„Ja, mit der Fratze lässt es sich doch leben!“ Alexander von Hagelstein, begutachtete noch einmal zufrieden sein fein geschnittenes Gesicht im Rückspiegel eines gemieteten schwarzen Cabrios, das in seinem Motor mehr als 300 Pferdestärken versammelte, die genau wie ihr Fahrer nur darauf warteten, dem gleich zusteigenden jungen Mädchen zu imponieren. Der Preis für diese Imponiersucht: 500 Euro am Tag. Er richtete sich noch einmal seine dunkelblonden Haare, frisiert im gerade so modernen „Out of Bed“-Look – leider reichte für diese mühselige hergerichtete Frisur nicht nur das Aufstehen aus dem Bett. Er rutschte nervös hin und her auf den pechschwarzen Schalensitzen aus feinstem Nappaleder, wofür locker eine ganze Schafsfamilie dran glauben musste.
Wie oft hatte er das nur schon gemacht, hübsch anzusehende, vornehmlich blonde junge Mädchen mit einem Leihwagen abgeholt und sich in die pure Ekstase des sich bietenden Nachtlebens auf dem urbanen Rummelplatz gestürzt. Irgendwer trug ihn irgendwann in den Morgenstunden immer in seine Penthouse-Wohnung zurück, bloß bedanken bei dem modernen Samariter konnte er sich nie: Weil er sich an rein gar nichts mehr erinnern konnte. Nein, heute sollte es anders werden, er war ja schließlich schon seit zwei Jahren volljährig und ein ernst zu nehmender Student der Volkswirtschaftslehre im 1. Semester an einer der teuersten Privatuniversitäten des Landes. Eine gewisse Reife müsste sich ja schließlich nun auch bei ihm entwickeln. Wie lange diese aufrichtigen Vorsätze wohl halten würden? Er versuchte aus dem Cabrio zu steigen um seine abendliche Begleitung aus ihrer WG abzuholen, bloß auch das entwickelte sich zu einer Tortur und das, obwohl er diese galante Bewegung doch schon so oft geübt hatte: Das aus-dem-Cabrio-steigen-ohne-die-Tür-zu-öffnen.
„Hey Alex, du bist ja pünktlich!“, lächelte ihn seine blonde Begleitung für diesen Freitagabend an. Ja, sie sah gut aus, sehr gut sogar. Die Pailletten auf ihrem engen Top spiegelten das gelbliche Licht der Straßenlaterne, der schwarze Minirock direkt darunter schien das Licht dagegen förmlich zu verschlucken – ein betörender Kontrast. Ein wahrlich optisches Prachtexemplar. Leider sah es nicht so prächtig in ihrem Kopf aus, aber anregende Gespräche waren in einem Club so unwichtig, wie gute Kopfnoten bei einem Sitzenbleiber. Wenn er doch nur endlich auf ihren Namen kommen würde. Er hatte sie auf einer Party eines Kommilitonen angetroffen, in der kurzen Periode, in der er noch nüchtern war kennengelernt und versprochen ihr seine Handynummer zu geben. Am anderen Morgen sah er eine neue Nummer auf seinem mit dem Familienwappen versehenen Smartphone, blöd nur, dass dazu kein Name eingespeichert war. Nun ja, der Abend war ja noch lang genug, um dem paillettenbesetzten Wesen den Namen zu entlocken.
Sie stiegen in die schwarze Flunder, doch diesmal benutzte Alex sicherheitshalber die Tür zum Einsteigen. Die Sache mit dem gemieteten Sportwagen schien mal wieder zu funktionieren, er sah es in ihren Augen, die mit ihrem Top um die Wette funkelten. Da er eine über mehrere Sätze gehende Kommunikation mit dieser Person sowieso für sinnlos hielt, ließ er lieber den Motor für sich sprechen. Seine aufrichtigen Vorsätze für den vor ihnen liegenden Abend verpufften durch die vier Endrohre des Cabrios. Er drehte auch das Radio auf und satte Beats, das Rauschen des immer noch angenehm warmen Windes an diesem tropischen Freitagabend im Juli, vereinten sich mit dem wummernden Motorsound zu einer wahrlich testosterongetränkten Symbiose. Es ist, als gäbe Peter Fox im Radio Alex Gedanken wieder: „Süße mach dich schick, ich hol dich in fünf Minuten ab. Wollen wir Betten rocken im Ritz? Die Präsidentensuite nehmen? Bis es qualmt und die Bettpfosten in die Knie gehen?“
Alex parkte das Auto mit seiner für ihn noch namenlosen Begleiterin auf einem leeren und verlassenen Innenhof, inmitten von heruntergekommen Häuserschluchten. Das bis eben noch deutlich zu vernehmende Motorgebrüll verstummte durch einen kurzen Schlüsseldreh und die bedrohliche Musik der urbanen Realität begann zu erklingen: Irgendwo schienen hysterisch kreischende Katzen ihr Gebiet zu verteidigen, Flaschen klirrten schrill auf den sommerwarmen Asphalt und eine wimmernde Frauenstimme wechselte sich mit einer aggressiven Männerstimme ab. Das flackernde und summende Licht einer efeubewachsenen Straßenlaterne machte die Szenerie nicht gerade angenehmer. „Vielleicht doch das Auto umstellen?“, dachte sich Alex für einen kurzen Moment „Ach was, von hier geht’s am schnellsten zum Club; und außerdem, das Auto ist bei Schäden vollkaskoversichert!“
Bloß hatte er in seiner mittlerweile unbändigen Lust auf eine vom Neonlicht eingenommene, zu lauten Beats und einem wummernden Bass wild tanzende Menge in einem der angesagtesten und teuersten Clubs der Stadt vergessen, dass sein Körper nicht vollkaskoversichert war. Sie stiegen aus dem Auto aus und plötzlich sah Alex drei dunkle Schatten, welche sich bedrohlich vor ihnen an einer von der Straßenlaterne bestrahlten Häuserfassade auftürmten. War er doch etwas zu optimistisch gewesen? Alex war ein Angsthase, ein elender Angsthase. Nun schien ihn die brutale Seite der Realität eingeholt zu haben, aber warum denn gerade heute? Auf einmal durchbrach ein „Na, wen haben wir denn da?“ die Stille.
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