Ich schreibe für mein Leben gerne Artikel. Manchmal brauche ich beim Verfassen von neuen Texten musikalische Motivation, manchmal benötige ich absolute Ruhe. Heute habe ich mich für einen ganz bestimmten Longplayer entschieden: Das letzte Album der Sportfreunde Stiller „New York, Rio, Rosenheim“. Damit verbinde ich positive Erlebnisse und unvergessliche Stunden.
Erst kürzlich habe ich mich auf eine zweistündige Reise nach Coburg begeben, um die drei Vollblutmusiker beim Open-Air-Sommer live zu sehen. Es war um kurz vor 21 Uhr – vor einer halben Stunde hatte die Sonne den Abendhimmel in ein goldgelbes Licht gehüllt – als der Vorhang fiel und Tausende Menschen aufschrien. Es war kalt gewesen an diesem Abend. Knapp über zehn Grad. Geduldig warteten die Fans auf ihre Helden. Und vom einen auf den anderen Moment veränderte sich die gesamte Situation. Vorhang oben, stummes Zusammensein. Vorhang unten, gelebte Ekstase. Peter Brugger, Rüdiger „Rüde“ Linhof und Florian „Flo“ Weber schaffen es durch ihre Musik, dass Menschen ihre Gefühle offenbaren. Ich finde es erstaunlich, wie die drei es schaffen, Emotionen aus den Anwesenden zu kitzeln. Zwischen zwei Songs spricht Sänger Peter mit dem Publikum: „Ich merke, ihr würdet gerne tanzen aber dann schaut ihr nach links und rechts und denkt euch: Ach ne, den sehe ich morgen wieder. Vergesst das: Habt Freude und lasst es euch gut gehen!“ Daraufhin tanzen auch die Letzten auf dem Coburger Schlossplatz.
Applaus, Applaus
Neben fetzigeren, rockigeren und lauteren Liedern wie „Applaus, Applaus“, „Lederjacke“ oder „Let’s did it“ stimmen die ehemaligen Fußballer aus Germering auch immer wieder ruhige Lieder an. „Wenn man so will, bist du das Ziel einer langen Reise, die Perfektion der besten Art und Weise, in stillen Momenten leise die Schaumkrone der Woge der Begeisterung. Bergauf, mein Antrieb und Schwung. Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist und sichergehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst, für mich fühlst“, hallt „ein Kompliment“ über den nächtlichen Schlossplatz. Da wird mir klar: Es ist nicht nur so, dass die Sportfreunde einen Zugang zu den Herzen von vielen Anhängern haben. Nein, sie schaffen es auch immer wieder die richtigen Worte zu finden. Worte, nach denen man im philosophisch-melancholisch umnachteten Geisteszustand nach einer Trennung oder einem Streit sucht, sie letztendlich jedoch nicht findet. Es ist etwas Außergewöhnliches und Erstaunliches, das in den Hymnen von Peter, „Flo“ und „Rüde“ mitschwingt. Die Fähigkeit aus Gesprächen, Begegnungen, Erlebnissen und Eindrücken derart gefühlvolle Kompositionen zu schaffen ist beeindruckend. Es bleibt wohl ihr Geheimnis und weiter nachforschen sollte man vielleicht auch nicht. Schließlich singen die Sportfreunde auf ihren neuen Album selbst: „Wunder fragen nicht.“
Gegen den Gedächtnisschwund
Seit mittlerweile 18 Jahren touren sie gemeinsam durch die Welt, erzählt Peter Brugger in einer Pause. Ein anderes Mal reimen sie sich ihren Übergang locker zusammen. Bei der Band passt einfach alles. Den Eindruck hatte ich bei meinem letzten Konzertbesuch vor einigen Jahren ebenfalls. Locker, entspannt und lustig – so wirkt die Band nach außen. Auch in Coburg. Dabei beschäftigen sich die Sportfreunde Stiller mit ernsten Themen. Bereits auf ihrer Tour im Jahr 2007 zum Album „La Bum“ hatten sie ihr Lied „Antinazibund“ präsentiert und positive Kritik dafür geerntet. Kurz darauf gründeten die drei Bayern gemeinsam mit „Laut gegen Nazis“ und der „Amadeu Antonio Stiftung“ eine Initiative gegen rechts. "Gegen den Gedächtnisschwund ist unser Antinazibund", begründeten sie ihre Entscheidung musikalisch.
Sechs Jahre später suchten erst verheerende Regenfälle und anschließend eine Jahrhundertflut große Teile Niederbayerns heim. Deichbrüche, überflutete Keller und zerstörte Dörfer – ein schreckliches Bild. Der Aufbau war teuer und kräftezehrend. Die heimatverbundenen Musiker wollten den Menschen helfen und organisierten kurzerhand zwei Benefizkonzerte. Am 12. Juli spielten sie im Passauer Eulenspiegelzelt, drei Tage später im Ballhaus Rosenheim. Die Einnahmen kamen den Opfern zugute. Damit hatten die Sportfreunde ein weiteres Mal bewiesen, dass für sie nicht Geld und Gewinn, sondern ihre Fans wichtig sind. Peter, „Flo“ und „Rüde“ verkörpern ihre Vorbildfunktion in fast perfekter Weise. So wie man es sich öfters auch von Politikern, Ärzten oder Priestern wünschen würde.
Um 22.20 Uhr spielen die Sportfreunde Stiller ihr offiziell letztes Lied vor dem Publikum in Coburg. Der donnernde Applaus und der gigantische rot-weiße Konfettiregen ist nur eine kleine Hommage an diese großartige Band. Die drei haben sich durch ihre Musik und ihr Engagement ein Denkmal geschaffen. Dafür eine Hymne auf euch.
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