Sieben Uhr, die Messe beginnt. Der Kopf des zierlichen Mannes, der vorne steht und predigt, ragt gerade noch so aus dem grünen Gewand. Es ist ein schöner Morgen – die Sonne scheint. Ihre Strahlen, die durch die prunkvoll bunten Kirchenfenster fallen, spiegeln sich auf der Glatze des kleinen Mannes. Sie tanzen umher wenn er den Kopf bewegt. Weiße Plastikstühle sind vor dem Altar aufgereiht. Sie erinnern an ein Straßencafé. Die Stimmung auch. Alles ein bisschen unscheinbar. Dabei ist es Desmond Mpilo Tutu, der vorne steht und spricht: Friedensnobelpreisträger und Freund von Nelson Mandela. Für sein Engagement im Kampf gegen Apartheid wurde Desmond Tutu 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Zehn Jahre lang war er Erzbischof des Erzbistums Kapstadt. Seit 2003 ist er Botschafter einer Entwicklungshilfsorganisation. Doch vor knapp drei Jahren, an seinem 79. Geburtstag, zog sich Tutu von allen öffentlichen Aufgaben zurück. Bis auf den Freitagsdienst. Diesen führt er seit Jahren fort. Für die Touristen.
Die St. Georges Kathedrale in Kapstadt, Südafrika, ist an diesem Morgen gut gefüllt. Sie liegt am Eingang zum Companies Garden, der grünen Lunge der Stadt. Desmond Tutu begrüßt jeden persönlich zum freitäglichen Gottesdienst. Viele der Anwesenden sind Touristen, die Tutus Freitagsdienst zu einem der Highlights ihres Urlaubs zählen. Nur wenige Einheimische haben sich in die anglikanische Kirche verirrt. Die verschiedenen Gruppen werden aufgefordert, sich einander vorzustellen. Das solle zunächst einmal das Gemeinschaftsgefühl stärken bevor es mit dem Gottesdienst richtig losgeht.
„Ich komme immer mal wieder hier her, um am Gottesdienst teilzunehmen“, erzählt eine ältere Frau. „Heute habe ich meinen Enkel dabei. Er sieht Kirchen ansonsten eher selten von innen“, fügt sie noch hinzu und legt dabei ihren Arm um die Schultern des Jungen, der neben ihr steht. Er schaut beschämt zu Boden. Ein bisschen, als würde er eine negative Reaktion erwarten. Doch Tutu freut sich. Er freut sich über jeden der Besucher, stellt Rückfragen und zeigt ehrliches Interesse an den einzelnen Schicksalen, die während der kleinen Vorstellungsrunde erzählt werden. Manche Kirchengänger umarmt er wie alte Freunde. Er ist bemerkenswert ruhig, auffällig offen, strahlt Geborgenheit aus. Das zieht sich durch den gesamten Gottesdienst. Als es zum „der Friede sei mit dir“ kommt, reicht man sich nicht die Hand – man umarmt sich. Es ist, als wolle Desmond Tutu sicherstellen, dass alle der Anwesenden Südafrika ein bisschen mehr lieben. Denn wenn es schon die Einheimischen nicht tun, dann wenigstens die Touristen.
Vor den Türen der St. Georges Kathedrale warten zahlreiche Journalisten auf Tutu. Manchmal, wenn es zwischen den Gebeten ganz still wird, kann man sie von draußen rufen hören. Sie wollen Fragen stellen. Unangenehme Fragen. Irgendein Protest wurde für die kommenden Tage angekündigt. In Südafrika dauere alles länger als irgendwo anders. Das nervt. Vor allem die Einheimischen. Baugenehmigung, Firmengründung? „That’s gonna take for ever“, sagen sie. Aber was hat Desmond Tutu damit zu tun? “Keine Ahnung”, sagt einer der wartenden Journalisten “der regelt hier doch irgendwie alles.“
Tutu ist bekannt, gilt als Mann für Alles. Auch, weil dem aktuellen Präsidenten, Jacob Zuma, nicht gerade Willenstärke nachgesagt wird. Viele sehen in Tutu den zweiten Nelson Mandela. Sie seien vom gleichen Schlag. Das hört man hier oft. Schließlich waren sie auch gut befreundet, so was färbt ja ab mit der Zeit. Bevor Tutu am Ende des Gottesdienstes aus der Kirche tritt und sich den gespannt wartenden Journalisten stellt, verabschiedet er sich mit den Worten: „We’re all who we are and we become what we receive.“ („Wir sind, wer wir sind, und wir werden, was wir empfangen.“) Dann tritt er hinaus ins gleißend helle Sonnenlicht.
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