Ein kurzer Blick: In einem vorherigen Artikel ging es um die Macht der Gedanken – wie unser Denken unsere Gefühle, Entscheidungen und sogar unser Gehirn formt. Gedanken sind der Anfang jeder Veränderung. Aber dauerhaft wirksam werden sie erst, wenn sie sich in Handlungen übersetzen.
Denn das, was wir regelmäßig tun, formt mit der Zeit nicht nur unseren Alltag – sondern unsere Identität. Jede Handlung ist ein Ausdruck dessen, wer wir glauben, zu sein und gleichzeitig eine Entscheidung, wer wir werden wollen.
An einem Beispiel erklärt: Wenn du täglich achtsam isst, trainierst du nicht nur deinen Körper, sondern du stärkst das Bild in dir: „Ich bin jemand, der gut für sich sorgt.“
Wenn du immer wieder zu spät kommst, speichert sich das irgendwann als: „Ich bin eben unzuverlässig.“
Handlungen wiederholen nicht nur, was ist, sondern sie festigen, wer du bist. Und sie eröffnen die Möglichkeit, neue Geschichten über dich zu schreiben – durch neue Gewohnheiten. „Du bist, was du wiederholt tust.“
(Aristoteles, sinngemäß)
Gewohnheiten – das stille Steuerprogramm
Gewohnheiten entstehen nicht plötzlich, sondern durch Wiederholung, innere Bedürfnisse und neuronale Verknüpfungen. Unser Gehirn liebt Effizienz, deshalb lagert es wiederkehrende Abläufe aus dem bewussten Denken aus und automatisiert sie. Das spart Energie und macht uns im Alltag handlungsfähig, aber auch anfällig für unbewusste Muster.
Neurobiologisch läuft das so ab:
Wenn wir eine Handlung zum ersten Mal ausführen, ist vor allem der präfrontale Cortex aktiv – das Zentrum für bewusstes Denken, Planen und Entscheiden.
Wird dieselbe Handlung unter ähnlichen Bedingungen wiederholt, beginnt das Basalganglien-System – eine tief im Gehirn liegende Struktur – den Ablauf zu speichern und zu automatisieren.
Mit der Zeit entsteht so ein neuronales Gewohnheitsmuster: Die Handlung wird zunehmend unbewusst gesteuert, läuft schneller, effizienter und scheinbar „von selbst“ ab.
Je häufiger du etwas tust, desto leichter wird es –
und desto mehr wird es Teil von dir.
Der Journalist Charles Duhigg beschreibt diesen Prozess in seinem Buch The Power of Habit als „Gewohnheitsschleife“:
- Auslöser: ein Reiz – zum Beispiel ein Gefühl, eine Tageszeit oder ein bestimmter Ort
- Routine: die Handlung, die du dann ausführst
- Belohnung: das gute Gefühl danach – zum Beispiel Entspannung, Ablenkung, Kontrolle
Wenn diese Schleife oft genug durchlaufen wird, speichert das Gehirn sie als „erfolgreich“ ab und ruft sie beim nächsten Auslöser automatisch ab.
Erklären wir das mal an einem einfachen Beispiel:
Du wartest auf den Bus (Auslöser), greifst zum Handy (Routine) und wirst kurz abgelenkt oder unterhalten – dein Gehirn schüttet Dopamin aus (Belohnung).
Du hast diese Handlung nicht völlig unbewusst ausgeführt, aber auch nicht wirklich bewusst entschieden.
Es ist etwas dazwischen: eine halbautomatische Reaktion, die sich durch Wiederholung eingeschlichen hat.
Auch ungute Routinen entstehen durch Belohnung, nicht weil wir sie mögen, sondern weil sie uns kurzfristig entlasten oder ein Bedürfnis stillen. Zum Beispiel: Stress → Süßes → kurzfristige Beruhigung. Das Gehirn lernt: „Das hilft mir gerade“ – und merkt sich den Weg.
Und ab wann wird eine Handlung zur Gewohnheit?
Die oft zitierte „21-Tage-Regel“ hält wissenschaftlich nicht stand – auch wenn sie für sehr einfache Gewohnheiten manchmal zutreffen kann.
Eine fundierte Studie von Phillippa Lally (University College London, 2009) zeigte:
Im Durchschnitt dauert es etwa 66 Tage (Spanne zwischen 18 bis 254 Tagen), bis ein Verhalten automatisiert ist – also ohne bewusste Entscheidung abläuft.
Bei einfachen Gewohnheiten, wie ein Glas Wasser morgens trinken, reichen manchmal drei bis vier Wochen. Komplexere Veränderungen (zum Beispiel tägliches Laufen oder weniger Handyzeit) können über 200 Tage brauchen.
Gewohnheiten sind nicht einfach da – sie werden gebahnt. Und du kannst entscheiden, welche Wege du öfter gehst.
Der Schlüssel dafür ist: Bewusstheit schaffen. Nicht jede (automatisierte) Gewohnheit ist schlecht – viele sind sogar überlebenswichtig. Doch entscheidend ist die Frage: Dienen meine Gewohnheiten dem Leben, das ich führen möchte? „Nicht alles, was automatisch läuft, ist richtig.“ „Und nicht alles, was anstrengend wirkt, ist falsch.“
Manche Gewohnheiten schleichen sich ein, ohne dass wir sie je wirklich bewusst gewählt haben. Deshalb braucht es regelmäßiges Innehalten und die ehrliche Frage: Will ich das so, oder ist es reine Gewohnheit?
Wie lassen sich Gewohnheiten verändern?
Veränderung beginnt nicht mit Willenskraft, sondern mit Verständnis und Struktur. Hier ein paar Schritte, die wirklich funktionieren:
1. Beobachte deine Gewohnheiten – ohne zu verurteilen.
Schreibe typische Verhaltensmuster auf. Wann tritt was auf?
2. Verstehe das Bedürfnis dahinter.
Jede Gewohnheit erfüllt eine Funktion. Frag dich: Was suche ich eigentlich? Trost? Anerkennung? Ruhe? Kontrolle?
3. Verändere die Routine – nicht das Bedürfnis.
Wenn du beispielsweise zur Schokolade greifst, weil du gestresst bist – finde einen anderen Weg, mit Stress umzugehen. Tief Ein und Ausatmen, Schreiben, Spazierengehen…
4. Starte klein
Das Gehirn liebt Wiederholung, nicht Größe. Fang nicht mit „eine Stunde früher aufstehen“ an – sondern mit: Abends das Handy fünf Minuten eher weglegen.
5. Wiederhole regelmäßig – am besten täglich.
Je konstanter, desto wirksamer. Denn: Wiederholung schlägt Motivation.
Abschlussgedanke:
Du wirst, was du regelmäßig tust.Gedanken können der Anfang sein. Aber Taten verankern Veränderung. Dein Tag ist kein Zufallsprodukt – sondern die Summe deiner Mikroentscheidungen. Was du isst, wie du sprichst, wie du mit dir selbst umgehst, wie du den Morgen beginnst – all das prägt dich. Nicht sofort. Aber sicher.
Literaturhinweise
- Lally, P., van Jaarsveld, C. H. M., Potts, H. W. W., & Wardle, J. (2009).
How are habits formed: Modelling habit formation in the real world.
European Journal of Social Psychology, 40(6), 998–1009.
https://doi.org/10.1002/ejsp.674 - Duhigg, C. (2012).
The Power of Habit: Why We Do What We Do in Life and Business.
New York: Random House.






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