Nicht blutsverwandt – und doch eine Familie! Die Südtiroler Schwestern Sarah und Katharina Zöggeler verbindet eine ganz besondere Geschichte, nämlich ihre Familie. Dass sie nicht blutsverwandt sind, macht für sie keinen Unterschied. Dass sie sich nicht ähnlich sehen wie andere Geschwister ebenfalls nicht, denn Sarah wurde als Baby adoptiert. Wir durften von ihnen erfahren, wie sie als Adoptivgeschwister gemeinsam auf- und zusammengewachsen sind.
Sarah (24) wurde nach 10 Jahren kinderloser Ehe adoptiert, 5 Jahre später machte sich dann wie durch ein Wunder doch noch ein leibliches Geschwisterchen auf den Weg. Katharina (19) kam zur Welt und zwei Jahre später noch Bruder Jonas. Heute arbeitet Sarah als Sozialpädagogin in zwei Wohngemeinschaften für Behinderte und kann so sogar beruflich viel von der Liebe weitergeben, die sie selbst auch erfahren durfte.
Wie haben die beiden Schwestern ihre Kindheit erlebt und was denken sie heute zum Thema Adoption? Wir durften ihnen einige Fragen stellen…
Sarah, wie alt warst du zum Zeitpunkt deiner Adoption und weißt du etwas über die Umstände rund herum?
Ich war drei Wochen alt, als ich zur Adoption freigegeben wurde, kann mich also an nichts erinnern. Meine Eltern haben mir aber schon von klein auf gesagt, dass ich nicht „aus Mamas Bauch kam“ – mit Geschichten und Büchern haben sie es mir erklärt. Doch so richtig verstanden habe ich das erst mit sieben oder acht Jahren, als ich zum ersten Mal meine leibliche Mutter kennengelernt habe. Sie hat mir auch vorher schon in einem Brief geschrieben, warum sie mich nicht bei sich behalten konnte. Sie hat es nicht böse gemeint. Das war für mich wichtig, zu verstehen.
Es ist ja eine Besonderheit, dass du durch Zufall deine leiblichen Eltern kennenlernen konntest – in Italien ist das eigentlich nicht vorgesehen – wie denkst du heute darüber?
Eigentlich ist es nicht so gut, dass das so gehandhabt wird. Es ist total wichtig, zu wissen, wo man herkommt – es gehört ja doch zu einem dazu, selbst wenn es nur um die Information geht. Meine leibliche Mutter kennenzulernen, war eine wichtige Erfahrung. Erst dann konnte ich besser begreifen und verstehen. Beim Treffen selbst war ich zwar schüchtern, aber wir haben uns die Zeit drum herum Briefe geschrieben. Das hat mir Frieden gegeben über die Umstände.
Ab dem Tag ging es mir besser. Davor hatte mir innerlich irgendwie etwas gefehlt, habe wohl als Kind oft grundlos geweint – das wurde damit besser. Meinen leiblichen Vater habe ich einmal gesehen, aber da war von beiden Seiten nicht so das Interesse da.
Hat dich manchmal der Gedanke beschäftigt, wie es gewesen wäre, wenn du bei deinen leiblichen Eltern aufgewachsen wärst?
Ab und zu, aber nicht oft – es ist mir ja gut gegangen. 😊
Katharina, du als jüngere Schwester – konntest du dich gut in Sarah hineinversetzen, wie es ihr wohl ging?
Bei uns war Adoption einfach ein ganz normales Thema. Deshalb würde ich behaupten, musste ich mich nicht viel hineinversetzen, habe es aber auch bisher noch nicht so versucht. Es ist schwierig, wenn man es nicht selbst erlebt hat.
Hattest du auch die Möglichkeit, Sarahs leibliche Mutter kennenzulernen?
Ein paarmal, das fand ich fürs „Gesamtbild“ ganz schön, wenn man den Überblick hat.
Sarah, du hast im Rahmen deines Studiums in Erziehungswissenschaften eine Abschlussarbeit zum Thema “Adoption” geschrieben – welche neuen Erkenntnisse kamen dir dabei?
Ich konnte vieles aus eigener Erfahrung bestätigen und fand es interessant, dass es sogar Forschungen dazu gibt. Was mich überrascht hat, war, wie viele Kinder auch sagen, dass es für sie sehr wichtig war, ihre Wurzeln kennenzulernen. In Italien ist es fast unmöglich, einen Kontakt aufzubauen – von beiden Eltern her, in Deutschland gibt es verschiedene Arten von Adoption. Und: je jünger die Kinder sind, umso leichter ist es, eine Bindung aufzubauen.
Habt ihr manchmal auch erlebt, dass andere der Adoption kritisch gegenüberstanden?
Sarah: Von den Erwachsenen haben sich vielleicht manche gewundert, dass es so funktioniert, weil es nicht selbstverständlich ist, dass man sich als Geschwister versteht. Andere Kinder in der Schule haben mal was Blödes gesagt und mich spüren lassen, dass ich irgendwie anders bin – aber daheim war alles normal und deswegen hat es für mich trotzdem gepasst.
Katharina: In der Oberschule habe ich mal ein Essay darüber geschrieben – als ich es der Klasse vorlesen sollte, meinte jemand: „Ja, aber dann ist sie ja eigentlich nicht wirklich deine Schwester!“ – das hat mir schon weh getan, weil sie ist meine Schwester, auch wenn’s genetisch vielleicht nicht hundertprozentig passt. 😊 Das war das erste Mal, dass mich jemand damit so konfrontiert hat.
Angesichts der Zahlen ungewollter Schwangerschaften müsste es doch eine klare Überzahl an Kindern geben, die zur Adoption freigegeben werden, oder nicht? Es ist ja ein krasses Unverhältnis, wie „einfach“ ein Schwangerschaftsabbruch im Vergleich zu einer Adoption sein kann…
Katharina: Ich finde es total schade, dass das Thema “Adoption” in solchen Fällen so selten in Betracht gezogen wird. Dass man anderen Eltern nicht eine Freude schenkt. Ich denke, das liegt daran, dass so wenig darüber aufgeklärt und die Möglichkeit nicht angeboten wird.
Zweifel, Ängste, Fragen: Wenn Familien sich eine Adoption überlegen, aber schon leibliche Kinder da sind, könnte es sein, dass sie sich sehr viele Gedanken darüber machen, ob Neid durch Ungleichbehandlung aufkommen würde, und ob das Kind gut in die Familie hineinfindet. Was würdet ihr ihnen raten?
Sarah: Ich glaube, es ist schwierig, wenn man beides hat – wird zum Beispiel dem Adoptivkind zu viel Aufmerksamkeit gewidmet, könnte eine ungute Stimmung aufkommen. Weil unsere Eltern nie einen Unterschied gemacht haben, ist es für uns ganz normal, dass jeder angenommen ist. Ich glaube, dass ich als Baby adoptiert wurde, war deshalb besonders wichtig.
Katharina: Ich glaube auch, dass es schwierig sein könnte wegen der Bindung. Aber das wäre für mich kein Grund, einem Kind nicht eine Familie zu schenken. Mit viel Einsatz und Aufwand ist das alles machbar, denn selbst der beste Freundeskreis kann eine gute Familie nicht ersetzen!
Wie steht ihr selbst zum Thema “Adoption”? Wäre das auch etwas für euch, die ihr es selbst miterlebt habt?
Sarah: Wenn ich selbst keine Kinder bekommen könnte, würde ich gern eines adoptieren. Und auch so: Vielleicht kann ich mich ja gut hineinversetzen. Ich selbst bin so froh, dass ich die Möglichkeit hatte, in diese Familie hineinzukommen. Mama und Papa zu haben, ist wichtig für ein Kind und für dessen Entwicklung.
Katharina: Ich grundsätzlich auch, aber vielleicht eher nicht, wenn ich selbst die Möglichkeit habe, Kinder zu bekommen…
Habt ihr noch ein abschließendes Statement?
Sarah: Leider beziehen viele eine Adoption gar nicht in Betracht – es ist weniger ein Gesellschaftsthema und kommt einem deshalb vielleicht so fremd vor und deshalb würde man es nicht machen. Man hört einfach zu wenig darüber. Die Mama sagt das immer so selbstverständlich und die Leute bewundern sie dafür. Klar ist es am Anfang schwierig, aber es gibt ja auch die positiven Erfahrungen – man darf den Blick nicht nur auf das Schwierige legen.
Katharina: Dass die Menschen mehr Mut zur Adoption aufbringen könnten, das wäre cool😉
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