Unsere Autorin Frieda spricht mit Tobias* über seine Pornografiesucht und das Ausleben besonderer Neigungen. Welche Erfahrungen er machte, was ihn mit der Zeit aufrüttelte und wie er einen Ausstieg wagte, davon berichtet er nachfolgend.
Dieser Artikel handelt von Süchten und seelischen Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende des Artikels findest du mögliche Hilfsangebote.
*Name wurde von der Redaktion verändert
Lieber Tobias, es gibt Zeiten in deinem Leben, die maßgeblich von der Pornosucht bestimmt waren. Willst du erzählen, wie das Ganze begonnen hat?
Das Ganze begann ziemlich spektakulär für mich, als ich mit ungefähr zehn Jahren eine Pornozeitschrift in einer Garage fand. Das übte eine Faszination für mich aus. Es war, als öffnete sich ein breites, magisches Tor, durch das ich unbedingt ziehen wollte. Niemand musste mir dazu etwas erklären. Es kam mir wie ein Spieleland mit geheimen Botschaften vor.
Wie ging es dann weiter?
In meiner Jugend tauschte ich mich mit Freunden darüber aus. Wir zockten viel am Abend, tranken Alkohol und die Steigerung der Berauschung war die sexuelle Komponente mit Pornofilmen.
Das heißt, ihr habt euch regelmäßig getroffen und Gefallen daran gefunden.
Ja, genau. Ich habe aber auch meinen eigenen Weg gesucht, weil mir das Ganze mit den Freunden irgendwann zu langweilig wurde. Ich erinnerte mich an eine weitere Faszination, die ich aus meiner Kindheit kannte. Das war der Nervenkitzel, wenn Frauen Männer dominieren und diese zum Beispiel fesseln oder erniedrigen. Das habe ich in Filmen gesehen.
Hast du die Faszination für das Dominieren später ausgelebt? Und wenn ja, wie?
Ich war schon immer technisch versiert und kannte mich schnell im Internet aus. So fand ich die richtigen Anlaufstellen. Mir waren eher sporadische, professionelle Angebote nicht wichtig. Ich suchte jemanden, der am Ausleben dieser besonderen Neigung im Alltag interessiert war und fand ein paar Frauen, die dominieren wollten und ich war sozusagen deren Untertan.
Wie läuft dann so eine Beziehung ab?
Wir haben zu Beginn vertraglich festgelegt, wo für uns beide die Grenzen liegen und was wir miteinander erleben wollen. Meistens fanden unsere Treffen über Videoaufnahmen oder per SMS statt.
Wie hast du dieses Zusammensein erlebt?
Von Anfang an konnte ich mich kaum losreißen von diesen starken Gefühlen an Kontrollverlust, Erniedrigung und Angst. Das hat mich erfüllt und mich meinen anstrengenden, oft lieblosen Alltag vergessen lassen. Es war wie eine Mission für mich.
Ist das nicht paradox, wenn man erniedrigend behandelt wird?
Zum einen basiert das Zusammensein schon auf Regeln und auch auf Vertrauen. Zum anderen war es auch so, dass ich meinen Platz im Leben nicht mehr suchen musste. Meine Identität war der Untertan. Das gab mir Sicherheit, genau zu wissen, wie ich behandelt wurde. Ich erwartete keine Liebe oder Achtung. Außerdem erregte mich die Erniedrigung.
Nimm mich bitte da nochmal hinein, was für dich daran so erregend ist.
Durch die Erniedrigung entstand für mich ein großer Ozean an Möglichkeiten, was als Nächstes passieren wird. Das war immer ein Nervenkitzel. Es hat mich zutiefst befriedigt, dass jemand so Kontrolle über mein Leben übernommen hat. Ich kann das bis heute nicht richtig erklären. Das war wie ein Eigenleben. Wie ein spannender Krimi, den man bis zum Ende lesen will, um sich wieder zu beruhigen.
Kam das Ende des Krimis?
Nein, das war der Knackpunkt. Der Gipfel der Befriedigung kam nicht und ich überlegte fieberhaft, wie ich endlich zur Ruhe kommen konnte. So ließ ich erstmals den Gedanken zu, mehr über mein Leben nachzudenken. Ich erstellte eine Liste, in der ich aufschrieb, wie diese Sucht sich auf mich und mein Umfeld auswirkte und welche Konsequenzen daraus folgten.
Welche Konsequenzen sind dir eingefallen?
Ich konnte kaum mehr meine Schulzeit bewältigen und später meine Arbeit verrichten. Ständig kreisten meine Gedanken um die nächste Befriedigung. Ich sehnte mich nach Nachrichten von der Domina. Wird sie mir schreiben? Wird sie mich mit Ignoranz bestrafen? Ich war innerlich unruhig und sprunghaft. Es fiel mir schwer, mich auf meine Freunde im realen Leben einzulassen. Ich wusste gar nicht, wie „schöne“ Beziehungen aussehen können. Alles in allem plagte mich auch ein schlechtes Gewissen, weil ich christlich aufgewachsen bin und wusste, dass dieses Ausleben meiner besonderen Neigung nicht gut war.
Bist du dann abrupt ausgestiegen?
Mit der Zeit haben meine Ängste überwogen und die Konsequenzen erschienen mir zu heftig im Vergleich zum Nutzen davon. Meine heutige Frau hatte mich zu diesem Zeitpunkt auch vor die Wahl gestellt: entweder sie oder die Domina.
Das heißt, deine Freundin wusste darüber Bescheid?
Ja, an meinem Verhalten war klar, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte und ich wollte es auch nicht mehr leugnen, dass ich ein Problem hatte.
Wie hast du den Ausstieg erlebt?
Auf der einen Seite fühlte ich mich leer und musste mein Leben neu sortieren und ordnen lernen. Zum anderen war ich froh, eine klare Entscheidung für einen Ausstieg getroffen zu haben. Trotzdem blieb die Unbefriedigung und ich versuchte, erst einmal das Erlebte zu verdrängen.
Gab es Hilfsangebote, an die du dich wenden konntest?
Ich habe mich nicht getraut, nach Hilfe zu suchen. Das ganze Thema war sehr schambehaftet für mich und ich wollte zunächst mit niemandem darüber sprechen. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt selbst nicht einordnen, warum meine Gefühle so Achterbahn fuhren und ich innerlich nie zur Ruhe kommen konnte. Da war auch immer diese große Angst, von meiner Freundin verlassen zu werden.
Kamen da später noch Erkenntnisse und Einsichten?
Ja. Ich nehme mich als schüchterner, in sich gekehrter Mann wahr. Eigentlich möchte ich nur geliebt, angenommen und anerkannt werden. Ich habe viel Liebe bei Frauen gesucht und gelegentlich Ablehnung erfahren. Damit konnte ich nicht umgehen. Ich kam mir zutiefst wertlos und verlassen vor. Vielleicht ist es auch das innerliche Bild eines einsamen Jungens, der nirgendwo richtig dazu gehört. Und aus dieser Vorstellung heraus versuchte ich, den Frauen in weiteren Beziehungen alles recht zu machen. Aus dieser Abhängigkeit heraus entwickelte ich kein gesundes Selbstbewusstsein.
Aber mit der Domina erlebt man erneut diese Wertlosigkeit, oder?
(lacht) Ja, genau. Das ist wie eine Wunde, die nie heilt, aber kitzelnde, befriedigende Ströme aussendet bei einer Reaktivierung. Aber dadurch, dass unser Kontakt vorwiegend über Internetplattformen stattfand, überwand ich schneller meine Schüchternheit und konnte mich zwangloser verhalten, um erste Kontakte zu knüpfen. Das gefiel mir gut und ich fühlte mich wertvoller, zum Beispiel auch, weil eine Domina mich dominieren wollte.
Wie denkst du heute über das Thema der Wertigkeit?
Es fällt mir gelegentlich noch schwer, mich als vollwertigen Menschen zu betrachten mit einer Daseinsberechtigung und einer Menschenwürde. Durch bestimmte Trigger-Erlebnisse komme ich an den alten, eigentlichen Schmerz der Ablehnung und des Verlassen-Seins. Da fällt es mir manchmal noch schwer, meine aufziehenden Gedanken zu sortieren. Auch die aufkeimenden Gefühle anzunehmen, ist schwierig. Aber ich reflektiere mehr über die Auslöser und verstehe mich selbst besser. Das ermutigt mich, meine eigene Identität zu entdecken und mich mit meinen Grundbedürfnissen zu beschäftigen.
Möchtest du anderen Betroffen eine Botschaft zukommen lassen?
Ich bin meinen Weg gegangen und mich hätte niemand aufhalten können in meiner Pornografie- und Dominasucht. Daher versuche ich es erst gar nicht, dich aufhalten zu wollen, falls du auch Betroffener bist. Ich möchte dir lediglich ein paar Gedanken mitgeben: Erfüllen dich Pornos wirklich? Was suchst du darin? Welche Konsequenzen hat die Sucht auf dein Leben? Hast du im „realen“ Leben tragfähige Beziehungen? Weißt du, dass du geliebt, angenommen und wertvoll bist?
Vielen lieben Dank, Tobias, für den offenen und ehrlichen Einblick in einen Teil deines Lebens. Alles Gute für deinen weiteren Heilungsweg!
Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Suchtberatungsstellen, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
Emons
Ein Hinweis für Betroffene und deren Angehörige: Hilfe bietet diesbezüglich auch die Beratungsstelle für Verhaltenssüchte in Berlin an. https://verhaltenssucht-berlin.de/