Montagabend. Max Mustermann liegt nach einem langen Arbeitstag übermüdet von dem wieder einmal viel zu kurzen Wochenende vor der Mattscheibe, welche mit grellen Farben das triste Grau seines Zimmers erhellt. Nach einem sonnigen Tag hatte es pünktlich zum Feierabend angefangen zu regnen und wahrscheinlich würde es das auch noch pünktlich bis zum Dienstbeginn am nächsten Tag. Langsame Bilder, in denen ein älterer Mann in Erinnerungen schwelgt, wie er als Kind mit seinem Vater die häusliche Wendeltreppe gebaut hat, unterlegt von schweren Streichern, lassen ihn das rastlose Zappen für einen Moment unterbrechen. Es ist ein Fernsehspot einer großen Baumarktkette, welcher mit den Worten endet: “Und was bleibt von dir?”
Unser Leben nach Schablone
Wir sind einer unter vielen. Genauer gesagt einer unter mehr als sieben Milliarden Menschen. Wir führen ein Schablonenleben nach Maß und gängigen Richtlinien, geprüft und wenn wir in Deutschland leben sicherlich mit Gütesiegel versehen. Und ja,
„eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.“ (Der Refrain im Poetry Slam von Julia Engelmann).
Der Wunsch danach, unser viel zu normales Leben zu verändern, aus dem alles andere als abnormalen Alltag zu entfliehen, aus der öden Durchschnittlichkeit auszubrechen, ist präsenter denn je. Das bewiesen in den vergangenen Wochen die Millionen Klicks unter einem eigentlich gänzlich unspektakulären Video einer Bremer Poetry Slammerin. Die Hauptaussage der blonden Psychologiestudentin: Unser Leben ist zu kurz, also lasst uns heute anfangen so zu leben, wie wir es wollen. In Kurzform: Unser Leben muss „leider geil“ sein. Musik in den Ohren für den gerade erst volljährigen, lebenshungrigen „Yolo“-Jünger, der schon früh lernen musste, dass die „Bück-Dich-Hoch“-Strategie leider zu oft verlangt ist. Schwelgt in diesem Wunsch nicht aber auch ein gewisses Selbstmitgleid mit, gemischt mit einer Prise Dekadenz, wenn wir uns den großen Kontinent weiter südlich anschauen?
Wäre es nicht schön, ein Mensch zu sein, der schon in jungen Jahren für sein Lebenswerk mit einem Preis ausgezeichnet wird, dessen Leben in eigentlich auch nur tristen Studios in Hollywood verfilmt wird, dessen Name unter schon gar nicht mehr großartig selektierten 2515 Sternen in der Sonne Kaliforniens strahlt und dessen Biographie monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste ist? Wäre es aber auch immer noch schön, keinen einzigen Schritt unbeobachtet und von Bodyguards umzingelt aus der Haustür zu machen, jeden Tag andere Unwahrheiten in der weltweiten Presse über die eigene Person zu lesen und den Druck der Öffentlichkeit nahezu täglich zu spüren? Tut die auf einer festen Struktur basierenden Durchschnittlichkeit nicht auch gut, schenkt das „in der Menge versinken“, das „einer unter vielen sein“ nicht auch eine wohlige Ruhe? Ist es nicht befriedigend, keine Bürde einer polarisierenden Tat tragen zu müssen und nicht den rasanten, tiefen Fall nach dem mühsamen Aufstieg, ein Leben einer Parabel ähnlich, erfahren zu müssen? Oder auf neudeutsch: Chillt das alles nicht ganz ordentlich?
Lernen, die Mittelmäßigkeit zu genießen
Denn die ernüchternde Tatsache: Unser Leben wird höchstwahrscheinlich einem Marathon in einem Hamsterrad gleichen, unterbrochen von an beiden Händen abzählbaren Momenten des Außergewöhnlichen, des Überdurchschnittlichen. Aber den Streckenverlauf, den können wir zum Glück selber bestimmen. Ihn selber in die Hand zu nehmen, aktiv zu werden, seine Wünsche auf Realismus zu stutzen und diesen mit Bedacht nachzugehen erfordert sicherlich Mut, aber wie Julia Engelmann schon sagt: „Mut ist auch nur ein Anagramm von Glück.“ Denn wer das tut, was er liebt, tut dies nicht aus Anspruchsdenken an eine außergewöhnliche Tat. Er macht sich somit frei von dem Gedanken, überdurchschnittlich sein zu müssen, denn das, was er tut, ist für ihn selber dann fernab von jeder Durchschnittlichkeit. Vor allem aber ist er frei von der Meinung der anderen.
Also wie wäre es, wenn wir uns freimachen von dem Konkurrenzdenken, dem Vergleich mit den anderen, dass unser augenscheinlich grausam ödes Leben uns erst vor Augen führt? Denn Durchschnitt ist Ansichtssache und ist das, was man draus macht. Und vielleicht wird ja dann auf einmal von ganz alleine die eigene Tätigkeit als etwas Besonderes angesehen und man entflieht unfreiwillig der Durchschnittlichkeit. Aber das wird einem dann, wenn man an diesem Punkt angelangt ist, ziemlich egal sein.
Schreibe einen Kommentar