Im Mittelpunkt der katholischen Lesetexte zum zweiten Advent steht die Umkehr. Was sich eher nah Fastenzeit anhört, passt gut in den Advent. Die Texte bieten die Chance, das eigene Leben zu reflektieren. Wie das geht, erklärt unser Autor Benedikt Bögle.
Die erste Lesung stammt wie an allen Sonntagen im Advent und auch an Weihnachten selbst aus dem alttestamentlichen Buch des Propheten Jesaja. In Jesaja 11,1-10 wird eine beinah unfassbare Welt beschrieben. Zunächst heißt es da, „aus dem Baumstumpf Isais“ würde ein „Reis“ hervorwachsen. Auf diesem Reis – damit ist so etwas wie ein Zweig gemeint – lässt sich dann der Geist Gottes nieder. Gott „erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht.“ Das ist erst einmal ziemlich kryptisch. Aus einem Baum wächst ein Zweig – und der wird dann mit dem Geist Gottes versehen?
Gemeint ist wohl etwas Anderes. Isai ist der Vater von König David. Die Nachkommen Davids waren in Israel Könige, zumindest solange, bis ein Krieg gegen die Babylonier verloren wurde und die ganze jüdische Elite ins Exil nach Babylon kam. Isai ist damit so etwas wie der Urgroßvater aller Könige, der Beginn eines ganzen Stammbaumes. Aus seinem Baumstumpf wächst ein neuer Zweig hervor. Wo ein Stumpf ist, musste der Baum einmal abgeschlagen werden. Es geht also um das zerstörte Königtum Davids und seiner Nachkommen.
Ein idealer Herrscher
Und jetzt spricht Jesaja von einem Neuanfang, ein neuer Zweig kommt zu Vorschein. Wer das veranlasst, wird auch gleich gesagt: Gott. Er gibt dem neuen Anfang seinen Geist. Und auf diese Einleitung folgt das eigentlich Unglaubliche: Eine perfekte Welt. Da wird von diesem neuen Zweig berichtet, er „richtet gerecht“, entscheidet sich für die Armen und die Unterdrückten, vernichtet Gewalt und Schuld.
Die Neue Welt beginnt bei mir
Weiter erzählt Jesaja dann vom Tierreich. In der Welt, die er beschreibt, ist es kein Problem, wenn Wolf und Lamm, Kalb und Löwe, Kuh und Bärin zusammen auf einer Weide sind. Tiere, die sich unter normalen Umständen in wenigen Minuten fressen würden, leben friedlich zusammen. Sogar ein kleines Kind kann mit Schlangen spielen. Macht nichts, die tun ihm nichts. Das alles wirkt seltsam. Gerade das Christentum hat diesen Text oft auf Jesus bezogen. Er ist dieser neue Zweig, der gerecht regiert und damit eine Welt des Friedens schafft.
Der ursprüngliche Text hat wohl etwas Anderes gemeint. Vielleicht aber ist das Ganze auch eine Aufforderung an uns alle. An jeden Leser des Textes. Die beschriebene Welt ist vielleicht idealistisch, ja. Aber ganz unmöglich wohl nicht. Jeder von uns kann gerecht richten, „nicht nach dem Hörensagen entscheiden“. Klar, das tut man jeden Tag. Vorverurteilen, Klischees bedienen, Andere ausgrenzen. Aber nötig ist das nicht. Vielleicht kann Jesaja so zumindest ein kleines Stück weit als Aufforderung gelesen werden: Wer eine so perfekte Welt will – und wer will das denn nicht? – der soll auch selbst etwas dafür tun. Umkehren.
Paulus gegen Ausgrenzung
Auch der zweite Text des Sonntags geht in diese Richtung. Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom, die wohl zerstritten und gespalten ist (Röm 15,4-9): „Nehmt einander an.“ Er ruft die Christen im antiken Rom zu Einmütigkeit auf. Nicht Spaltungen und Trennungen sind der Weg, sondern Gemeinsamkeit. Und wieder richtet sich der Text an den Einzelnen. Den anderen annehmen – man könnte noch bei Paulus hinzufügen: Den anderen so annehmen, wie er ist. Unabhängig von seiner Kultur oder der Hautfarbe, seiner Sprache oder Bräuchen, den kleinen oder großen Marotten und Angewohnheiten. Hört sich einfach an, ist es aber im Alltag nicht unbedingt. Dafür gibt es eigentlich nur einen Weg: Umkehren.
Ein Exot zieht Massen an
Im Evangelium des zweiten Advents kommt Jesus nicht vor. Ein anderer steht im Mittelpunkt: Johannes der Täufer. Er wird bei Matthäus 3,1-12 beschrieben als ein Mann, der in der Wüste lebt, einen Mantel aus Kamelhaar trägt und von Heuschrecken und Honig lebt. Das muss man sich mal vorstellen. Bildlich. Ein vollkommener Exot wird da beschrieben, vielleicht sogar ein richtiger Spinner. Aber er zieht die Leute an. Seine Predigt ist einfach: „Kehrt um!“ In Scharen kommen die Menschen, um sich von ihm in der Wüste im Jordan taufen zu lassen.
Umkehr muss ernst gemeint sein
Darunter sind auch einige „Pharisäer und Schriftgelehrten“, Vertreter wichtiger jüdischer Gruppen. Und plötzlich wird Johannes ziemlich wütend. Er merkt: Diese Leute wollen gar nicht wirklich umkehren. Die sind da und lassen sich vielleicht auch in den Jordan tauchen – aber weiter passiert nichts. Sie verändern ihr Verhalten nicht und auch nicht ihr Leben. Und in dieser Wut sagt Johannes, was am Ende mit den Sündern passieren wird, mit denen, die nicht umkehren: Sie werden abgehauen, so wie mit einer Axt ein Baum abgeschlagen wird. Sie werden verbrannt, wie die Spreu, wenn man das Weizen schon getrennt hat. Bei solchen Aussichten sollte man lieber umkehren.
Advent ist eine Fastenzeit
Die Lesungen sind ungemütlich an diesem zweiten Adventssonntag. Von Weihnachtsstimmung ist noch gar nichts zu hören oder zu spüren. Aber ein Motiv kommt ganz deutlich zum Tragen: die Umkehr. Der Mensch soll sein Verhalten ändern. Das mag verwundern. Das hört sich viel eher nach Fastenzeit an.
Aber eigentlich ist auch der Advent so etwas wie eine Fastenzeit. Die Christen wollen sich auf Weihnachten vorbereiten und dabei ganz besonders auf das eigene Leben schauen. Soe denken darüber nach, was nicht richtig ist und was da nicht passt im eigenen Verhalten. Und genau dazu ermutigen diese Texte. Von Jesaja, der eine perfekte Welt zeigtüber Paulus und die Probleme in der Gemeinde von Rom bis hin zu Johannes und der eigentlich ziemlich einfachen Botschaft: Umkehren.
Schreibe einen Kommentar