Ein handgeschriebener Brief lässt sich nicht durch einen einfachen Mausklick löschen. Briefe gelten als Brücken zwischen Gestern und Gegenwart, oft als Nachlass einer geliebten Person. Werden unsere Enkel irgendwann einmal unsere Emails lesen oder hat die Maus das Papier bald ganz gefressen?

Brieffreundschaften werden heutzutage als umständlich angesehen, als unnötiger Zeitaufwand, schließlich kann man auch einfach eine Mail schicken oder eine Nachricht bei Facebook senden. Der digitale Kommunikationsweg ist nicht nur schneller, sondern vielleicht auch effizienter, schließlich kann man Bilder in Sekundenschnelle um den halben Globus schicken, Sprachnachrichten aufnehmen und versenden. Es scheint, als biete das Internet vielfältigere Möglichkeiten, sich anderen mitzuteilen, als ein Brief. Ein handschriftlicher Brief, vielleicht drei, vier Seiten lang, mühsam mit Tinte geschrieben, an einem Schreibtisch, bedeutet mindestens 30 Minuten Zeitaufwand. Dann noch eine Briefmarke und wo ist eigentlich der nächste Briefkasten? Weronika und ich trafen das erste Mal am 25. Mai 2011 aufeinander. Schon einige Wochen zuvor erfuhren die Teilnehmer des Polenaustausches den Namen ihres Partners und via Facebook war dieser auch nur noch einen Mausklick entfernt. Weronika und ich chatteten, wir tauschten uns über unsere Familien aus, hauptsächlich aber schrieben wir über den bevorstehenden Besuch der polnischen Schüler in Deutschland.
Die Triebfeder einer Brieffreundschaft
An jenem Nachmittag im Mai bereiteten wir deutschen Schüler in der alten Bibliothek unserer Schule einen kleinen Empfang vor. Gespannt warteten wir auf unsere Austauschschüler, die eine zwölfstündige Busreise aus dem Süden Polens bis in den Westen der Bundesrepublik hinter sich hatten. Dementsprechend müde sahen ihre Gesichter aus, als sie endlich ankamen. Die Sonne schien von Westen durch die hohen Fenster der alten Bibliothek, es war mittlerweile schon später Nachmittag. Während des einwöchigen Besuchs unternahmen wir gemeinsam Ausflüge nach Köln und Bonn, wir fuhren mit Weronika an den Nürburgring, sie ist großer Formel-1- und Sebastian Vettel-Fan. Zu dieser Zeit hielten sich ihre Deutschkenntnisse in Grenzen, abgesehen von “Guten Morgen” , “Gute Nacht” und “Wie geht es Dir?” unterhielten wir uns auf Englisch.
Eine Woche nach dem Besuch der Polen flogen wir nach Krakau, um unsere Austauschschüler in Skawina, einer kleinen Industriestadt im Süden Polens zu besuchen. Meine Gastmutter Stanisława und mein Gastvater Stanisław nahmen mich herzlich in ihrem Haus auf, eine Woche lang konnte ich die polnische Gastfreundschadt genießen. Die Mahlzeiten wurden immer gemeinsam am großen Eichentisch im Wohnzimmer eingenommen, dabei wurde viel und schnell geredet, auf mir unbekanntem Polnisch. Nach dem Austausch hielten Weronika und ich über Facebook Kontakt. Wir schrieben uns manchmal einfach so, aber immer hatte man das Gefühl, nichts zu erzählen zu haben, zumindest nichts, was der andere nicht schon sowieso durch jegliche Posts wusste. Schließlich schrieben wir uns nur noch zum Geburtstag und zu Weihnachten. Also – sind Tinte und Papier wirklich von gestern?
Post! Analog!
Es ist ein Samstag, Anfang April, mein 17. Geburtstag. Neben Glückwunschkarten von Freunden und Verwandten befand sich in unserem Briefkasten noch ein weißer Umschlag, der sich von den anderen insofern unterschied, als dass unter meiner Adresse in dicken Blockbuchstaben “GERMANY” stand und oben rechts in der Ecke eine rosa-gelbliche, polnische Briefmarke klebte. Ich riss den Umschlag voller Spannung auf und hielt eine polnische Geburtstagskarte in der Hand, die mit einem fliederfarbenen Blumenmotiv bedruckt war und in einer geschwungenen Schrift die Worte “Spełnienia marzeń” trug, was auch immer das heißen mochte. Ich freute mich wahnsinnig über die Geburtstagskarte, auch wenn sie schlicht und ergreifend einfach nur die Worte: “Alles Gute zum Geburtstag! Deine Weronika” enthielt. Ich freute mich darüber, dass sich Weronika die Mühe gemacht und mir handschriftlich geschrieben hatte, dazu noch auf Deutsch. Sie hätte mir auch einfach bei Facebook ein “Happy Birthday” auf die Pinnwand posten können.
Wer schreibt, der bleibt
Seit unserer letzten Konversation war bis zu der Geburtstagskarte einige Zeit vergangen und ich entschloss mich, ihr in einem Brief zu antworten, mich für die nette Geste zu bedanken und ihr zu erzählen, was in den vergangenen Monaten und Wochen alles passiert war. Zu dieser Zeit machte ich gerade meinen Führerschein und ein Termin für die praktische Prüfung stand bereits fest. Ich erzählte, wie aufgeregt ich war und erkundigte mich, ab welchem Alter man in Polen Auto fahren darf. Ich erzählte von dem bevorstehenden Sommerurlaub in Italien und in ihrem Antwortbrief berichtete sie mir, dass sie schon immer mal nach Italien reisen wollte und sie bat mich, ihr von dort eine Postkarte zu schreiben, was ich dann auch tat. Seit letztem Sommer besucht Weronika eine neue Schule und ist froh, schnell Anschluss gefunden zu haben. Sie teilt sich ein Zimmer mit Natalia, Aga und Justyna, am Wochenende besucht sie ihre Familie zu Hause in Skawina.
In unseren Briefen tauschen wir uns über die Schule, den Alltag, über unsere Lieblingsbands, unsere Freunde und Familie aus. Dinge, die wir uns so ausführlich niemals über das Internet schreiben würden. Zu Ostern lag wieder ein Brief mit polnischem Absender in unserem Briefkasten. Eine Karte, bedruckt mit einem Hasenmotiv, Ostereiern und den geschriebenen Zeilen: “Liebe Katharina, viele Ostergrüße und ganz viel Spaß bei der Eiersuche. Dir und Deiner Familie ein frohes Osterfest, wünscht Weronika.” Nach dem Lesen der Karte fiel mir siedend heiß ein, dass ich ihren letzten Brief noch nicht beantwortet hatte. Ich nahm mit vor, gleich morgen zurückzuschreiben. Es gibt viel zu erzählen.
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