Tipps gibt es viele. Ratgeber wie Sand am Meer. Auch Andy möchte als Lerncoach anderen Studenten helfen. Der 24-Jährige leitet mit seiner Initiative „einserkandidat“ eine kostenlose Lernberatung, die immerhin schon von fast 10.000 Interessenten regelmäßig genutzt wird. Was steckt hinter seinem Konzept?
- © f1rstlife / Tim Huyeng
Hallo Andy, worum handelt es sich bei Deinem Einserkandidat-Projekt?
Ich habe nach meinem Hochschulwechsel zu Beginn des Masterstudiums festgestellt, dass viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen sich viel zu viel Stress mit dem Lernen im Studium machen und trotzdem nur selten wirklich gute Noten schreiben. Ich habe zur gleichen Zeit schon einige Freunde per E-Mail zu Lernstrategien und –methoden beraten und dadurch begonnen, einen kleinen Newsletter aufzusetzen, um auch andere Studentinnen und Studenten aus der Ferne zu coachen. Seitdem sind ein paar Semester vergangen und das Projekt ist förmlich explodiert!
Wie kamst Du auf das Thema? Hattest Du selber Probleme im Studium bzw. in der Schule?
In der Schule habe ich tatsächlich wenig gemacht, weil ich überall gerade mit dem Nötigsten auch ganz gut durchkam. Dementsprechend war mein Abi mit einem 2,2-Schnitt auch keine wirkliche Glanzleistung. Im Studium ist eine vollkommen neue Art des Lernens notwendig, niemand interessiert sich mehr dafür, ob man durchkommt oder nicht, Deadlines und Abgabefristen verfolgen einen bis spät in die Nacht und trotz wochenlangem Lernen kommt am Ende nicht die Note heraus, mit der man eigentlich gerechnet hat. Da wollte ich entgegensteuern.
Aber mal ehrlich: Wieso denkst Du, dass Deine Tipps helfen?
Durch die vielen Nutzer hatte ich in den letzten Semestern genügend Gelegenheit gehabt, um verschiedene didaktische Methoden gegeneinander zu testen und herauszufinden, auf welche Art und Weise ich beim Leser am schnellsten und wirksamsten eine Transformation in Gang bringen kann. Ich beleuchte den Kern einer jeden Einserkandidat-Lektion aus mehreren Perspektiven und verwende meistens eine kurze Anekdote aus meiner eigenen Studienzeit dazu, um die Essenz der Lektion besser zu visualisieren. Dahinter steckt bereits eine wichtige Lernmethode: Unser Gehirn kann sich Fakten im Kontext einer Geschichte wesentlich besser merken als langweilige Listen einzelner Stichpunkte. Insofern erfüllt der narrative Kontext einer jeden Lektion eine wichtige Funktion, damit sich diese auch im Unterbewusstsein absetzt.
Trotzdem: Du bist mit Deinen 24 Jahren noch recht jung als Lerncoach. Und Deine Tipps wirken mehr wie ein Ratschlag, nicht wie eine wissenschaftlich-fundierte Beratung.
Im Gegenteil! Dass ich selbst noch Student bin, hat für mich als „Coach“ enorme Vorteile. Was mich selbst früher sehr frustriert hat, war die Tatsache, dass sämtliche Quellen zum Thema Lernen von irgendwelchen Leuten geschrieben sind, die seit zig Jahren aus der Uni wieder draußen sind und eigentlich keinen Bezug mehr dazu haben, was es heißt, heute als Studentin oder Student im Bachelor- & Mastersystem an deutschen Hochschulen zu studieren. Mit diesen Menschen konnte ich mich nicht identifizieren. Klar habe ich vorher den ein oder anderen Ratgeber gelesen gehabt – aber erst als mir ein paar höhere Semester von Angesicht zu Angesicht erklärten, wie sie spielerisch ihre Topnoten erzielen, habe ich zum ersten Mal wirklich zugehört. Unter uns Studenten herrscht eine vollkommen andere Dynamik, weil die emotionale Distanz zwischen uns so gering ist und wir uns wirklich gegenseitig verstehen können.
Auf Deiner Seite betonst Du auch immer wieder, niemanden von oben herab zu belehren. Wie geht das in Deiner Rolle als „Lerncoach“?
Ich kann es nicht leiden, wenn jemand „Erfolg über Nacht“, sprich die sogenannte „Wunderpille“ zur Lösung all unserer Probleme verspricht. Alles, was ich tun kann, ist den Leuten zu erzählen, wie ich und mittlerweile viele hundert andere Studentinnen und Studenten ihr Studium förmlich herumgerissen haben. Dabei versuche ich, für jeden Einzelnen erreichbar zu sein und auf sämtliche Fragen, die mir per E-Mail oder in Blogkommentaren gestellt werden, persönlich einzugehen.
Es hört sich bei Dir an, als wären diejenigen am schlechtesten, die am meisten lernen. Im Umkehrschluss heißt das: Die mit den besten Noten sind die faulsten.
Ganz einfach: sämtliche Erfindungen der Menschheit wurden nur gemacht, weil irgendjemand faul genug war, eine gewisse Sache nicht mehr tun zu wollen – also änderte er sie. Wahrhaft faule Studenten akzeptieren nicht, sich nächtelang an den Schreibtisch zu fesseln. Also suchen sie nach cleveren Lösungen, mit denen es deutlich besser und einfach geht. Das ist der Kernpunkt meiner Lernphilosophie. Wir Menschen sind soziale Wesen. Das Denken in Gruppengefügen ist tief in unserer Biologie verankert, also sollten wir es nutzen. Konkret zum Beispiel in langfristig angelegten Lerngruppen nach dem Mastermind-Prinzip. Einzelkämpfer gehen an der Uni sehr, sehr schnell unter – oder sie haben zwar gute Noten, aber keinen Spaß mehr im Leben.
Du rätst zum räumlichen Lernen. Also dazu, Lerninhalte mit realen Orten zu verbinden. Was wäre in diesem Zusammenhang der verrückteste Ort Deiner „Lerngeschichte“ und was verbindest Du mit ihm?
Ich bin im Winter in Mannheim immer an den Neckar gegangen, um fünf Seiten meiner Lernzusammenfassung auswendig zu wiederholen. Neben dem Effekt, dass diese Inhalte dann mit dem Ort verankert wurden und ich diesen nur im Geiste aufzusuchen brauche, um mich an sie zu erinnern, sorgte die Kälte auch dafür, dass ich tatsächlich meine Aufgabe erledigte. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, erst wieder ins Haus zu gehen, wenn ich alles konnte. Sehr motivierend, vor allem bei Minusgraden!
Du hast Dich auch mit Meditation beschäftigt: Welchen Einfluss hat sie auf Dein Lernen?
Im Kern handelt es sich dabei um Techniken, mit denen man den teilweise lähmenden und ablenkenden Gedankenstrom in unserem Kopf unterbricht und die Kontrolle über die eigenen Handlungen wieder an seine Instinkte und Reflexe abgibt. Das hilft mir, um mich voll und ganz auf das Lernen zu konzentrieren. Auf diese Art und Weise lassen sich trotz Nervosität durch intensive Wiederholung erlernte Studieninhalte, wie zum Beispiel mathematische Algorithmen, auch dann problemlos abrufen, wenn man sie in der Klausur wirklich braucht. Ich bin offen für „spirituelle Dinge“, solange sie mir als Tool einen deutlichen Vorteil in der Praxis meines Studienalltags verschaffen. Ein gutes Beispiel dafür, ist das Thema „Tod“: Zeit ist die einzige Ressource, die wirklich knapp ist. Es ist in meinen Augen schierer Wahnsinn, sich gerade im Studium, das uns für unseren Berufsweg prägt, keine Hilfe von außen zu suchen, wenn es nicht so läuft, wie man es sich vorher vorgestellt hat.
Das klingt nach einem lernintensiven Tag. Gibt es nicht auch Tätigkeiten, in denen man einfach mal den Kopf frei bekommen sollte? Zum Beispiel beim Sport?
Absolut betrachtet lerne ich nicht mehr, als andere auch. Ich mache es nur in Situationen und zu Zeitpunkten, die sowieso „verlorene Zeit“ sind. Meine Duschkabine ist von außen mit Lernzusammenfassungen zugeklebt, die ich somit jeden Morgen beim Duschen in aller Ruhe durchgehen kann. Im Supermarkt höre ich mir über meinen MP3-Player Vorlesungsinhalte an, die ich mir vorher daheim am PC eingesprochen und zusammengeschnitten habe. Dieselben Tracks kann ich mir dann auch beim Joggen reinziehen. Allein durch solche Methoden gewinne ich pro Woche viele Stunden Zeit, in denen ich dann problemlos meinen Hobbys nachgehen kann, ohne dass das Studium irgendwie vernachlässigt werden muss.
Wie wichtig ist eine positive Resonanz der Freunde und der gesamten Umwelt, um seine Lernziele zu erreichen?
Das Feedback aus dem nächsten Umfeld ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits tut Anerkennung immer gut, andererseits übt die eigene Peer Group teilweise auch einen negativen Einfluss auf dich aus – zum Beispiel wenn die typischen Partygänger sozialen Druck auf dich ausüben und dich dafür schelten, dass du überhaupt etwas lernst. Die Ziele einzelner Leute im Studium sind sehr unterschiedlich. Am besten ist, man schließt sich mit Leuten zusammen, die dieselben Ziele verfolgen, wie man selbst. Dann ist man in der Lage, sich gegenseitig zu pushen und zu motivieren!
Lieber Andy, vielen Dank für das Gespräch!
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