Markus Gabriel kam zur Philosophie, als er auf dem Weg zur Grundschule einen Tropfen Wasser ins Auge bekam und es die Laterne vor ihm plötzlich doppelt gab. So fragte er sich, was wäre, wenn er von nun an für immer einen Tropfen Wasser im Auge hätte und deshalb alles immer doppelt sähe. Woher wüsste er dann, ob es diese Laterne nicht vielleicht wirklich zweimal gibt? Warum privilegieren wir eigentlich eine bestimmte Abbildung und erklären diese zur Wirklichkeit? Diese Episode beschreibt der Philosoph als sein „philosophisches Urerlebnis“.
Philosophie – alles andere als langweilig
Wenn man an den Philosophieunterricht in der Schule zurückdenkt, so kommen einem vielleicht viele scheinbar endlose Stunden voller Gähner und trockenem Gerede über längst tote Männer ins Gedächtnis. Doch von trockenem philosophischem Gerede war in dem einstündigen Interview mit Markus Gabriel keine Spur. Und nicht zuletzt deshalb, weil er auch ganz gerne mal hochgerühmte Philosophen wie Immanuel Kant durch den Kakao zieht, der seiner Meinung nach ein widerlicher Rassist war, und den Sozialdarwinismus hält er für dumm. Diesen respektlosen Umgang mit den von unserer Gesellschaft am höchsten geschätzten und gefeierten Philosophen begründet der junge Philosoph damit, dass es in der Philosophie keine Autorität gebe. Wenn er fände, dass Kant Recht hatte, so hatte er dies, weil er Recht hatte und nicht, weil er Kant hieß. So war auch Hegel ohne Frage ein brillanter Philosoph, doch seine Antwort auf die Frage, die er sich selbst stellte, warum es nur in Europa Philosophen gäbe (was an und für sich schon eine falsche Annahme ist), lautete, dass Inder und Chinesen nicht denken könnten, weil die Frauen zu schön sind und das Wetter zu heiß und das ist ohne Frage Humbug.
Die Wirklichkeit existiert nur im Plural
Überhaupt stellt Gabriel sich gegen das naturwissenschaftliche Weltbild. Die Annahme, man könne alles, was überhaupt existiert, mithilfe der Physik und der Biochemie erklären, sei eine Form von Aberglaube, denn die Ansprüche diesen Weltbildes, alles beschreiben zu können, seien viel zu hochgegriffen, so Gabriel. Um die Welt oder die Wirklichkeit beschreiben zu können, müsste man laut dem Philosophen ein außenstehender Beobachter sein, also nicht Teil dessen, was man beschreiben will, denn sobald man etwas beschreibt, beschreibt man letztlich sich selbst, da alles Beobachtete durch die subjektive Perspektive gefiltert wird. Die Wirklichkeit, in der die Welt stattfindet, existiert also laut Gabriels Weltanschauung, des Neuem Realismus, nur im Plural, da jede Perspektive eines jeden Menschen eine Wirklichkeit darstellt. Insofern existiert die Welt nicht, da man sie nur in zeitlich und räumlich begrenzten Fenstern beschreiben kann, niemals aber als Ganzes.
Das Leben findet, durch die zeitliche und räumliche, sowie perspektivische Begrenzung nur in Fragmentierungen statt, etwas Ganzes gibt es also nicht, weil es keine Totalität gibt. Folglich existiert für jeden Menschen seine individuelle Wirklichkeit, eben so, wie er persönlich sie entsprechend der Zeit, dem Ort und all dem persönlichen Material, das er mitbringt – das, was Gabriel das Unabdingbare nennt, also jenes im Menschen, was man nicht zu einem Ding machen kann; die Seele wenn man so will – erlebt. Somit existiert auch das Einhorn, von dem du letzte Nacht vielleicht geträumt hast; das meint zumindest Gabriel. Denn, hast du letzte Nacht von einem Einhorn geträumt, so ist dieser Traum für dich eine Wirklichkeit, es gab ihn ja, also gab es auch das Einhorn – jedenfalls in der Wirklichkeit deines Traumes.
„Demokratische Philosophie“?
Markus Gabriels Werk „Warum es die Welt nicht gibt“ erhebt den Anspruch, ohne Voraussetzungen von einem jeden gelesen werden zu können. Ist dies beinah eine revolutionäre oder vielleicht eher „demokratische Philosophie", wenn man mal an Kants philosophisch-(aristokratischen?) Sprachdschungel denkt? Äußerst "undemokratisch an dem Jungphilosophen ist jedenfalls seine pauschale Diffamierung seiner vermeintlichen philosophischen Gegner, wie den Metaphysikern, Kant, Darwin und die Liste ließe sich noch weiter führen". Da stellt sich die Frage: Ist Markus Gabriel entweder so sehr von sich und seiner Theorie überzeugt, dass er das Selbstbewusstsein hat, alle anderen Theorien, die ihm nicht so Recht in sein Konzept passen, für dumm oder schlichtweg falsch zu erklären? Oder ist das Gegenteil der Fall und Gabriel misst seiner Theorie so wenig Wert zu, dass er es lieber auf die noch aus Schulzeiten bekannte Weise tut und alle um sich herum schlecht macht, um selber besser dazustehen? Ein Immanuel Kant kann sich schließlich schlecht gegen die Kritik wehren. Man sollte doch meinen, ein Philosoph, der für ein pluralistisches Wirklichkeitsverständnis eintritt, könne konkurrierende philosophische Theorien vertragen. Ist das nicht schließlich das, was den Pluralismus ausmacht?
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