Sie ist der Inbegriff unbändiger Zuneigung und beschreibt das, was Eltern für ihre Kinder empfinden und für religiöse Menschen die Wärme, mit der Gott das Individuum durchdringt. Die Rede ist von bedingungsloser Liebe. Doch gibt es sie im zwischenmenschlichen Miteinander wirklich?
Denken wir uns eine alltägliche Geschichte: Ein junger Mann verliebt sich in eine junge Frau. Er beginnt seiner Zuneigung Ausdruck zu verleihen: Er ist hilfsbereit, aufmerksam, macht ihr kleine Geschenke und zahlt den Kaffee oder das Eis, wenn sie zusammen ausgehen. Das geht so über Wochen und Monate und der Frau wird mit der Zeit bewusst, dass er mehr für sie empfindet. Doch sie sieht das Ganze rein freundschaftlich. Deshalb reagiert sie zunehmend abwehrend, nimmt seine kleinen Aufmerksamkeiten nur noch ungern an. Sie fürchtet, er erwarte womöglich von ihr eine Gegenleistung. Und schließlich nimmt sie all ihren Mut zusammen und sagt ihm, dass sie sich nicht mehr als Freundschaft vorstellen könne.
Für den Mann gibt es nun zwei Möglichkeiten: Einerseits kann er frustriert und enttäuscht sein, womöglich verärgert reagieren. Vielleicht wird er aber auch die Trauer in sich hineinfressen, destruktiv gegen sich selbst werden und an der Zurückweisung zerbrechen. Er fragt sich, wie sie ihm so etwas antun kann – bei allem, was er für sie getan hat. In jedem Fall muss die Liebe der Trauer, der Wut oder sogar dem Hass weichen. Die andere Möglichkeit ist: Er respektiert ihre Empfindungen, zeigt Verständnis. Was er für sie an Energie aufgewendet hat und das Unsichtbare sowie das Materielle, das er ihr entgegengebracht hat, kommt ihm dabei gar nicht in den Sinn. Schließlich stand kein Kalkül dahinter, er wollte sie nur glücklich sehen. Letzteres ist bedingungslose Liebe, ersteres leider zumeist der Fall.
Bedingungslos heißt nicht selbstlos!
Das Faszinierende an der Geschichte besteht darin, dass die Ausgangslage exakt dieselbe ist: Ein Mann verliebt sich in eine Frau und legt ihr die Welt zu Füßen. Erst durch ihre Klarstellung tritt der Moment ein, in dem die Masken fallen. Entweder die Liebe weicht anderen Gefühlen oder sie ist bedingungslos und wahr. Die Story funktioniert natürlich auch umgekehrt oder gleichgeschlechtlich. Wie das Ganze endet, spielt sich dennoch immer in den aufgezeigten Möglichkeitsräumen ab.
Allerdings könnte man dennoch gegen die Deutung, dass die letztere Reaktion ein Ausdruck bedingungsloser Liebe sei, protestieren. Schließlich wünscht sich auch in diesem Fall der Mann als Verliebter mehr von der Frau. Er will ebenfalls ihre Liebe, handelt nicht selbstlos. Zunächst einmal darf hier nicht „bedingungslos“ und „selbstlos“ verwechselt werden! So heißt es zum Beispiel auch für die Nächstenliebe: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Die Liebe für das Gegenüber setzt also Selbst- oder Eigenliebe voraus. Gerade wenn das gegeben ist, wird Liebe allumfassend.
Ein anderer Punkt ist aber viel wichtiger: Der Mann im zweiten Fall wünscht sich die Liebe der Frau als Erlaubnis, ihr noch tiefere Zuneigung entgegenbringen zu dürfen, sie auch auf weiteren Ebenen glücklich zu machen. Das heißt konkret: durch körperliche Nähe und Zärtlichkeiten. Natürlich profitiert er ebenfalls davon. Das ist aber auch schon im Bereich der kleinen Gaben und Aufmerksamkeiten der Fall. Sie glücklich zu sehen, ist ihm nämlich die größte Freude. So bedeutet bedingungslose immer auch wahre Liebe. Eine Liebe, die nicht bedingungslos ist, gleicht einem Handel.
Wo Liebe ist, da ist auch Leiden
Wir dürfen bei all diesen Betrachtungen niemals vergessen, dass auch der oder die bedingungslos Liebende als menschliches Wesen Gefühle hat. Wo die Liebe bei einer Vielzahl von Menschen aber durch die Zurückweisung häufig in Wut, Zorn oder sogar Hass umschlägt, ist die seinige zu groß, um dem geliebten Menschen auch nur im Geringsten boshaft zu begegnen.
Und doch schmerzt den voll und ganz bedingungslos liebenden Menschen die Nichterwiderung seiner Liebe. Auf der Brust verbleibt eine hässliche Narbe, darunter blutet das Herz in Strömen. Doch er akzeptiert die Entscheidung seines Gegenübers, weil er sich unbändig wünscht, dass es glücklich werde. Auch wenn er im Innersten weiß, dass er selbst dieses Glück hätte sein sollen. Wäre es nicht wunderbar auf einen solchen Menschen zu treffen? Doch meist wissen wir erst woran, wir waren, wenn wir schon die schmerzlichen Worte gesprochen haben.
Johanna Schumann
Danke für diesen schönen Artikel. Ja, bedingungslose Liebe setzt Selbstliebe voraus und viel Mut, eben weil Liebe uns berührbar/verletzbar macht und man sich ja zeigen muss als der, der man wirklich ist. Wenn man durch Masken agiert und sich nicht vollständig zeigt wird man nie als das gesehen/geliebt werden, wer man wirklich ist (weil man es ja nicht zeigt). Die Schmerzen, die Liebe in uns hervorholt, rufen uns dazu auf inner Bedürfnisse/Wünsche wahrzunehmen, alte Verletzungen zu bearbeiten und daran zu wachsen. Wenn ich mich durch eine Zurückweisung bspw. verletzt fühle kann ich schauen, ob ich mich nicht gesehen fühle, mich für das, was ich bin, nicht wertgeschätzt fühle…. Da darf ich dann vielleicht an meiner eigenen Selbstachtung arbeiten, mir selbst mehr gönnen, mich quasi selbst wieder wahrnehmen und mich so um mich kümmern wie ich es mir vom anderen gewünscht hätte. Bedinungslose Liebe ist vielleicht kein Zustand, der erreicht werden kann, sondern ein immerwährender Prozess, eine tägliche Herausforderung.