Paris – die Metropole, die zunehmend mit ihrem Gegensatz aus Banlieues und französischer Bourgeoisie kämpft. Dennoch ist sie eine Stadt von Luxus und Glanz. Zu Zeiten Napoleons III. aber versank sie noch in mittelalterlicher Dunkelheit, in Dreck und Elend. Der Herrscher gab der Stadt ein neues Gesicht mit symmetrischen Linien, breiten Straßen und prunkvollen Prachtbauten. Damit hatte er aber weit mehr im Sinn, als eine schöne Stadt zu schaffen.
Das mittelalterliche Paris zu Zeiten Napoleons III.
Die dunklen, verstopften Straßen, der Dreck und die immer wiederkehrende Cholera waren Napoleon III. ein Dorn im Auge. So beauftragte er den Präfekten der Stadt, Georges Eugène Haussmann, mit einer massiven Umgestaltung. Die von Haussmann akribisch inszenierten gigantischen Perspektiven und Barock-Bauten muten heute fast schon übertrieben prunkvoll an. Um die Architektur gerader Achsen und symmetrischer Linien aber Realität werden zu lassen, brauchte es die gezielte Zerstörung ganzer Viertel und Zwangsenteignungen widerspenstiger Besitzer. Napoleons ebenso gewaltiger wie gewaltvoller Umbau lässt sich kaum auf einen Hang zu Schönheit zurückführen. Er verfolgte damit größere Pläne.
Die Symbiose aus Macht und Schönheit
Rechtzeitig zur Weltausstellung 1855 in Paris wollte das französische Kaiserreich seine Größe mit mächtigen Boulevards und Prachtstraßen nach außen hin demonstrieren, um sich endlich mit Städten wie London und St. Petersburg messen zu können. Neben dem Wunsch nach prunkvoller Inszenierung und Machtdemonstration, leiteten Napoleon auch strategische Gründe: Er wollte Volksaufständen und Revolutionen ein Ende bereiten. Sein Herrschaftswille machte die Architektur und Schönheit der Stadt damit zu Helfern seines politischen Kalküls. Genauso geradlinig wie das Stadtbild wollte er auf sozialer Ebene auch seine Bevölkerung anordnen. Auf 100 Metern Distanz sollten Staat und Justiz alles erkennen können. Denn bis dahin hatte die mittelalterliche Enge der Stadt mit ihren unzähligen kleinen Schlupflöchern diese maximale Kontrolle der Stadt und ihrer Bevölkerung noch verhindert.
Mit seiner Absicht war Napoleon nicht allein und so kopierten Dutzende andere Herrscher seine Idee. Paris wurde zum Modell der modernen Stadt. Ganz nach Fasson des jeweiliges Regimes sollte es dessen Macht sichern und sich auf schöne Weise mit Kultur und Ästhetik im Stadtbild vereinen.
Der Visionär hinter Napoleon III.: Georges Eugène Haussmann
Um den gewaltigen Umbau durchsetzen zu können, brauchte es einen ebenso fähigen wie skrupellosen Planer. Napoleon III. entschied sich für den Ingenieur und Beamten Haussmann, der von 1853 bis 1869 Leiter der Präfektur von Paris war. Der ihm gestellte Auftrag lautete, die Stadt den ökonomischen und sozialen Anforderungen des II. Französischen Kaiserreichs anzupassen und sie ins Industriezeitalter zu befördern. Ein nationales Dekret aus dem Jahr 1853 und ein zuvor verabschiedetes Hygienegesetz gaben ihm hierfür nahezu unbeschränkte Macht, um unter anderem auch Zwangsenteignungen durchzusetzen. In seiner Ära stand Stadtgestaltung im Zeichen der Modernisierung.
Neben dem Ziel, Paris ins Industriezeitalter zu bringen, sollte auch die Hygienesituation der Metropole jegliche Spuren des Mittelalters auslöschen. Unter dem Eindruck der Cholera von 1832 und 1849 wollte man unter anderem die sogenannten schmutzigen Winkel der Stadt abschaffen. Die zu engen Straßen sollten niedergerissen werden, um mehr Sonnenlicht einzulassen. Die damaligen Hygieneverfechter sprachen davon, Paris Luft zu geben, wo es Mühe hatte zu atmen. Die daraus entstehenden großen Plätzen und breiten Straßen sowie die moderne Wasserversorgung und Kanalisation halfen der Bevölkerung in der Tat.
Viele profitierten von einem höheren Lebensstandard und die massiven Baumaßnahmen ließen viele Arbeitsplätze entstehen. Die Elendsviertel der Armen wurden zerstört, die Unterschicht darbte weiterhin und ihre Lebensbedingungen verbesserten sich keinesfalls. Stadtplaner Hausmann aber klagte über die Undankbarkeit der Bevölkerung. In seiner Vision von Paris als Stadt des Luxus, als Finanzzentrum und Handelsplatz, als Ort von Kunst und Ideen war kein Platz für die Sorgen der notleidenden Bevölkerung. Nicht unberechtigterweise kamen schnell Zweifel auf; die breite Straßen Napoleons III. und Haussmanns seien nichts weiter als breite Aufmarschstraßen zur Unterdrückung des Volkes.
Der Preis prachtvoller Architektur und Prachtbauten
Nach den gewaltigen Umbaumaßnahmen konnte Paris von einem Ende zum anderen durchschritten werden und erstrahlte in unnachahmlichen Glanz. Es war für die Unterschicht nicht mehr möglich in den engen Gassen gegen die staatliche Unterdrückung aufzubegehren. Gegen den Widerstand der landwirtschaftlichen Nutzer hatte Napoleon zudem angeordnet, Vororte einzugliedern und die großen Straßen reichten nun hinaus in ehemaliges landwirtschaftliches Gebiet.
Paris war ganz im Sinne Napoleons zu einer Metropole der Moderne aufgestiegen. Es war sozial genauso systematisch angeordnet wie seine Straßen symmetrisch gebaut waren. War es zuvor eine Stadt mit sozial durchmischten Vierteln; waren Arm und Reich nun durch Haussmanns akribische Arbeit sorgfältig getrennt. Was die direkte Umsiedelung der Arbeiter nicht erzwungen hatte, übernahmen indirekt die unbezahlbar hohen Mieten, die die Armen nach und nach aus dem Zentrum der Stadt vertrieben. In den gehobenen Vierteln herrschten zudem strenge Bauvorschriften, um ein homogenes Bild aller Straßen zu erreichen. Die Rekonstruktion der “Rue de Tivoli“ diente als Vorbild für den Rest der Stadt und so hielten schrittweise Balkone auf einer vertikalen Linie und gleiche Häuserfassaden aus Stein in einem von Haussmann vorgeschriebenen Farbton Einzug in das Stadtbild. Um die Perfektion zu erhalten, war es Pflicht, die Fassade alle zehn Jahre zu streichen oder anderweitig in Stand zu setzen. Wer dies nicht tat, musste ein Strafgeld von 100 Francs zahlen.
Während die Arbeiter und Industrie am Stadtrand außerhalb der Gesellschaft und in Not lebten, frönte die Bourgeoisie dem schönen Leben im Herzen der Stadt – und erinnert damit irgendwo doch an das heutige Paris.
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