Adresse, und ich schrieb dir verspätet und aus einem anderen Land zurück, wo ich längere Zeit gewesen war.
Leider zu spät.
Du warst nicht mehr da.
Zuerst dachte ich, deine Adresse hätte sich wieder geändert und du würdest dich wieder bei mir melden. Doch deine Schwester überbrachte mir verspätet die traurige Nachricht.
Auch wenn du nicht mehr dort warst, zog ich in die Stadt zurück, die dir so viel bedeutet hatte und die mich irgendwie an dich erinnerte. Es war schwer zu begreifen, dass wir uns nie mehr wiedersehen würden.
Manchmal, wenn mich der vergilbte Schmerz wieder einmal einholt, male ich mir aus, dass du irgendwo in einer anderen Stadt, ganz weit weg bist, immer noch zu deinen Kursen gehst, abends mit deinen Freunden locker den Tag ausklingen lässt, beim Blick auf den Anhänger, den ich dir geschenkt hatte, ein wenig lächelst und dich fragst, ob ich nach all den Jahren wohl manchmal noch an dich denke.
Ja, das tue ich. Denn auch wenn du nicht mehr hier bist, wirst du und unsere Verbindung immer in meinem Herzen bleiben. Wenn ich daran denke, bin ich glücklich, dich gekannt zu haben, ich bin dankbar für die Zeit und den Weg, den wir zusammen gehen durften.
Vor meinem inneren Auge umarme ich dich und lasse dich weiterziehen.
Schreibe einen Kommentar