Über das Gastgeberland der WM gibt es viele unterschiedliche Meinungen – Gemeinsamkeit ist nur, dass fast jeder eine Meinung über Russland hat. Höchste Zeit für einen Artikel für alle, die bald nach Russland fahren. Vor allem aber auch für alle anderen, die neugierig sind zu erfahren, wie das WM-Gastgeberland so tickt.

Für mich ist es nun fast 10 Monate her, dass ich in Moskau landete – um an der Higher School of Economics den letzten Teil meines Masterstudiums zu verbringen. Eine der am häufigsten gestellten Fragen – übrigens öfters von Russen als von Freunden Zuhause – war: „Warum Russland?“ Ich finde es immer schwierig diese Frage zu beantworten. Es ging mir um die Neugierde, ein Land kennenzulernen, über das man nicht viel weiß. Ich war vorher nur einmal in Russland. Es waren lehrreiche Monate, deshalb hier 10 der Dinge, die ich in 10 Monaten über Russland, vor allem aber über Moskau, gelernt habe.
1) Studentenleben im russischen Wohnheim: keine Privatsphäre, Babuschkas und braunes Wasser
Für die meisten der ausländischen Studenten war die Ankunft im Wohnheim (Obshchezhitiye) ein kleiner Schock. Feldbetten, lange Flure, ein Geruch aus einer Mischung nach Essen aus verschiedenen Ländern, die nicht zusammenpassen, und ein Zimmer mit einer fremden Person teilen. Am Eingang muss man stets seinen Ausweis (Propusk) vorzeigen, um reinzukommen. Trotz 24/7-Security konnten einige Freunde regelmäßig ins Wohnheim geschmuggelt werden. Die Herrinnen im Wohnheim: ältere Damen, von Bewohnern mehr oder weniger liebevoll „Babuschkas“ genannt, die sicherstellen, dass alles geordnet abläuft. Das heißt, nach 11 Uhr abends keine laute Musik und keine Ansammlungen von vielen Studenten gleichzeitig mehr.
Es ist auch normal, dass alle zwei Monate braunes Wasser aus den Leitungen kommt, das übel riecht – wenn man Pech hat, steht man gerade unter der Dusche. Das Leben im Obshchezhitiye – für ausländische Studenten ungewohnt, für russische Studenten ganz normal. Mehr noch: Die Wohnheime, in denen russische Studenten untergebracht sind, liegen meist bis zu anderthalb Stunden außerhalb von Moskau, manchmal teilen sich dort bis zu sechs Personen ein Zimmer.
2) Jeder redet über den russischen Winter, aber niemand über den Sommer
Moskau im Winter stellen wir uns à la Hollywood bitterkalt vor, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Ja, der Winter in Russland war lang und dunkel: Die Sonne verabschiedete sich meist schon gegen 16 Uhr, einmal gab es bis zu 40 Zentimeter Schnee. Doch man glaubt es kaum, es gibt auch einen echten Sommer in Russland und der hat es in sich: In nördlich gelegenen Städten gibt es viele Sonnenstunden. In St. Petersburg spricht man auch von den Weißen Nächten, in denen die Sonne gar nicht untergeht. Es gibt viele Orte, um den Sommer zu genießen, vor allem die Großstädte haben viel zu bieten: In Moskau gibt es rund 100 Parks, besonders schön sind der Gorky Park mit seinen vielen Restaurants. Oft finden Konzerte und Open-Air Kinoabende statt.
3) Russen lieben Feiertage: von Pfannkuchen bis Militärparaden
Da gibt es zum Beispiel Masleniza, ein Fest vor der Fastenzeit, welches mich ein wenig an Karneval erinnert hat. Jeder Tag der Woche folgt einem eigenen Brauch, und am Ende wird eine Puppe aus Stroh verbrannt. Das Beste: Es gibt die ganze Woche Blini, eine Art Pfannkuchen mit verschiedenen Füllungen, besonders beliebt: Kaviar und Smetana (Sahne). Ein anderer besondere Tag: Der 8. Mai, der Frauentag, der viel größer gefeiert wird als der Valentinstag. An diesem Tag werden alle Frauen, egal welchen Alters, mit Blumen beschenkt.
Der größte Feiertag von allen ist aber wohl der 9. Mai, der Tag des Sieges (Den’ Pobedy). An diesem Tag feiern die Russen den Sieg im Zweiten Weltkrieg. Auf dem roten Platz gibt es eine Militärparade, die allerdings nur geladene Gäste anschauen dürfen. Aber überall in der Stadt gibt es Events. Schon einige Wochen vorher kann man die gewaltigen Panzer, das neueste Militärarsenal und die Flieger beim Proben beobachten. Für eine Deutsche allerdings eine etwas surreale Erfahrung.
4) Russisches Essen 🤔 – Georgisches Essen 😍
Das erste, was meine amerikanische Studienkollegin von Moskau sah, war eine Werbetafel von KFC. Auch Russland ist amerikanisiert, allerdings gibt es auch einige Restaurantketten, die ich bisher nur in Russland gesehen habe wie etwa Grabli, Mu-Mu und sogenannte Stolovayas, in denen man sich aufs Tablett nimmt, was einem gefällt. Was viele Deutsche stört: Die Portionen sind recht klein im Vergleich zu Deutschland. Die russische Küche ist bekannt für ihre Blini mit verschiedenen Füllungen, Pelmeni, eine russische Nudelspezialität, und Hering im Pelzmantel, ein russischer Heringssalat.
Ich muss zugeben, dass ich nicht gerade zum größten Fan der russischen Küche geworden bin, wohl aber für die georgischen Küche schwärme, die in Russland auch sehr beliebt ist. Hier ist vor allen Chatschapuri, eine Art Käsebrot, welches es in verschiedenen Variationen gibt, zu empfehlen. Mein Favorit: Atscharuli mit einem rohen Ei in der Mitte. Daneben sind auch Chinkali sehr lecker, große Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen. Dazu am besten einen georgischen Wein trinken.

5) Schöne russische Frauen > schöne russische Männer
Nein, hier soll nichts verallgemeinert werden, aber ja, es scheint wirklich der Fall zu sein, dass es mehr schöne Russinnen als gutaussehende Russen gibt. Warum? Gutes Aussehen hat für russische Frauen einen besonders hohen Stellenwert: Sie sind in der Regel sehr schlank, stets elegant gekleidet, viele gehen regelmäßig zur Maniküre und lassen sich die Wimpern verlängern. Auch aufgespritzte Lippen und mit Botox behandelte Gesichter sieht man häufiger als in Deutschland – selbst bei Mädels meines Alters. Vielleicht liegt es daran, dass es statistisch gesehen mehr Frauen als Männer gibt. Aber natürlich spielt auch eine Rolle, dass russische Frauen noch immer weniger Möglichkeiten haben, Karriere zu machen als Männer. Einige Berufe sind für Frauen sogar verboten.
6) Putin ist nicht gleich Russland
Ein häufig gesagter Satz, aber er stimmt. Leider wird in der Berichterstattung in Deutschland Russland häufig mit Putin personifiziert. Und während viele Deutsche eine negative Meinung von Russland haben, ist das umgekehrt nicht so: Russen mögen Deutschland, sie schauen sogar ein Stück weit auf zu unserem Land. Übrigens: Putin T-Shirts trägt hier niemand, das wird den Touristen überlassen. Und einen Krieg will hier auch keiner anfangen: Die Aufregung vor der WM war sehr groß, viele sind stolz, so viele Menschen aus anderen Ländern ihr Land zu zeigen. Allein 20.000 junge Russen haben sich als Freiwillige für das Programm der „Stadt-Volontäre“ angemeldet.
7) Die russische Sprache ist der Fahrschein in die russische Kultur
Wer nach Moskau kommen sollte, wird schnell merken, dass die russischen Anzeigen nicht besonders fremdenfreundlich sind (auch wenn sich das zumindest in Moskau im letzten Jahr teilweise geändert hat, dank der anstehenden Fußball-WM). Die Anzeigen in der Metro sind nämlich meist in kyrillischer Schrift. Das russische Alphabet ist aber einfacher als es aussieht.
8) Russland ist mehr als Moskau und St. Petersburg
Moskau und St. Petersburg waren die einzigen Städte, die ich kannte, bevor ich nach Russland kam. Beide Städte sind sehenswert, doch interessant ist auch der sogenannte Goldene Ring. Gemeint sind damit die Städte um Moskau wie Wladimir, Jaroslawl und Sergijew Possad, alles Städte mit Bauten, die als UNESCO-Weltkulturerbe eingestuft wurden. Interessant ist auch Kasan, die Hauptstadt der Republik Tartastan (hier spielt Deutschland gegen Südkorea). Hier treffen Islam und Orthodoxie aufeinander, die Stadt wird daher auch das „Istanbul Russlands“ genannt.
Ebenso ist Sotschi (WM-Spiel Deutschland gegen Schweden) einen Besuch wert. Während des Kaltes Krieges war es eines der Top-Ziele für die Bewohner der Sowjetunion, aber auch heute noch ist die Stadt am Schwarzen Meer einen Besuch wert: Während man im Winter beim Skifahren das Meer sehen kann, kann man im Sommer an der Strandpromenade entlang schlendern oder die Datscha (Sommerhaus) von Stalin besuchen. Was nicht fehlen sollte, ist die transsibirische Eisenbahn, die durch sibirische Städte wie Jekaterinburg, Novosibirsk und Krasnojarsk fährt und auch am berühmten Baikalsee einen Stopp einlegt.

9) Yandex und Uber sind das schnellste Mittel zur Fortbewegung
Es gibt eine Sache, die man in Russland eher nicht tun sollte: in ein fremdes Taxi steigen. Vor allem am Flughafen kosten diese manchmal das Zehnfache des normalen Preises und die Fahrt kann noch dazu gefährlich enden. Nach einer Woche in Moskau haben die meisten entweder Yandex oder Uber installiert (am besten beides). Beides sind Apps, mit denen man schnell, egal zu welcher Tageszeit und für wenig Geld (3 -5 €), ein Taxi bestellen kann.
10) Party like a Russian: Wodka + Datscha
Zu guter Letzt: In Moskau und St. Petersburg kann man sehr gut feiern gehen. Eine Überraschung war der erste Besuch in der Bar-Kette Killfish, in denen es eine Challenge gibt, in der man so viel wie möglich trinken muss, aber dabei mit einem Baseballschläger geschlagen wird und mit Flammen besprüht wird. Der Rest der Bar-Gäste feuert an. Insgesamt aber unterscheiden sich die Clubs nicht so sehr von Deutschland: Gespielt werden die Charts, zwischendrin auch mal russische Lieder. Besonders beliebt zum Ausgehen ist die Bolotnaya Uferpromenade, die auf einer künstlichen Insel liegt: Früher war hier eine Süßwarenfabrik, heute findet man hier viele Clubs. Im Zentrum der Stadt gibt es etliche Bars in der Straße Kuznetsky Most, beliebt ist unter anderem das Kamtschatka, welches nicht nur der Name einer Bar, sondern auch der einer russischen Halbinsel nördlich von Japan ist. Falls man Heimatgefühle hat, verschlägt es einen ins Paulaner, ein deutsches Bierhaus bayrischer Art. Wo die Partys allerdings wirklich eskalieren sind in privat angemieteten Datschas. Diese befinden sich zumeist außerhalb von Moskau und haben optimalerweise einen Pool, eine Sauna und eine gute Portion Wodka.
Ich hoffe, diese 10 Fakten haben einen Einblick in das Leben in Russland und insbesondere Moskau gegeben und statt abzuschrecken motiviert dieses Land einmal zu besuchen. Auch außerhalb der WM ist ein Besuch in Russland absolut zu empfehlen für alle, die Russland mal abseits der Nachrichten erleben wollen und vor allem an der russischen Kultur interessiert sind. Ich habe mich auf jeden Fall in den letzten 10 Monaten ein Stück weit in dieses Land verliebt.
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