f1rstlife-Autorin Laura gehört zur Risikogruppe. Eine Infektion mit dem Coronavirus könnte für sie tödlich sein. In einem Gedankenspaziergang nimmt sie euch mit in ihre Welt: vor, mit und vielleicht auch nach Corona.
Normalerweise beginnt ein Gedankenspaziergang mit einer bunten Blumenwiese. Man steht in der Mitte, sieht sich um, pflückt vielleicht die ein oder andere Blume und steckt sie sich ins Haar. Wie schön! Damit kann man sich ein bisschen von dem tristen Corona-Alltag in der weitgehenden Isolation ablenken. Seitdem ich im Mai meinen Brief an mich selbst geschrieben habe, ist viel passiert – deutlich mehr als nur das tägliche Abreißen des Kalenderblattes.
Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass im Sommer ein neuer Freund bei mir einziehen wird. Ein Freund, der täglich mindestens zwei Stunden draußen spazieren gehen möchte, den ich regelmäßig kraulen muss und mit dem ich mir meine Assistenzkräfte jetzt teile. Tininha ist ein Hund aus dem portugiesischen Tierschutz und vielleicht meine Retterin aus einem depressiven Tief.
Nachdem ich mich im Frühjahr fast vollständig von der Außenwelt abgeschottet habe, in dem Glauben, dass es mir viele gleich tun würden und damit eine extreme Infektionswelle abgewendet werden könnte, ging es mir schnell psychisch nicht mehr ganz so gut.
Klar war ich jederzeit in der Lage, meiner Arbeit als freiberufliche Autorin, Texterin und Inklusionscoachin nachzugehen, aber die gute Laune, die ich gegenüber meinen Kunden zeigte, war nicht echt. Eigentlich war ich müde – müde vom Nichtstun, vom Arbeiten und vom vielen Allein-Sein. Eine Zeit lang habe ich gemalt, doch schnell wurde mir das zu langweilig. Eine Leinwand ist eben kein Lebewesen, das einem Aufmerksamkeit schenkt, eine Aufgabe gibt oder einfach nur da ist.
Sicher, es hätte auch ein Meerschweinchen, Kaninchen oder ein Hamster getan, aber es ist letztendlich ein Hund geworden. Da erscheint es dann auch weniger problematisch, regelmäßig die Wohnung zu verlassen, um spazieren zu gehen. Für mein Haustier tue ich schließlich alles.
Als im Sommer die Fallzahlen gesunken sind, fühlte ich mich wieder sicherer. Mein Hund ist bei mir eingezogen und wir gehen seither jeden Tag spazieren. Doch jetzt, im November, mit exorbitant hohen Fallzahlen, sehe ich wieder das Risiko. Auch außerhalb der Wohnung trage ich jetzt immer eine Maske. Auch wenn ich dafür ertragen muss, dass man sich über mich lustig macht, indem man mich hoffentlich nur gespielt anhustet.
Ich finde es unfair, wenn ich ein Zeichen dafür setze, dass ich andere schützen möchte und dafür diesen Dank ernte. Wie gerne würde ich dauerhaft FFP2 oder FFP3-Masken mit Ventil tragen, um mich selbst zu schützen und zu zeigen, dass mir die ignoranten anderen Leute doch irgendwie egal sind.
Mit den hohen Fallzahlen aktuell rückt auch die Angst vor einer Triage wieder in greifbare Nähe. Unter einer „Triage“ versteht man die Entscheidung, welcher Patient oder welche Patientin im Fall einer Knappheit von Beatmungsplätzen in Intensivstationen den Platz bekommt. Da ich eine schwere, neurologische und fortschreitende Erkrankung habe, hätte ich da wohl das Nachsehen.
Selbst dann, wenn die andere Person, die Anwärter auf das freie Intensivbett ist, die Infektion mutwillig in Kauf genommen oder sich sogar absichtlich infiziert hätte. Da entsteht ein sehr schlechtes Gefühl in mir, nicht nur weil ich von vornherein aufgrund meiner Behinderung benachteiligt werden würde, sondern auch weil man Menschen bevorzugen würde, die der Meinung sind, dass es Corona nicht geben würde. Wenn es etwas nicht gibt, muss ich mich doch auch nicht dagegen behandeln lassen, oder?
Sicher könnte man hier wieder argumentieren, dass meine Lebenserwartung sowieso schon überschritten ist und dass mein Leben vielleicht auch gar kein Leben mehr ist. Aber wer bewertet das denn? Ich denke, dass allein ich darüber entscheiden sollte, wie lebenswert mein Leben ist. Wenn ich sage, mein Leben ist lebenswert, dann ist das so: Da spielt der Rollstuhl, die Beatmung und die Ernährungssonde keine Rolle. Außerdem habe ich aktuell einen sehr stabilen Gesundheitszustand, stabiler als jemals zuvor. Somit gehe ich nicht davon aus, dass mein Körper plant, in nächster Zeit freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sicher: Jeder Mensch kann zu jeder Zeit sterben, aber zu meinem Plan gehört das aktuell einfach nicht.
Gerade jetzt, wo die Fallzahlen wieder unglaublich hoch sind und wir uns in einem Pseudo-Lockdown befinden, habe ich natürlich wieder ein ungutes Gefühl, wenn ich ein Kratzen im Hals verspüre (was auch durch die Beatmung kommen kann) oder wenn mein Körper mal wieder Gliederschmerzen auspackt. Natürlich wissen wir alle, dass dies nicht die gängigen Symptome einer Corona-Infektion sind, aber trotzdem gibt es immer wieder asymptomatische Verläufe.
Da ich schon in der Vergangenheit des Öfteren Infektionen mit asymptomatischen Verläufen hatte, erscheint mir das in diesem Fall auch nicht so unrealistisch. An manchen Tagen entwickle ich mich fast schon zu einem Hypochonder. Meine Assistenzkräfte tragen alle Masken. Desinfektionsmittel steht immer bereit und soll auch genutzt werden. Wir achten auf Hygienemaßnahmen, wie in meiner gesamten Laufbahn als Pflegebedürftige noch nie. Trotzdem kann ich mich nicht voll isolieren.
Ich brauche meine Assistenzkräfte und da es Winter ist, kommen diese auch wieder öfter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese halte ich ja immer noch für die Corona-Party schlechthin. Abstände können nicht eingehalten werden, Maskengebote werden oft nicht eingehalten und die Lüftung ist meistens auch nicht so gut. Gerade in Zeiten, in denen wir von den Gesundheitsämtern hören, dass es nicht mehr möglich ist, herauszufinden, wo genau sich eine Person angesteckt hat, lässt es sich, aus meiner Sicht nicht pauschal sagen, dass bestimmte Einrichtungen, wie der öffentliche Nahverkehr oder Restaurants, keine Verbreitungsherde seien. Mittlerweile bin ich es müde und sehe auch konsequent davon ab, mit Leuten darüber zu diskutieren, ob eine Alltagsmaske jetzt etwas bringt oder das Coronavirus überhaupt existiert.
Im Hinblick auf unsere Zukunft ist es wichtig, dass wir wissen, dass Covid 19 ein Virus ist, dass uns noch lange begleiten wird. Es wird nicht einfach verschwinden, auch wenn es Medikamente und eine Impfung dagegen geben wird. Wie bei anderen Viruserkrankungen, die in der Vergangenheit als ausgerottet erklärt wurden, wird es Jahre dauern, bis es wirklich keine Infektionsfälle mehr gibt. Wir müssen lernen, damit zu leben und unser Verhalten nachhaltig ändern, so zum Beispiel durch die Abschaffung der Begrüßung per Handschlag. Damit meine ich mitnichten eine Herdenimmunität durch eine unkontrollierte Verbreitung des Coronavirus, sondern das konsequente Tragen von Alltagsmasken in jeder Situation, außerhalb der eigenen vier Wände.
Wenn alle die anderen schützen, schützen alle auch dich. Es ist nicht hilfreich, wenn sich jeder aus fadenscheinigen Gründen einfach ein Attest holt und glaubt, damit seinen Soll getan zu haben. Eigentlich ist das sogar ein sehr ungerechter Schachzug denen gegenüber, die z.B. wegen Beatmungspflichtigkeit keine andere Maske als die Beatmungsmaske tragen können. Durch zu viele, unberechtigt ausgestellte Atteste werden Menschen mit berechtigter Befreiung von der Maskenpflicht nicht mehr in Apotheken reingelassen. Sie dürfen nicht mehr in den Supermarkt und auch nicht auf öffentliche Plätze, auf denen Maskenpflicht herrscht. Durch die Verweigerung zum Gesamtschutz entsteht ein neuer Herd an Diskriminierung und Benachteiligung.
Jedes Jahr zum Jahreswechsel sind wir froh, wenn das Jahr vorbei ist. Wir freuen uns auf ein neues Jahr und hoffen darauf, dass alles besser wird. Auch 2019 empfanden wir als katastrophales Jahr. Dann kam 2020 und wir erkennen erstmals, was wirklich eine Katastrophe ist. Dieses Jahr werde ich wohl zum Jahreswechsel nicht sagen, dass 2021 definitiv besser werden kann, solange niemand weiß, wie sich der Lauf der Dinge entwickeln wird. Wir sollten vorab keine Einschätzung abgeben, nicht darauf wetten und uns schon gar nicht darauf versteifen, dass das nächste Jahr besser wird.
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