Seine Position auf dem Spielfeld in der aktiven Zeit, Mittelfeld/Angriff. Angreifen muss Uli auch diesmal. Er schaffte 100 Meter in elf Sekunden. Rennen muss Uli auch diesmal. Nur nicht davon. Er muss um das kämpfen, wofür er einst stand. Der Vorzeige-Mann des FC Bayern. Hoeneß war der Aufsteiger, der Rückschläge hinnehmen musste. Für Uli reichte so vieles nicht. Sein Abitur schloss er mit 2,4 ab, wollte Betriebswirtschaftslehre an der LMU in München studieren. Voraussetzung: 3,0. Leider war der gebürtige Ulmer kein bayerischer Studienplatzanwärter, so stufte man ihn eine Note schlechter. Es reichte nicht. Uli ging neue Wege und widmete sich dem Lehramtsstudium in Anglistik und Geschichte, brach nach dem 2. Semester ab und preschte in seine Profifußballkarriere, die ihm so viel schenkte. Doch die Misserfolgsserie nahm kein Ende. Bei der Bundeswehr lehnte man ihn ab, da das Helmtragen ihm Kopf- und Knieschmerzen bereitete. Mit gerade mal 27 Jahren war er gezwungen, seine Fußballleidenschaft auf dem Rasen zu beenden, aufgrund eines Knorpelschadens. 1982 überlebte er einen Absturz des zweimotorigen Propellerflugzeuges. Gemeinsam war er mit Freunden auf dem Weg von München nach Hannover zu einem Länderspiel gegen Portugal. Ein Förster fand Hoeneß. Uli kroch und sprach: „Mir ist kalt, ich friere.“ Uli Hoeneß stand auf und machte weiter. Niederlagen wandelte er in Kraft um und setzte da an, wo er aufgehört hatte. Nun verlangt ein neuer Niederschlag den gleichen Kampfgeist von dem 52er Jahrgang. Der Absturz nun ein anderer. Die Fassade unbeschädigt, doch der Kern getroffen.
Das FC-Bayern-Präsidenten-Haus schwankt
Im Geburtsmonat des Schwaben stellte sein Steuerberater in diesem Jahr Selbstanzeige beim Finanzamt Miesbach, wegen Steuerhinterziehung. Im März durchsuchten Beamte sein Haus am Tegernsee. „Es gab bislang Tausende von Selbstanzeigen, ich hatte von keiner gehört, die öffentlich wurde“, sagte Hoeneß im Interview mit Der Zeit. Die große Präsidentenbühne ist nun nicht mehr Ulis Platz, er steht am Pranger. Die Medien schießen sich auf ihn ein, wie ein Torwart beim Training die fliegenden Bälle abwehren muss, ohne Rücksicht auf die Verdienste eines Mannes, die er trotz Steuerhinterziehung für die Gesellschaft in der Vergangenheit geleistet hat. Die Schuld gesteht sich Hoeneß selbst ein, niemand muss sie ihm geben. Der Architekt hat die Planung verfehlt. „Das ist für mich ein ganz großes Problem. Ich fühlte mich in diesen Tagen auf die andere Seite der Gesellschaft katapultiert, ich gehöre nicht mehr dazu. (…) Ich habe Riesenmist gebaut, aber ich bin kein schlechter Mensch.“ Den Mut haben wenige, schon gar nicht Ex-Bundespräsidenten. Der Würstl-Liebhaber war für alle da. Nun steht ihm kaum einer bei, bis auf seine Kinder und seine Frau Susi. Uli hat sich geschadet, sein Image ruiniert, öffentlich Stellung bezogen und den Fehler zugegeben. Nicht schön, nicht schick, nicht sauber, aber wer nimmt am meisten Schaden bei solch einem „Verbrechen“? Die Person Hoeneß. Erkennt man die Leistung und Taten eines Menschen nicht mehr an, obwohl sie existieren und man in guten Zeiten profitiert hat?
Vielfältiges Engagement
Die Mehrheit der Bevölkerung hätte sich Herrn Hoeneß als Bundespräsidenten gewünscht. Seine offene, manchmal ruppige Art zeugte von Natürlichkeit. Er war da, wenn andere ihn brauchten. Uli half Spielern, wie Gerd Müller, Mehmet Scholl, Sebastian Deisler, aus misslichen Lagen. Er rettete Fußballklubs, wie St. Pauli oder Hansa Rostock und fütterte sie mit Millionenbeträgen. Er spendete Auftrittshonorare und Gagen – gründete Stiftungen. Uli prahlte damit nicht. Vieles lief still und im Verborgenen über die Bühne. Im Oktober 2012 sagte er bei der Dominik-Brunner-Stiftung: „In der Familie ist alles okay, beim FC Bayern läuft‘s, es gibt nicht mehr so viele Ziele. Da freut man sich, wenn man anderen helfen kann.“ Das tat er. Versprechen löste er durch Handeln ein. Über den Verein Kinderträume überreichte Hoeneß eine Spende an eine Familie eines mehrfach behinderten Mädchens. Die gute Tat: Der Schlüssel für ein behindertengerecht umgebautes Auto. Uli nimmt sich Zeit für ein Foto. Der persönliche Kontakt ist ihm wichtig. Eines seiner großen Projekte war der Bau der Allianz Arena für 365 Millionen Euro, die 2005 öffnete. Auch dort findet Gutes statt. Christian Klein, Rollstuhlfahrer erinnert sich an ein Erlebnis in der Allianz Arena: „Einmal, lange her, hatte ich keine Karte. Wir standen mit unseren Rollstühlen vor dem Stadion, da rief der Ordner Uli Hoeneß an und sagte: „Da stehen noch acht. Wie viele dürfen rein? Hoeneß: „Acht.“ Er handelt menschlich, einfach aus der Situation heraus, überlegte nicht lange. Fluch und Segen gleichermaßen.
Neben seinem Engagement machte der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende des FC Bayern nach seiner Fußballer-Karriere den FCB finanziell und sportlich zu dem erfolgreichsten Verein in Deutschland. Mit 27 Jahren wird er der jüngste Manager in der Geschichte der Bundesliga, damals machte der Verein 12 Millionen Mark Umsatz – mit 20 Mitarbeitern, heute sind es 500 Mitarbeiter und knapp 400 Millionen Euro. Davor hatte er mit nur 22 Jahren alle wichtigen Titel gewonnen. Als Spieler weiß er, wie es sich anfühlt zu gewinnen, aber auch zu verlieren. Das gilt an der Börse, wie auf dem Platz. Im Mai bot er an, sein Mandat niederzulegen. Die acht Mitglieder des Aufsichtsrates lehnten ab. Uli H – eben eine Instanz des FC Bayern. 2012 erhält er die bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste. 2010 den „Querdenker“ für soziales Engagement, 2009 den Bambi in der Kategorie „Wirtschaft“. Man ehrt Hoeneß in aller Öffentlichkeit, würdigten seine Taten mit Auszeichnungen. Nun soll er statt sozial, asozial geworden sein?
Engagement auf der einen-, Steuerhinterziehung auf der anderen Seite
Die Taten verblassen, erlöschen aber nicht, wegen eines Falls, der mit Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wenig zu tun hat. Es geht rein um Hoeneß und den Staat. Über bayerische Grenzen hinweg fühlt er sich verantwortlich. Krysztof Nowak vom VfL-Wolfsburg erkrankte mit 25 Jahren an der unheilbaren Stephen-Hawking-Nervenkrankheit und konnte sich ein Jahr später nur im Rollstuhl fortbewegen. Hoeneß organisierte ein Benefizspiel mit dem FC Bayern. Im April 2012 kamen 400 000 Euro zusammen. In Foren drücken sich die Fans aus. Keiner steht Uli näher als sie. Auf der Bayern-1-Seite „Ihre Meinung!“ schreibt Alexandra Beer am 27. April um 20:05 Uhr: „Ich bin und bleibe treuer Fan von Uli Hoeneß. Er soll weitermachen und sich weiterhin so für den FC Bayern und seine sozialen Projekte engagieren. Er ist bleibt ein äußerst wertvoller Mensch.“ Neben seiner sozialen Art übernimmt er auch Verantwortung in der Wirtschaft. Die HoWe Wurstwaren Fabrik vertreibt an Aldi, zeitweise McDonalds „Nürnburger“ und Feinkost Käfer auf der Wiesn, die Würstl. Das Unternehmen beschäftigt 300 Mitarbeiter. Am Tag werden bis zu vier Millionen Würstchen produziert. Hoeneß bezahlte Steuern. Heute führt sein Sohn Florian die Geschäfte.
Nach all den schweren Tagen und den Schlagzeilen war es nun die Meisterfeier der Bayern, die dem Ganzen die Krone aufsetzte. Hin- und hergerissen zwischen Freude über die Meisterschale und Sorge um die Anklage wegen Steuerhinterziehung. Beim Autokorso durch die Landeshauptstadt Bayern sitzt Hoeneß im zweiten Cabrio mit Trainer Jupp Heynckes und Matthias Sammer. Er zeigt sich der Öffentlichkeit, schreckt nicht zurück, ist präsent. Die Fans jubeln und feiern den 180 cm großen Mann. Zum Bayerischen Rundfunk sagte Hoeneß: „Es war klar, dass die Fans zu mir stehen. Und das tut natürlich gut in dieser schweren Stunde.“ Uli muss in diesem Moment einmal nicht kämpfen. Die Fans distanzieren sich nicht, sondern stehen hinter ihm. Deshalb schreibt er Autogramme. Die Feier auf dem Balkon verfolgt er aus einem Hinterzimmer. Wie gerne er vorne auf dem Balkon mitjubeln wollte, kann man erahnen. Seine Frau Susi und die Fans sind da.
Horst Seehofer distanzierte sich durch die aktuelle Diskussion von Hoeneß. Nun reichte der Ministerpräsident dem Bayern-Idol die Hand. Er lobte Hoeneß für sein Lebenswerk auf der Meisterfeier, dabei schilderte er die „fabelhafte, faszinierende Entwicklung“ des FC Bayern: „Der Architekt dieser wunderbaren Entwicklung ist Uli Hoeneß.“ 500 Gäste stimmten zu – es folgte Standing Ovations. Hoeneß kamen die Tränen.
Hoeneß fiel diesmal tiefer als je zuvor, nun muss er das Konstrukt wieder aufbauen, neue Fenster einbauen, sodass Transparenz entsteht, er muss das Fundament bereinigen und dabei eines nicht vergessen: das Innere des Hauses steht noch. Das Gewissen und das Herz.
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