Das Christentum unterscheidet zwischen sieben leiblichen und sieben geistlichen Werken der Barmherzigkeit. Sie sind Ausdruck der Nächstenliebe und sollen uns zu den Notleidenden hinführen. Wird ein Werk der Barmherzigkeit, wie etwa Hungernde zu speisen, tatsächlich einmal in den Alltag eingebaut, können die Dimensionen groß sein.

Kürzlich war ich auf einer Veranstaltung, bei der etwas Kuchen übrig blieb. Als hungrige Studentin durfte ich die Kuchenreste für mein Wohnheim und mich mitnehmen und so fuhr ich mit der S-Bahn glücklich bis zu meiner Haltestelle in München. Von dort aus sind es einige hundert Meter bis zu meinem Wohnheim, wobei ich meinen Nachhauseweg über eine mittelgroße, aber sehr belebte Fußgängerzone gehen kann.
Als ich an meiner Station ankam, entschied ich mich für eine Übung: Ich wollte das aus der christlichen Tradition stammende leibliche Werk der Barmherzigkeit „Hungernde speisen“ (Mt 35,37) in die Tat umsetzen, da mir an den Werken der Barmherzigkeit viel liegt. Am U-Bahn-Aufgang saß sogleich ein Mann, der die Münchner Obdachlosenzeitung BISS verkaufte und sich mit einem Bauarbeiter unterhielt. Ich bot zunächst ihm, dann dem Bauarbeiter ein Stück Kuchen an und zauberte ihnen damit ein freudiges Lächeln ins Gesicht.
Danach fuhr ich mit der Rolltreppe hoch ins Freie, wo die Fußgängerzone unmittelbar beginnt. Ich musste nur einige Meter weit gehen, bis ich den nächsten Mann sah, der arm zu sein schien und dem ich ein Stück Kuchen übergab. Wieder ein Lächeln. Ein paar Schritte weiter kam mir eine ältere Frau entgegen, die ebenfalls einen bedürftigen Eindruck machte. Auch sie erhielt ein Stück Kuchen. Das nächste Lächeln. Wiederum einige Schritte weiter begegnete ich einem hageren Mann, der sich so über den Kuchen freute, dass ich ihm ein zweites Stück gab. Strahlende Augen.
Kurz danach hielt ich einem weiteren, ärmlich aussehendem Mann ein Stück Kuchen entgegen, aber er lehnte höflich ab. Trotzdem ein freundlicher Blick. Schließlich kam ich an eine Stelle, an der ein Obdachloser sein Hab und Gut hinterlassen hatte, aber selbst gerade nicht anwesend war. Zu seinen Sachen legte ich ein weiteres Stück Kuchen und stellte mir vor, wie er sich wohl darüber freuen würde. Ich war überzeugt: Abermals ein Lächeln.
Um zu meinem Wohnheim zu gelangen, musste ich bald rechts abbiegen und die Fußgängerzone verlassen. Und da merkte ich: Ich, ich selbst strahlte am meisten. Meine Freude war riesengroß. War es mir doch gelungen in nicht einmal zehn Minuten und keine 400 Meter weiter zahlreiche „Hungernde“ mit einem Teil meiner Kuchenresten zu „speisen“ und ihnen dadurch eine kleine Freude zu bereiten.
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