Dating-Apps, Instagram und Co. verkomplizieren unser Liebesleben zum Teil enorm. Bringt der technische Fortschritt am Ende sogar mehr Schattenseiten als Vorteile mit sich?

A spricht B in einer Bar oder auf einem Straßenfest an, beide finden sich sympathisch und tauschen Handynummern aus. Ein einfaches Kennenlernmodell, welches sich über viele Jahrzehnte bewährt hat. Social Media und andere neue digitale Möglichkeiten wiederum revolutionierten das Kennenlernen von Grund auf und verschoben es vermehrt in eine parallele Onlinewelt. Dating findet auf den Plattformen sozialer Medien statt.
Die wichtigsten Fakten sind bereits ausgetauscht, bevor wir die andere Person jemals live gesehen haben und interessant wirkende Posts werden anscheinend zunehmend wichtiger als tiefgehende Gespräche. Dating war niemals leichter. Schnell die App herunterladen, etwas tindern und Überraschung: Schon steht das nächste potenzielle Date bereit und damit die Chance auf den angeblichen Traumprinzen/die Traumfrau oder eben eine „heiße Nacht“ im Raum. Anstatt lecker essen oder gemeinsam spazieren zu gehen, ist “Netflix & Chill“ die oftmals präferierte Aktivität. Natürlich zu Hause. Mit einem Bett in der Nähe. Danach wird nicht, wie noch vor zwanzig Jahren, auf dem Festnetztelefon angerufen, sondern eine schnelle WhatsApp-Nachricht in die Tasten gehauen. Anstatt das Lieblingslied schief und herrlich natürlich anzustimmen, darf das Smartphone samt Spotify den Song zum Besten geben.
Ein handgeschriebener und mit zuckersüßen Worten vollgepackter Liebesbrief oder eine niedliche Karte aus dem Urlaub mit einem schlichten „Ich freu mich, dich wiederzusehen“ sind heutzutage höchstens noch ein Mythos, über den sich viele nur noch lustig machen würden. Oder aber keinen Glauben schenken. Aufgewachsen in einem Zeitalter, in dem es anscheinend „uncool“ ist, Gefühle oder Zuneigung zu zeigen, würden viele von uns Liebesbotschaften der Art wohl gar nicht ernst nehmen. Stattdessen: stockbesoffene nächtliche WhatsApp-Nachrichten, die irgendetwas zwischen „Ich vermisse dich und traue mich nüchtern nicht, es dir zu sagen“ und „Ich hab´ keine andere abbekommen“ vermitteln.
Früher war alles besser
Verkomplizieren die oftmals praktischen Alltagshelfer das Liebesleben also nicht oftmals? Immerhin schaffen sie neue Probleme und entzaubern sich anbahnende Romanzen. Nicht umsonst wird WhatsApp oftmals als der perfekte Ort für Missverständnisse gehandelt. Vor zwei Jahrzehnten war noch einiges anders. Doch war früher wirklich alles besser? Der allseits beliebte Spruch unserer Großeltern mag tatsächlich oftmals seine Berechtigung haben. Nicht mal der beste Emoji ersetzt eine ehrliche Reaktion des Gegenübers. Und über einen Chatroom werden wir auch kaum erfahren, in welcher Position der andere gerne auf der Couch liegt.
Die App wird dir nicht verraten, bei welchen Themen die Augen des anderen glänzen und was sie oder ihn aus der Haut fahren lässt. All diese Dinge kannst du nur im realen Leben herausfinden. Nichtsdestotrotz bringen all diese neuen Möglichkeiten natürlich auch eine Menge Vorteile mit sich. Guten Morgen- oder Gute Nacht-Nachrichten sind immer wieder schön und ein paar Messages hier und da versüßen den Tag. Gerade auch Paare, die weiter weg wohnen oder zumindest zeitweise voneinander entfernt sind, können so den Kontakt besser halten. Die Lieblingsmusik und einen spannenden Film immer und überall dabei zu haben, möchten viele nicht mehr missen.
Auch online neue Menschen kennenzulernen, kann eine große Bereicherung sein. Wir müssen nur das richtige Maß finden. Tindern ist super, solange wir nicht immer nach einer besseren Option Ausschau halten und mit dem zufrieden sind, was wir aktuell haben. Ein Filmeabend kann schön sein, sofern er interessante Gespräche nicht ablöst. Oder aber fehlt dafür einfach bereits der Gesprächsstoff? Immerhin sind mittlerweile viele Gesprächsthemen sowieso überflüssig, nachdem wir dank sämtlicher Plattformen schon lange vor dem ersten Treffen rausbekommen haben, wie die Cousine fünften Grades heißt. Ob das so gut ist? Wenn der Gesprächsstoff schneller ausgeht, als die Flasche Wein, wage ich das in Frage zu stellen.
Tatort: Online-Dating
Würden Instagram, Netflix, Facebook, Dating-Apps und Co. im direkten Wettkampf um den ersten Platz bei „Wer verkompliziert Dating am meisten?“ antreten, gäbe es zumindest für mich einen klaren Sieger. Kleiner Trommelwirbel. Und der Gewinner ist… DIE DATINGAPP, bzw. eher sämtliche Dating-Apps. Lovoo, Bumble, Tinder, Once oder Parship – die Auswahl ist groß. Dank des Internets können wir in den seltsamsten und unpassendsten Momenten neue Kontakte knüpfen. Der nächste potenzielle Flirt und was auch immer sich daraus entwickelt, ist nur ein paar Swipes entfernt. Musste sich früher noch groß fertig gemacht werden, geht das Ganze bequem auch im Jogginganzug von der Toilette aus. Während sich früher verstärkt auf eine Person konzentriert wurde, haben heutzutage viele Menschen mehrere Eisen im Feuer.
Leider ist anzuzweifeln, wie sehr sich auf eine einzelne Person eingelassen werden kann, wenn im Hintergrund noch weitere mitspielen. Ganz davon abgesehen, dass es auch wesentlich schwieriger ist, jemanden kennenzulernen, ohne zu wissen, was der oder die auf Dating-Apps weiterhin so treibt. Lassen wir uns so nicht automatisch weniger auf die andere Person ein, um nicht verletzt zu werden? Natürlich konnte das auch früher passieren. Die Möglichkeiten heute sind dennoch weitaus größer.
Es zählt nur das, was man macht und nicht was man schreibt
Es hilft wohl nur eins: weg von sämtlichen sozialen Medien und anderen technischen Tools und raus in die reale Welt. Das tollste Instagram-Profil bewirkt leider nichts, wenn die Person im echten Leben unsympathisch ist. Und die schönsten Sätze aus Chatrooms sind eben nicht mehr als das: geschriebene Sätze. Doch zählt nicht eigentlich nur das, was jemand macht und nicht das, was er schreibt? Am Ende des Tages sind eben doch nur Taten und keine leeren Worte relevant.
Ob also früher wirklich alles besser war? Ich denke nicht. Vielmehr sind die neuen Möglichkeiten eine Chance, Menschen kennenzulernen, die uns vielleicht sonst nie über die Füße gestolpert wären. Dennoch hat die Onlinekommunikation in Verbindung mit vielen neuen Möglichkeiten á la Netflix vieles im Dating-Bereich zerstört. Im Endeffekt muss Liebe wohl vor allem eins: echt sein. Und genauso ein Kennenlernen. Also darauf jemandem mehr Chancen zu geben, anstatt ihn direkt zu ersetzen und online weiterzusuchen. Auf mehr echte Werte, wie Empathie und Vertrauen, anstatt Schnelllebigkeit . Auf mehr Picknicks im Park, süße Notizen anstatt Markierungen auf Facebook-Bildern und lange Gespräche statt Chats. Denn sind wir mal ehrlich: Warum ist es eigentlich normal geworden, den ganzen Abend hin und her zu schreiben, wenn sich auch spontan getroffen werden kann? Warum chatten wir Tage lang, anstatt uns mal in den gleichen Raum zu begeben? Warum posten wir traurige Bilder, anstatt jemandem zu gestehen, dass wir ihn vermissen?
Vielleicht symbolisiert dieses Verhalten auch ein ganz anderes Problem als nur unseren Konsum. Wir gehen auf Distanz, kommunizieren lieber über ein Medium, anstatt uns mit dem Gegenüber wirklich auseinander zu setzen. Lassen niemanden zu nah an uns heran, aus Angst jemand könnte uns verletzen. Mit Sicherheit heißt es, in Zukunft wieder mutiger zu sein, Vergangenes hinter sich zu lassen und aus seinem Schneckenhaus zu kommen: rein in die Realität und weg von Smartphones und Co. Die ein oder andere süße Nachricht ist natürlich trotzdem immer herzlich willkommen. Und wer weiß, vielleicht ist ein Match aus einer beliebigen Dating-App ja auch der Mann oder die Frau fürs Leben oder zumindest die nächste Zeit und hat statt lustiger Gifs ein breites und sympathisches Lächeln im Gesicht parat.
Ein sehr schön geschriebener Artikel, der meiner Meinung nach die Problematik und dennoch Aktualität unserer heutigen Gesellschaft auf den Punkt bringt. Vielen Dank für diesen super Beitrag und es gibt mir Hoffnung dass es noch Menschen mit echten Werten da draussen gibt.