Ich war in der achten Klasse und ich konnte sie nicht leiden. Ich hielt sie für aufgeblasen, rechthaberisch und streberhaft. Ich bedauerte mein Schicksal, als wir mit der Jahrgangsstufe bei den Orientierungstagen waren und ich ihrer Gruppe zugeteilt wurde. Wir sollten aus zwei Blatt Papier, etwas Klebeband und zwei Luftballons ein Fluggerät basteln, womit man ein rohes Ei aus dem Fenster des ersten Stockwerkes sanft hinabsegeln lassen kann, ohne, dass das Ei dabei zu Omelett wird. Ich war damals zu cool für die wohldurchdachten, pädagogisch äußerst sinnvollen Spinnereien meiner Lehrer und begann alles ins Lächerliche zu ziehen. Das ging ihr zu weit. Sie musste einschreiten.
Ihr Name ist Ina Schebler. Sie ist eine unscheinbar wirkende Person mit strohblondem Haar und energischen Kiwi-Augen. Sie ist Linkshänderin. Das waren Julius Cäsar, Napoleon und Winston Churchill auch. Und schon damals war jedem klar: Sie ist eine Macherin. Sie ist selbstbewusst, ehrgeizig und zielorientiert. Dass sie auch sympathisch, witzig und richtig nett sein kann, merkte ich erst, als sie meine Chefredakteurin in der Schülerzeitung wurde. Nachdem wir beide das Abi gemacht hatten, ging sie auf Weltreise. Jetzt ist sie zurückgekehrt und hat ein Buch geschrieben. Mit links natürlich. Was sie dabei erlebt hat und wie man sich als frischgebackene Jungautorin fühlt, erzählt sie nun in diesem Interview.
Ina, hast Du es mittlerweile verkraftet, dass das Eier-Fluggerät unserer Gruppe damals trotz deiner Bauanweisungen kolossal versagt hat?
Seltsam, ich dachte eigentlich, das Ei kam heil unten an. Kann es sein, dass du den Erfolg verdrängt hast, weil du es nicht ertragen konntest, dass es durch meine Anleitung damals geklappt hat?
Du bist jetzt ein Jahr lang mit Deiner ganzen Familie durch die Welt getourt. Wie fühlt es sich an, mal wieder im eigenen Bett zu schlafen?
Wofür braucht man überhaupt ein Bett? Man kann die Matratze doch genauso gut auf den Boden legen. Als ich meinen Kleiderschrank aufgemacht habe, hätte ich am liebsten die ganzen Sachen genommen und weggeschmissen. In den ersten Wochen danach habe ich nur die ausgewaschenen T-Shirts und Hosen angezogen, die ich auch auf der Reise dabei hatte. Die vollen Regale in meinem Zimmer schienen mich manchmal fast zu erdrücken. Unterwegs habe ich gespürt, wie Besitz einen belastet. Jedes Gramm Besitz musste ich mit mir herumschleppen, es machte mich langsam, wenn ich dem Bus hinterherrannte, es verursachte Stress, wenn man versuchte, acht Gepäckstücke zusätzlich zu den vier Leuten in ein Tucktuck zu quetschen und es konnte manche Touren unmöglich machen, weil man das Gewicht schlichtweg nicht auf die mehrere tausend Meter hohe Spitze eines Vulkans schleppen kann.
Insgesamt 20 Länder habt ihr bereist, unter anderem Peru, Nepal, Brasilien, Australien, Neuseeland oder Indien. Wie kamst Du auf diese Idee und warum wolltest Du gleich die ganze Familie dabeihaben?
Naja, für Ende 2012 war ja der Weltuntergang vorausgesagt, da sollte man doch die Zeit, die einem noch bleibt, nutzen, oder? (lacht) Es sollte von Anfang an eine Familienreise sein. Vermutlich die letzte, die wir gemeinsam machen würden, schließlich war klar, dass ich danach ausziehen würde, um zu studieren. Es sollte ein Jahr Familien-Zeit sein, Zeit, die meine Eltern früher nicht mit uns Kindern verbringen konnten, weil sie viel arbeiteten. Zeit, die meine Schwester und ich in unserem jungen Leben stärken, unseren Horizont erweitern und uns ein Sprungbrett ins Leben bieten würde.
Wie habt Ihr Euch auf die Reise vorbereitet?
Die Vorbereitungen begannen damit, dass mein Vater eine große Weltkarte kaufte, sie auf einen dicken Karton klebte und eine Schachtel Stecknadeln dazulegte mit den Worten: „Jeder pinnt jetzt mal die Orte an, die er schon immer mal sehen wollte.“ Kurz darauf hatte ich allein die Schachtel leer gemacht und auf der Karte waren Ziele von Sibirien bis in die Antarktis abgesteckt. Das war der Anfang der Planung, aber es musste noch viel geredet und organisiert werden, bis wir dann endlich los konnten. Was wir uns ansehen wollten, wie lange wir in den einzelnen Ländern bleiben oder wo wie schlafen, entschieden wir immer nur ein paar Tage oder Stunden im Voraus.
Du hast 2012 Abitur gemacht, warst freie Mitarbeiterin bei der Main Post in Bad Kissingen und Chefredakteurin der Schülerzeitung „Die Glocke“. Wie kamst Du dann auf die Idee, ein Buch über Eure Reise zu schreiben? Hattest Du die schon vorher?
Die Main Post hat mir die Chance gegeben, von unterwegs aus kurze Artikel auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen, damit fing es eigentlich an. Denn ständig bekam ich E-Mails von Leuten, die sich bei mir darüber beschwerten, dass sie als Nicht-Abonnenten nur den ersten Absatz lesen konnten. Da hatte ich schon die Idee, sie noch einmal gesammelt zu veröffentlichen.
Wie geht man so ein Buchprojekt an?
Ich habe während des Jahres 13 Tagebücher vollgeschrieben. Mit links. Vor allem in Indien waren deshalb oft stundenlang dutzende dunkelbraune Augen auf meine Hand gerichtet, weil die neugierigen Leute es nicht fassen konnten. Sie waren oft so fasziniert, dass sie das Tagebuch abfotografierten, obwohl sie ja gar kein Deutsch konnten und manchmal musste ich wirklich aufpassen, dass ich es nicht aus den Augen verlor, wenn es durch den ganzen Zug gereicht wurde.
Letztendlich ist ja kein dicker Schinken draus geworden, sondern ein kleines, handliches Büchlein mit vielen Bildern…
Zum Ende der Reise habe ich mir vorgenommen, tatsächlich ein richtiges Buch daraus zu machen, stellte aber bald fest, dass das doch viel aufwändiger war, als gedacht, und wollte dann vor Studienbeginn wenigstens ein kleineres Buch herausbringen. Eines, das auch lesefaule Leute lieben werden, weil es in sich abgeschlossene Kurzgeschichten enthält. Und weil ich auch einige wundervolle Fotographien mit zurückgebracht habe, sollte auch gleich noch ein Bildband daraus werden.
Im 2. Teil des Interviews lest ihr in Kürze von den großen Kulturschocks, die Ina während ihrer Reise erlebte.
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