Samstag, 3. Juli 2010. Cape Town Stadium, 16 Uhr. Auf dem Rasen läuft das Viertelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Argentinien und Deutschland. Ein begeistertes Brummen von Vuvuzelas legt sich über die Arena und die deutsche Mannschaft demontiert mit ihrer neu entwickelten modernen Spielweise Messi, Higuain und Co. Am Ende heißt es 4:0 für das Team von Joachim Löw. Das Stadion ist ausverkauft.
Seitdem ist in und um die Arena Ruhe eingekehrt. Das neue Wahrzeichen Kapstadts, es liegt idyllisch in der Nähe des Ozeans, ist schon von Weitem zu sehen. Daher verirren sich zwar ab und zu einige Touristen hier her, zu einem Zuschauermagneten hat sich das Stadion seit der Weltmeisterschaft allerdings nicht mehr entwickelt. Der heimische Erstligist Ajax Cape Town trägt seine Spiele im Cape Town Stadium aus. Die Premier Soccer League (PSL), also die höchste südafrikanische Spielklasse, hat von der WM-Euphorie aber nicht viel abbekommen.
Leere Ränge in den Stadien
Dabei kann man es schon als Topspiel bezeichnen, wenn Ajax Cape Town das Team der Mamelodi Sundowns aus Pretoria empfängt. Es spielen schließlich der Club vom Kap, der finanziell von Ajax Amsterdam aus den Niederlanden unterstützt wird, gegen den südafrikanischen Rekordmeister, der in der Saison 2013/14 die Meisterschaft zum sechsten Mal gewinnen konnte. Beide Vereine treten an diesem regnerischen Tag im September mit den Ambitionen an, in dieser Saison oben mitzuspielen und bereits am zweiten Spieltag gegen einen starken Gegner ein Zeichen zu setzen.
Ajax gelingt es mit einem 1:0-Heimsieg – den Erfolg sehen aber gerade mal 4.000 Menschen live im Stadion. Dem Stadion, in das über 64.000 Zuschauer passen und das von außen durch seine weiße Ummantelung so elegant wirkt. Innen kommt Bewegung in die Arena, denn die Farben der Sitze sind so gehalten, dass riesige Wellen durch das Stadion schwappen – sichtbar werden sie nur an einem Abend wie diesem, an dem die Plätze zum größten Teil leer bleiben.
Dabei kosten die Karten für europäische Verhältnisse lächerlich günstige drei Euro. Moritz Kossmann, ein Deutscher, der schon im Kindesalter nach Südafrika ausgewandert ist, sitzt an diesem Abend im Stadion und glaubt, den Grund für die niedrigen Zuschauerzahlen zu kennen: „In Südafrika ist vor allem die taktische Schulung der Spieler sehr schlecht. Der Größere und Stärkere gewinnt eben – besonders schön anzusehen ist das nicht. Das Spiel hier von Ajax und den Sundowns hat für mich das Niveau der deutschen Dritten Liga. Daher schauen die Südafrikaner lieber europäischen Fußball im Fernsehen, anstatt ins Stadion zu gehen.“
Ein paar Wochen später, derselbe Ort. „Bafana Bafana“, die Nationalmannschaft Südafrikas, spielt im Cape Town Stadium um die Qualifikation für den Afrika Cup 2015. Mit Nigeria gibt sich an diesem Abend der vermeintlich stärkste Gruppengegner die Ehre – am Ende wird das Stadion zur Hälfte gefüllt sein. Die Euphorie um „Die Jungs“, was Bafana Bafana übersetzt bedeutet, ist spürbar abgeebbt seit der WM. Auch, weil sich eine Karte für umgerechnet etwa zehn Euro viele farbige Menschen nicht leisten können. Und vor allem diese sind es, die an diesem Abend den Weg ins Stadion finden. Die weiße Bevölkerung interessiert sich eher für Cricket oder Rugby.
Die seit der WM sehr geringe Stadionauslastung hat an allen Spielorten dafür gesorgt, dass sich die Betreiber heute andere Wege einfallen lassen müssen, um die Kosten zu decken. So kann man für umgerechnet drei Euro auf den Bogen über dem „Moses-Mabhida-Stadion“ in Durban hochfahren, um einen Blick über die Stadt am Indischen Ozean zu werfen. Es ist schon etwas surreal. Vor einem erstrecken sich die Hochhäuser an der gut besuchten Strandpromenade, Einheimische und Touristen tummeln sich am Strand und etwa 100 Meter unter den eigenen Füßen liegt er ruhig da – der Rasen, auf dem Deutschland das Halbfinale der WM gegen Spanien verlor. Andere Stadien, wie zum Beispiel das „Soccer City“-Stadion in Johannesburg, versuchen die Zuschauer mit Konzerten zahlreicher Weltstars zu locken. Und wieder andere muss der Steuerzahler mit finanzieren.
Materielle Verluste, immaterielle Gewinne
Die Herde „weißer Elefanten“, wie die überflüssigen Bauwerke genannt werden, hat offiziell rund 1,4 Milliarden Euro gekostet. Viel Geld für ein Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Ökonomen berechneten nach der WM, dass man dieses Geld hätte nutzen können, um Häuser für 300.000 Menschen zu bauen. Auch in die Busse, Flughäfen und Straßen wurde viel investiert. Allein das Bus-System in Kapstadt kostete rund 380 Millionen Euro – immerhin ist dieses bis heute in Betrieb. Der Bau-Boom brachte zwar temporäre Arbeitsplätze mit sich, diese verschwanden aber nach der Weltmeisterschaft auch wieder, sodass weiterhin eine Massenarbeitslosigkeit von bis zu 40 Prozent herrscht.
Auf finanzieller Ebene gab es allerdings auch einen Gewinner: Die FIFA. Rund drei Milliarden Euro Gewinn konnte der Weltverband einstreichen, bei der letzten WM in Brasilien waren es sogar noch ein paar hundert Tausend mehr. Den Gastgebern kam davon so gut wie nichts zugute. Wirklichen Gewinn erzielte Südafrika wohl nur in Sachen Image und weltweitem Ansehen. „Es war toll, dass sich mein Land repräsentieren konnte“, sagt Bernd Steinhage, ein Südafrikaner, der während der WM als Dolmetscher und Touristen-Führer arbeitete. „Ich konnte Touristen zeigen, was Südafrika ausmacht und sie waren alle begeistert. Hoffentlich kommen sie irgendwann einmal wieder zurück.“ Vorurteile, die vor dem Turnier gegenüber dem afrikanischen Kontinent herrschten, konnte das Land so zum größten Teil abbauen. Es gab kaum nennenswerte Zwischenfälle und die Stadien wurden rechtzeitig fertig. Die weißen Elefanten werden aber wohl in naher Zukunft nicht noch einmal so mitreißende Spiele und Zuschauer-Massen erleben, wie beim 4:0 von Deutschland über Argentinien.
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