Papst Franziskus hat den Rücktritt des Hamburger Erzbischofs, Stefan Heße, abgelehnt. Weiterhin gilt ein allzu milder Maßstab für Pflichtverletzungen bei der Aufklärung von Missbrauch. Stattdessen sollte die Kirche endlich eine konsequente Null-Toleranz-Politik umsetzen, die primär die Opfer schützt, Vertrauen zurückgewinnt und die Kernaufgabe wieder stärker in den Blick nimmt: Die Verkündigung des Evangeliums. Ein Kommentar.
Am 15. September hat Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch des Erzbischofs von Hamburg, Stefan Heße, abgelehnt. Heße hatte dem Papst seinen Rücktritt angeboten, nachdem in dem von Kardinal Woelki im Erzbistum Köln in Auftrag gegebenen Gutachten im März elf Pflichtverletzungen von Heße gegen die Melde- und Aufklärungspflicht festgestellt wurden.
Die Gründe dieser Entscheidung wurden von der Apostolischen Nuntiatur, der diplomatischen Vertretung des Papstes in Deutschland, wie folgt zusammengefasst: „Der Heilige Stuhl [hat] […] Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariates sowie persönliche Verfahrensfehler Mons. Heßes festgestellt. Die Untersuchung hat jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen.“
Absicht als Maßstab für Sanktionen?
Die Begründung ist erstaunlich und lässt aufhorchen. So werden zwar Fehler bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen anerkannt, doch sind diese offenbar nicht gravierend genug, um einen Bischof in seiner Hirtenfunktion zu disqualifizieren. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, wenn Heße absichtliche Vertuschung nachgewiesen worden wäre? Auch ohne Absicht kann jedoch schwerwiegendes Fehlverhalten begangen werden, zum Beispiel durch grobe Fahrlässigkeit.
Die Gutachter zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln haben in diesem Zusammenhang festgestellt, dass bei vielen Verantwortungsträgern eine gewisse Rechtsunkenntnis existierte, die auf eine intransparente Normsetzung zurückzuführen sein könnte. Zudem wurde eine Überforderung der Verantwortungsträger konstatiert, da diese niemals angemessen auf ihre Aufgabe vorbereitet worden sind. Diese Umstände sind natürlich zu berücksichtigen und mögen die Schuld der Verantwortlichen in gewisser Hinsicht mindern.
Klerikalismus statt Opferschutz und Seelenheil
Gleichzeitig ist es jedoch die Aufgabe eben jener Führungskräfte, mehr Klarheit im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch Regeln und Leitlinien zu schaffen und sich entsprechend weiterzubilden. Insoweit könnte man jedenfalls von (grob) fahrlässigem Verhalten sprechen. In jedem Fall sollte hier meines Erachtens im Zweifel ein eher strenger als milder Maßstab gelten. Über die individuelle Schuld der Beteiligten hinaus geht es im Missbrauchsskandal auch um ein deutliches Zeichen: Null-Toleranz gegenüber jedweden Verfehlungen bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch!
Leider kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der Institution Kirche nicht primär darum geht, die Opfer zu schützen, sondern vielmehr Verantwortungsträger in Schutz zu nehmen. Wie steht das in Zusammenhang mit dem Appell von Papst Franziskus, ein Bischof müsse stets an der Seite der Schwächsten und derer in Gefahr stehen, und “nicht daran interessiert sein, seinen guten Namen zu schützen”? Im Mittelpunkt scheint im Missbrauchsskandal aber leider längst nicht mehr der Mensch und das Seelenheil, sondern stattdessen bewährte Strukturen und der vermeintlich „gute Name“ der Kirche und von Bischöfen zu stehen. Ich frage mich: Ist das nicht jener pure Klerikalismus, den Papst Franziskus sonst zu Recht stets anprangert?
Feuer vom Himmel
Muss man den Bischöfen, die Pflichtverletzungen begangen haben, aber nicht auch vergeben, könnte man zudem fragen. Umkehr und Buße sind jedoch essentielle Voraussetzungen für Vergebung. Diese Elemente sucht man bei vielen Bischöfen jedoch leider vergeblich. Stattdessen liegen der Missbrauch und die mangelnde Aufklärung weiterhin wie ein großer Schatten über dem, was eigentlich das „Licht der Welt“ sein und kraftvoll das Evangelium verkünden sollte. Das Vertrauen der Gläubigen, in Gott und seine Kirche, ist dafür unabdingbar. Wenn Hirten gravierende Fehler bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen begangen haben, ist es daher nicht nachvollziehbar, dass der Papst diese weiterhin im Amt belässt, obwohl die Vertrauensgrundlage doch offensichtlich vollkommen zerstört ist.
Die Kirche muss endlich aufhören, vor lauter vermeintlicher Selbstliebe und der Angst vor Reputationsverlust sich selbst zu schützen und dabei ihren Auftrag zu vernachlässigen: Die Verkündigung der Frohen Botschaft Jesu Christi! Ja, es braucht wohl wirklich Feuer vom Himmel, das konsequent Verfehlungen ans Licht bringt und so viele Verantwortungsträger ihr Amt kostet, wie nötig. Denn nur mit jener Radikalität, die Jesus selbst an den Tag gelegt hat, kann die Kirche endlich dieses dunkle Kapitel beenden und sich wieder kraftvoll der Nachfolge Jesu zuwenden.
Cornel
Danke für den meinungsstarken Beitrag und die Auseinandersetzung mit diesem Thema. Ich würde dem Satz “Diese Elemente sucht man bei Bischöfen jedoch vergeblich.” allerdings widersprechen: Erstens sehe ich bei sehr vielen Bischöfen die Bereitschaft zum Neuanfang und einen ehrlichen und schonungslosen Umgang mit den administrativen Fehlern in Ihrem Alltag. Zweitens spielt es mit Blick auf Bischof Heße überhaupt keine Rolle, was “die Bischöfe” machen, da Schuld und Vergebung ja etwas ist, das man mit Blick auf das Individuum und nicht mit Blick auf eine Gruppe von Menschen behandeln muss. Die Frage ist also: Wie geht Bischof Heße mit den Vorwürfen um, bei seiner Schreibtischarbeit Fehler gemacht zu haben? Die Antwort: Er hat seinen Rücktritt angeboten. Also das ist für mein Empfinden ein sehr schonungsloser und selbstkritischer Umgang mit eigenen Fehlern. Erstmal ein Applaus dafür an Bischof Heße. Er zeigt, dass Umkehr und Buße für ihn nicht nur leere christliche Formeln sind, sondern dass diese Dinge auch sein Handeln bestimmen. Nun hat Papst Franziskus ihm vergeben und möchte ihn im Amt behalten. Wenn Papst Franziskus ihm vergibt und keine Absicht der bewussten Vertuschung bei Bischof Heße erkennen kann, dann reicht mir das vollkommen aus, Bischof Heße auch weiterhin für einen kompetenten, zuverlässigen und ehrlichen Bischof zu halten. Ich würde mir wünschen, dass die Positionen der Leitmedien bezüglich der Kirche nicht so unhinterfragt aufgegriffen und wiederholt werden, und dass nicht jede*r, der*die über die Missbrauchsskandale in unserer Gesellschaft schreibt, dies in einem Ton tut, der in größter Selbstgefälligkeit den Eindruck vermittelt, als sei der*die Autor*in der*die einzige auf der Welt, der*die sich Gedanken zu diesem Thema macht und als ob die Verantwortungsträger*innen in unseren gesellschaftlichen Institutionen allesamt verlogen und hinterlistig seien. Die Leitmedien legen diese Sichtweise hinsichtlich unserer Bischöfe zwar nahe, ich halte sie aber für absolut unplausibel. Viele Grüße.