Am Ende jedes Jahres setzen sich die Sprachexperten von der Gesellschaft für die deutsche Sprache (GfdS) zusammen und suchen fieberhaft nach dem Wort des Jahres. Dazu werden Belege aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden gesammelt und die Jury kürt das Wort des Jahres. Laut der Gesellschaft spielt dafür nicht die Häufigkeit des Ausdrucks, sondern seine spezielle Bedeutung für das abgelaufene Jahr eine Rolle. Das Wort soll ein Stück sprachlicher Jahresrückblick sein und nimmt nicht selten Bezug auf wichtige Ereignisse und Vorfälle aus dem Jahr. Die Gesellschaft für die deutsche Sprache distanziert sich aber ausdrücklich von einer Wertung oder Empfehlung der Wörter beziehungsweise Wendungen. Neben dem Gewinner veröffentlicht die Zeitschrift „Der Sprachdienst“ jährlich auch die Plätze zwei bis zehn.
Im Jahr 2014 wurde „Lichtgrenze“ als Wort des Jahres gekürt. Der Begriff ließ dabei die „schwarze Null“ und den Neologismus „Götzseidank“ auf den Plätze zwei und drei hinter sich. Bei der Lichtgrenze handelt es sich um die Installation in Berlin, die an den Mauerfall vor 25 Jahren erinnerte. Entlang der ehemaligen Grenze in Berlin wurden im November 8.000 leuchtende Ballons aufgereiht. Mit diesem Begriff wählte man einen künstlerischen Oberbegriff für alle Aktionen und Erinnerungen an den Mauerfall. Beinahe sämtliche Magazine oder Fernsehsender brachten Specials zum Mauerfall und ließen Zeitzeugen zu Wort kommen. Die Entscheidung, das kaum geläufige Wort auf Platz eins zu wählen, stieß auf gemischte Reaktionen. Manche lobten die Entscheidung und sahen es als Ausruf für Freiheit und Wiedervereinigung. Andere kritisierten die fehlende Nachhaltigkeit des Wortes, Lichtgrenze sei nur von sehr kurzer Bedeutung. Ein Wort, das nur in einer Woche des Jahres benutzt wurde und danach wieder verschwinde, sei kein würdiges Wort des Jahres.
Die Vorgänger der Lichtgrenze
Nach ein paar Jahren lässt sich meist beurteilen, wie nachhaltig das Wort des Jahres wirklich ist. Das Wort des Jahres 2013 ist beispielsweise „GroKo“, eine schlagartig überall auftauchende Abkürzung für die große Koalition. Der Gewinner von 2012, „Rettungsroutine“, dürfte wohl den wenigsten ein Begriff sein. Mit dem Begriff werden die unzähligen Maßnahmen gegen die Eurokrise ausgedrückt. Gibt man den Begriff in eine Suchmaschine ein, lässt sich bereits die geringe Relevanz erahnen. Die meisten Treffer handeln von Meldungen über das Wort des Jahres 2012. Man muss wohl kein Prophet sein, um der Lichtgrenze ein ähnliches Schicksal zu prophezeien. Viele andere Begriffe aus der Liste der Gewinner sind uns immer noch geläufig oder erinnern sofort an ein wichtiges Ereignis aus diesem Jahr. 1986 beherrschte der Reaktorunfall in Tschernobyl die Medien und so wurde Tschernobyl auch zum Wort des Jahres gekürt.
Der Jahrtausendwechsel und die damit verbundenen Hoffnungen und Ängste schlugen sich im Gewinner von 1999, „Millenium“, nieder. Im Jahr 2001 gewann „der 11. September“, ein Jahr darauf das viel verwendete Kofferwort „Teuro“. 2008 beherrschte die weltweite Finanzkrise die Schlagzeilen und logischerweise landete dieses Wort bei der Wahl ganz oben. In manchen Jahren gewannen ganz amüsante neue Schlagworte die Auszeichnung. Die abschätzige Bezeichnung „Besserwessi“ für sich überheblich und arrogant verhaltende westdeutsche Bürger war 1991 Wort des Jahres. Mit dem Neologismus „Wutbürger“ wurden 2010 Teile der Bevölkerung bezeichnet, die mit Wut, Empörung und andauerndem Protestwillen gegen als willkürlich empfundene politische Entscheidungen reagiert.
Unwort, Jugendwort, Anglizismus des Jahres und weitere Abwandlungen
Im Lauf der Jahre kamen immer mehr Varianten zum normalen Wort des Jahres hinzu. So wird seit einigen Jahren das „Unwort des Jahres“ prämiert, das den Blick auf unangemessene oder unmenschliche Formulierungen des Jahres lenkt. So wurden beispielsweise „Herdprämie“, „Sozialtourismus“ oder „Rentnerschwemme“ mit diesem Titel dekoriert. Das Jugendwort des Jahres wird per Online-Abstimmung gewählt und soll ein typische Begriffe aus der aktuellen Jugendsprache sein. Weil das Wort nicht von einer Jury gewählt wird, halten viele die Bedeutung dieses Schlagworts für zweifelhaft. Weiterhin werden jährlich der Anglizismus des Jahres (Gewinner 2013: die Nachsilbe „-gate“) und der Satz des Jahres gekürt.
Welchen Sinn hat das Wort des Jahres wirklich?
Wenn die Zeitungen jährlich das neue Wort des Jahres vermelden, fragt man sich häufig nach dem wirklichen Sinn dieser Auszeichnung. Die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen schwankt von Jahr zu Jahr und nicht immer geht das Wort in den allgemeinen deutschen Sprachwortschatz ein. Das Wort soll laut der GfdS besonders wichtig und charakteristisch und öffentlich stark diskutiert worden sein, andererseits spielt die Häufigkeit der Verwendung keine Rolle. Mit „Rettungsroutine“ wurde 2012 alles andere als ein routiniertes Wort prämiert. Die öffentliche Diskussion über die Rettungspakete war zwar sehr präsent, allerdings selten bis gar nicht mit diesem Begriff verknüpft. „Euro-Rettungsschirm“ wäre meiner Meinung nach eine deutlich bessere Wahl gewesen.
Auf jeden Fall ist das Wort des Jahres wohl die kompakteste und einfachste Form des Jahresrückblicks. Wer von den größtenteils Anfang Dezember ausgestrahlten TV-Sendungen genervt ist und sich auch nicht durch große Bildbände kämpfen will, kann sich mit den Top 10-Wörtern einen guten Überblick über die brisanten Themen des Jahres verschaffen. Auch zu den vergangenen Jahren klappt das vorzüglich. Für 2000 landeten beispielsweise „Schwarzgeldaffäre“, „BSE-Krise“, „Greencard“, „gegen Rechts“, „SMS“, „Kampfhund“ und „Big-Brother-Haus“ in der Hitliste.
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