Beim Thema „Abtreibung“ streiten wir zumeist über den Beginn des Lebens, das Schmerzempfinden des Embryos oder das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Ein wichtiger Aspekt wird dabei nahezu immer vergessen: Menschen wollen nicht einfach nur leben, sie wollen gewollt sein.
In seinem Werk Beschreibung des Menschen definiert Hans Blumenberg den Menschen als das „gewollt sein wollende Wesen“. In einer säkularisierten Welt, die in ihrer Existenz zufällig und zunehmend sinnentleerter erscheint, ist es für das einzelne Individuum tröstlich, zumindest selbst kein Zufall zu sein. Moderne Verhütungsmethoden ermöglichen heute eine bessere Familienplanung als noch vor 60 oder 70 Jahren. Wir sprechen heute häufiger von „Wunschkindern“.
Was ist ein Wunschkind?
Ein Wunschkind ist ein gewolltes Kind. Das bedeutet, dass seine Eltern den Sexualakt mit dem Ziel der Zeugung eines neuen Menschen ausgeübt haben. Demgegenüber stehen Kinder, deren Zeugung bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs nicht beabsichtigt war, beispielsweise weil die Einnahme der Pille vergessen wurde. Wenn der zwar ungewollt gezeugte Mensch geboren wird, bleibt er zumindest das nicht abgelehnte Kind. Einige Eltern werden nun entgegnen, ihr zwar unbeabsichtigt gezeugtes Baby, sei trotzdem gewollt und ein absolutes Wunschkind.
Damit wird suggeriert, wir hätten es nur mit einem sprachlichen Problem zu tun. Doch auch wenn wir Paaren zugestehen, dass ebenfalls eine im Geschlechtsakt nicht beabsichtigte Zeugung zu einem Wunschkind führen kann, so bleibt doch ein qualitativer Unterschied zwischen gewollter und ungewollter Zeugung. Mit dem Ausdruck „qualitativ“ soll an dieser Stelle keinesfalls eine Wertung in besser oder schlechter vorgenommen werden.
Was aber hat das alles mit Abtreibung zu tun?
Es gibt Menschen, die nicht das Glück haben, trotz ihrer Entstehung aus einer ungewollten Schwangerschaft von ihren Eltern als gewollt und gewünscht angenommen zu werden. Da es auch keine metaphysische Zusicherung mehr gibt, dass es besser ist zu sein als nicht zu sein, also dass vielfach das Argument des Gewolltseins durch Gott nicht mehr zieht, stehen solche Menschen vor existenziellen Fragen. Für sie ist die Antwort auf die Frage „Warum bin ich?“ nicht automatisch: „Weil meine Eltern mich wollten.“
Obwohl ich menschlich von Elon Musk nicht viel halte, hat er doch einst eine intelligente Bemerkung hinsichtlich seiner Kinder gemacht: „Meine Kinder haben nicht entschieden, geboren zu werden, ich habe entschieden, Kinder zu haben. Sie schulden mir nichts, ich schulde ihnen alles.“ Genau das ist der springende Punkt: Eltern haben die Aufgabe, ihr Kind mit seiner Existenz zu versöhnen. Es ist ein Recht jedes Menschen, bejahen zu dürfen, dass er lebt.
Vorsicht vor gesellschaftlichen Stigmatisierungen
Hinsichtlich der Abtreibungsfrage heißt das, dass jede Frau oder – sofern es eine gemeinschaftliche Entscheidung ist – jedes Paar überdenken muss, ob es schafft, den neuen Erdenbewohner mit seiner Existenz zu versöhnen. Das bedeutet unter anderem, dass die Frau oder eben die Eltern aktiv „ja“ zu dem Kind sagen.
Für viele Paare ist eine ungewollte Schwangerschaft kein Drama und Abtreibung damit kein Thema, bei einer Sechzehnjährigen sieht das schon ganz anders aus und bei einer Vergewaltigung sowieso. Damit in solchen Härtefällen die Frau die für sie und ihr werdendes Kind richtige Entscheidung treffen kann, gilt es zudem, eine gesellschaftliche Stigmatisierung von Abtreibung abzubauen. Denn eins ist am Ende Fakt: Keine Frau macht sich eine solche Entscheidung leicht.
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