Vielleicht ist das Teleobjektiv, das sich Wolfgang Birkenstock vergangenen Mai gekauft hat, sein letztes. Denn selbst im Foto-Journalismus zeichnet sich mittlerweile ein kritisches Bild ab: Frisst die Digitalisierung ihre Kinder? Unser Autor über die Entwicklung im Foto-Journalismus.
Die Zeit bestimmt unser Leben. Alles muss schneller sein, schneller funktionieren, als noch vor einigen Jahren. In der Zwischenzeit haben auch wir gelernt, schnell zu sein, haben uns angepasst. Dafür haben wir einen hohen Preis bezahlt: Wir können nicht mehr warten, können uns keine Zeit mehr nehmen, können Dinge weniger gut in Relation setzen. Doch trotzdem heißt es, dass alles noch schneller werden muss. Aber wollen wir das überhaupt? Schadet es nicht unserer Arbeit? Schadet es nicht sogar uns?
Der Journalismus ist infiziert
Es ist eine Entwicklung, die auch auf den Journalismus zutrifft. Auch hier kann man sich diese Fragen stellen. Ein treffendes Beispiel, wie schnell auf gute Arbeit verzichtet werden kann, weil wir keine Zeit mehr haben, ist die Arbeit der Foto-Journalisten. Das sind übrigens meistens die Männer, die mit ihren High-Tech-Spiegelreflexkameras zum Beispiel am Rande verschiedener Veranstaltungen anzutreffen sind. Auch und besonders im Sport. Eigentlich sind sie immer dabei, und doch kennt kaum jemand ihren Namen. Trotzdem können sie etwas ganz Besonderes: Einen Moment einfangen; die Zeit sozusagen stillstehen lassen. Doch selbst deren Technik hat den Zweck, Zeit zu sparen, schneller zu sein. Zeit also, die sie für ihren Job normalerweise benötigen würden.
Denn auch Foto-Journalisten sind – wie der Name schon sagt – Journalisten. Allerdings haben die Fotografen ihren Notizblock und ihren Stift gegen die Kamera eingetauscht. Das Ziel ist das gleiche: Sie wollen und sollen qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Arbeit, für die man eigentlich Zeit benötigt. Zeit um Motive auszuwählen; Zeit um Bilder zu bewerten, sie zu bearbeiten; Zeit um Bilder einordnen zu können. Diese Zeit gewährt den Fotojournalisten das Leben nur noch selten. Besonders in den USA. Zuletzt ist es die Chicago Sun-Times, eine der ältesten Zeitungen in Nordamerika, die alle angestellten Fotografen entlässt. Darunter ist auch John H. White, der noch 1982 mit dem Pulitzerpreis für Foto-Journalismus ausgezeichnet wurde. Eine Arbeit, die heute scheinbar keinen Arbeitsplatz mehr verdient, da die Technik zu fortschrittlich ist. Die Smartphone-Fotografie reicht heutzutage qualitativ aus, spart darüber hinaus Kosten ein. Dagegen kommt auch der beste Fotograf kaum an.
Der Vorteil der Sportfotografen
Die Sportfotografen haben hingegen noch einen kleinen Vorteil. Zur Zeit reicht die Brennweite, der Autofokus oder auch die Lichtempfindlichkeit der Smartphones nicht aus, um passable Sportfotos zu machen. Die „Fotoathleten“ leisten eine Arbeit, die noch unverzichtbar ist. So präsentieren sie Menschen in ständig veränderten Situationen. Zeigen, wie Sportler gegeneinander antreten, wie sie leiden, wie sie sich freuen, zeigen deren Emotionen. Sie präsentieren Menschen, die sich ständig verändern. Physisch und psychisch. Sie können die Entwicklung der Menschen festhalten, sie einfangen. Noch.
Die negative Entwicklung und die damit verbundene Problematik kennt auch der Kölner Sportfotograf Axel Kohring. Trotzdem hat er es gewagt und erst vor kurzer Zeit die Agentur „Beautiful Sports“ gegründet. „Es ist eigentlich widersinnig“, gibt er zu. „Aus dem anfänglichen Wunsch, meine Tochter bei sportlichen Aktivitäten zu fotografieren, ist jedoch eine Leidenschaft entstanden; ein zweiter Full-Time-Job“, erklärt Kohring. Dafür nimmt er sich Zeit; sehr gerne sogar. Es ist bedauerlich, dass auch seine Zukunftsprognose trotz seiner Begeisterung negativ ausfallen muss: „Ich gebe der Sportfotografie – zumindest in der Form, in der wir sie heute kennen – noch etwa fünf Jahre.“ Nichtsdestotrotz ist er heute gerne Sportfotograf. Er mag es, Szenen aus dem Sportlerleben festzuhalten und über die Kamera mit den Sportlern zu interagieren. Nie vergessen wird er zum Beispiel die Paralympics 2012 in London: „Im Fotografengraben zu stehen und Bilder zu machen, wenn 80.000 Menschen die Nationalhymne einer englischen Sportlerin singen, das ist schon großartig. Auch deswegen bin ich gerne Sportfotograf.“ Kohring weiß, dass es etwas vollkommen anderes ist, wenn ein Journalist beispielsweise nach einem Interview oder während eines Fußballspiels schnell ein Foto mit seinem Smartphone schießt: „Dieses Foto wird der Sache nur schwer gerecht und dennoch macht es einen Foto-Journalisten fast überflüssig.“
Die Schmerzfreiheit der Zeitungen ist „erschreckend“
Ähnlich sieht dies auch der freie Journalist und Sportfotograf Wolfgang Birkenstock aus Aachen. Auch für ihn bedeutet Qualität, sich auch mal Zeit zu nehmen. Längst hat er bemerkt, dass der Anspruch an die Fotos – besonders im Lokalen – rückläufig ist. „Die Schmerzfreiheit mancher Zeitungen ist manchmal schon erschreckend“, stellt Birkenstock fest. Warum das so ist? Das ist eine gute Frage, denn sie ist nicht ganz so leicht zu beantworten. Eine naheliegende Erklärung könnte sein, dass es mit dem Foto-Journalismus wie beim Menschen selbst ist: Im Alter werden die Grenzen enger. Immer öfter müssen wir uns entscheiden, was wir nicht tun. Nur so können wir die Zeit für das nutzen, was uns am wichtigsten ist. Dummerweise ist dies nur allzu häufig die Zeitersparnis selbst. Alles muss schnell gehen, muss zudem billig sein. Darunter leidet der Foto-Journalismus und bald vielleicht auch ebenso deutlich die Sportfotografie.
Beide Fotografen, Kohring und Birkenstock, wissen, dass die bekanntesten Bilder eher Tod und Gewalt und weniger Sport zeigen. Trotzdem sehen auch sie sich ihre Motive gerne an und erkennen selbst darauf, dass vielen Menschen einfach die Zeit fehlt. Sogar die Zeit sich zu freuen. Auch im Sport. Kohring ist fassungslos: „Oft freuen sich Jugendliche nicht mal über über einen deutschen Meistertitel. Ich habe da keine Erklärung für. Diese Zeit sollte man haben, sie sich nehmen.“ So wie er sich die Zeit nimmt, die Aufnahmen der Sportler bestmöglich zu bearbeiten.
Die Glaubhaftigkeit leidet
Beiden ist bewusst, dass die Fotografie schwieriger geworden ist, „vielleicht auch an Ansehen verloren hat“, gesteht Kohring. Es sei nicht nur einfacher geworden, Bilder via Facebook, Twitter und Co. schneller zu verbreiten, sondern es sei auch einfacher geworden, sie zu manipulieren. Darunter leide die Glaubhaftigkeit und nicht zuletzt auch die Sponsorensuche für zum Beispiel Charity-Projekte, die Kohring ganz besonders am Herzen liegen.
Die Zeit vergeht schnell, schwindelerregend schnell. Daher kann vielleicht auch die Sportfotografie in wenigen Jahren am Ende sein. Wie gesagt: Vielleicht ist das Teleobjektiv, das sich Birkenstock vergangen Mai gekauft hat, sein letztes. Und trotzdem werden Birkenstock und Kohring mit voller Leidenschaft weiter auf der Suche nach neuen aussagekräftigen wie emotionalen Motiven sein. Sie wollen den Foto-Journalismus bzw. die Sportfotografie am Leben erhalten. Solange es nur irgendwie geht. Der Grund dafür ist einfach nachzuvollziehen: Niemand kann so leicht die Perspektive auf das Leben wechseln, wie ein Foto-Journalist – wie ein Momente-Einfänger.
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