Ina, Du schreibst sehr persönlich, lebendig und pointiert. Zum Beispiel von der halsbrecherischen Fahrt durch die indische Stadt Varanasi: „Gleichzeitig schießt ein Moped aus einer Gasse. Drei erwachsene Personen sitzen darauf und die hintere Frau hält noch ein Baby im Arm. Der Mann zieht um die Kurve und entgeht nur knapp einem Zusammenstoß mit uns. Ich hole hörbar Luft. Während er wieder beschleunigt, dreht sich mein Fahrer grinsend zu mir um: ‚In Indien, Fahren ist wie Computerspiel!‘ Ich lächle gequält. Ja, der Vergleich ist gut, nur dass man in einem Computerspiel mehrere Leben hat.“ Wie groß war für Dich der Kulturschock im außereuropäischen Ausland?
Den größten Kulturschock erlebte ich, als ich mich nach sechs Monaten in Asien plötzlich im westlichen, zivilisierten Australien widerfand. Als wir dort in der ersten Nacht eine Jugendherberge bezogen, wollte ich gleich auf die Toilette. Als ich ins Bad kam, schnappte ich erstmal fassungslos nach Luft: Da hing Toilettenpapier neben dem Klo. Ohne nachzudenken hatte ich routinemäßig erst die Klopapierrolle aus meinem Rucksack genommen, bevor ich ins Bad gegangen war. In Asien gab es so gut wie nie Toilettenpapier, das musste man immer auf dem Markt kaufen, wenn es das mal gab. Man musste es allzeit bereit haben, denn Dauerdurchfall war für uns eigentlich auch schon normal. Im Buch beschreibe ich den ersten Supermarktbesuch in Australien. Ich sehnte ich mich zurück nach Asien, wo alles irgendwie lebendiger war: das Fleisch auf dem Markt schien zu flimmern von den Fliegen darauf, Bakterien florierten in kleinen Schnittwunden, Mosquitos summten einem die ganze Nacht um die Ohren, man musste sein Essen gegen Kühe verteidigen, die ihre Köpfe durch die Restaurantfenster streckten und hupende Autos husteten 24 Stunden am Tag ihre Abgase in die Luft: Das war Leben! Das europaähnliche Australien war tot dagegen.
Trotzdem sagst Du, dass wir Europäer viel von den Leuten dort lernen könnten. Was denn zum Beispiel?
Wir können lernen, zu leben. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun hatte, hatten fast nichts, keinen Besitz, der sie belastete. Sie hatten eine löchrige Bambushütte und einen Teppich, auf dem sie schliefen. Sie hatten ein Schwein, das sich durch den Dreck unter ihrem auf Stelzen gebauten Haus wühlte, Kinder, die in den Wasserfällen planschten und auf Mangobäume kletterten, und eine natürliche Belüftung in ihrem Haus, weil der warme Wind durch die Spalten zwischen den Bambusstäben wehte. Sie lachten, waren neugierig und wollten mit uns in Kontakt kommen, sie waren glücklich, wenn sie uns stundenlang etwas erzählen konnten und wir einfach nur zurück lächelten, weil wir kein Wort verstanden. Sie konnten einfach so loslaufen, um an einen Ort zu pilgern, der hunderte Kilometer entfernt ist, nur mit einer Wasserflasche in der Hand, ohne belastendes Gepäck, weil sie es einfach nicht brauchen. Das ist Freiheit. Diese Leute sind nicht arm, nur weil sie keine Möbel besitzen. Sie sind reich, weil sie diesen Kram einfach nicht brauchen, um glücklich zu sein. Sie leben einfach.
Bei den meisten Deutschen hat man nicht so den Eindruck, dass sie wirklich glücklich sind… Woran könnte das liegen?
Deutsche konzentrieren sich gerne auf das, was sie nicht können, was nicht geht, was unmöglich ist. Aber sie vergessen, dass viele Leute gar nicht wissen, was in Deutschland alles unmöglich ist. Erzähle mal einem Inder, dass es unmöglich sei, mit fünf Leuten auf einem Moped zu fahren oder sich den Führerschein für zehn Euro am Straßenrand zu kaufen. Zwei Stromkabel direkt unter der Dusche zu verzwirbeln soll unmöglich sein? Quatsch! Man bekommt nur ab und zu einen Stromschlag beim Haarewaschen, das ist doch nicht der Weltuntergang.
Um reich zu werden, ist es wahrscheinlich sinnvoller, Pfandflaschen zu sammeln, als ein Buch zu schreiben. Was war also der Grund, warum Du so viel Arbeit in dieses kleine Büchlein investiert hast?
Ich möchte die Leute aufmerksam machen auf die Schönheit der Welt und ihnen bewusst machen, dass auch sie das sehen und erleben können. Wenn jemand gerne selbst eine Reise machen will, dann stehe ich ihm gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Mit Tat?
Naja, wenn ihr in meinen Semesterferien reist, dann komme ich wirklich gerne mit, egal wohin, es gibt noch so viel, was ich sehen will…
Allerletzte und wahrscheinlich wichtigste Frage: Wo krieg ich Dein Buch her?
Am besten einfach über meine Internetseite. Übrigens gibt es dort auch einen Kurzfilm über das Buch zu sehen, in dem eine Szene die oben beschriebene Situation zeigt, in der mir viele neugierige Inder über die Schulter schauen, während ich schreibe. Oder ihr schreibt mich über die Facebook-Seite des Buches an, da bekommt ihr auch aktuelle Infos über Veranstaltungen und Vorträge oder andere Gelegenheiten, mich kennenzulernen.
Liebe Ina, vielen Dank für das Gespräch!
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