Tarzan ist voll von Klischees. Aber hinter dem Musical “Tarzan” und dem berühmten Disneyfilm steckt mehr. Hier gibt´s Antwortversuche. Und aufgepasst: Ein anderer ist der heimliche Held in Tarzan.
Tarzan ist echt cool: stets gelassen, frei, selbstbestimmt, dabei stets positiv, mutig, menschlich. So will man leben. Mit so einem könnte man auch an der Bar sitzen und einen alkoholfreien Caipirinha schlürfen und man würde sich irgendwie gut in seiner Anwesenheit fühlen.
Zwei Welten – Eine Familie?
Das Musical “Tarzan” in Stuttgart hat es schon zu Beginn in sich: Ein heftiger Blitzeinschlag, Schiffsbruch, eine dramatische Rettungsaktion aus dem Meer, der Tod von Tarzans Eltern durch ein wildes Tier, die rührende Hilfe von Affenmutter Kala – Wow: Mit den ersten fünf Minuten wäre der Plot für den neusten Kinofilm bereits fertig. Aber so einfach ist das nicht: Tarzan spürt, er lebt in “zwei Welten”: Der Tierwelt und der Menschenwelt. Irgendetwas passt nicht, ist er nun Gorilla oder nicht?
Tarzan ist anders als die anderen. Er wächst als „Affe ohne Fell“ auf, fühlt sich wie ein Fremdkörper. Es plagt ihn der Wunsch nach Anerkennung, nach Liebe und nach Toleranz trotz Ungleichheit. Auf der Suche nach sich selbst zerbricht Tarzan fast an der Abneigung seines Ziehvaters Kerchak, der ihm bis zu seinem Tod sogar die Rolle als Sohn abspricht. Es ist Tarzans Wunsch, zu einer Familie dazuzugehören, die ihm Sicherheit und Liebe geben kann. Den sicheren Halt gibt ihm vor allem sein Affenfreund Terk, bei dem sich Tarzan endlich so geben kann, wie er ist, ohne dabei Angst haben zu müssen, ausgeschlossen zu werden. Terk erhält wohl nicht umsonst ein eigenes Lied und singt: “Du brauchst einen Freund”. Er erkennt die Sorgen seines Freundes und verbringt Zeit mit ihm, auch mit dem Risiko, dadurch selbst zum Außenseiter des Rudels zu werden. Das stört ihn nicht.
Und Tarzan wäre nicht Tarzan, wenn er nicht gegen seine inneren Zwänge ankämpft, unterstützt von seiner Mutter und Terk, und sich seinen Rang erkämpft – durch Mut und Tapferkeit folgt er seinem Wunsch, einer von ihnen zu sein. Diese Themen sind zeitlos: Die fehlende Liebe und das verletzende Gefühl, ausgeschlossen zu werden. In Tarzan kommen die relevanten Wendepunkte auf, die uns auch im Alltag auf einer tiefsinnigen Ebene begegnen: Zum Beispiel die Frage, wann man noch Junge, wann man vielleicht schon Mann ist. Der Punkt im Leben, an dem man selbst Verantwortung übernehmen muss und die Frage nach der Aufgabe im Leben.
Zwischen Verzicht und Treue
Sein Wille bringt ihn weiter: Tarzan ist als erwachsener Mann ein anerkanntes Rudelmitglied, das sogar sein Ziehvater Kerchak trotz seiner Unterschiedlichkeit toleriert. Aber dann kommt etwas, gegen das er ebenso machtlos ist wie wir alle: Die Liebe. Seine Liebe zu Jane ist so stark, dass sie sogar das gefestigte System von Tarzan aufbricht. Jetzt braucht er Hilfe: Und Professor Porter, der Vater von Jane, ist für ihn da. Den hat man eigentlich gar nicht wahrgenommen. Man würde höchstens über ihn lachen: Er hat nach seinen vielfach misslungenen Expeditionen und Versuchen einfach nichts zusammengebracht.
“Hör auf Dein Herz”, sagt er. Jane ist seine Tochter und dadurch wichtiger als seine Karriere! Wer hätte heute den Mut, wie Professor Porter zu handeln? Und Jane? Der wurde plötzlich bewusst, dass sie sich in ihrem Leben nie sicherer gefühlt hatte als jetzt in den Armen dieses wilden Tarzans. Und das in der Wildnis: an einem Ort, an dem man nie nach Kontrolle und Selbstverwirklichung suchen würde. Professor Porter ist in der Musicalinszenierung auch derjenige, der Jane bestärkt und ihr die Antwort auf die zentrale Frage des Stücks gibt: „Es gibt keine unechten Familien.“ Und er ist derjenige, der im finalen Kampf zwischen Tarzan und dem Jäger und Widersacher Clayton den Schreckschuss abgibt und den Crew-Mitgliedern aufträgt, Clayton zu verhaften und mitzunehmen. Damit ist der Weg zum glücklichen Ende eingeleitet: Ein Hoch auf Professor Porter!
Das Musical als Superlative mit Schwachstellen
Tarzan ist ein Muskelspiel, eine Show der artistischen Superlative. Allein Gian Marco Schiaretti in der Figur des Hauptakteurs soll sich bis zu 80 Prozent in der Luft bewegen, 300 Flugeinsätze soll es insgesamt geben, und die Flugbahnen sollen bis zu 30 Meter lang sein, so das Programmbuch. Selbst auf dem Kopf und beim Schwingen durch die Luft wird weitergesungen. Übrigens: Für das Musical musste man sich extra eine Sondergenehmigung holen, da ein so schnell Auf- und Abschwingen in Deutschland normalerweise nicht erlaubt ist. Dadurch schwingen sich die Darsteller nicht nur rasant über die Bühne, sondern auch direkt über die Köpfe der Zuschauer. Gesungen wird ebenfalls die bekannten Lieder, auch wenn die musikalische Ohrwurm-Qualität darüber hinaus eher Mangelware bleibt. Neben Phil Collins´ Hits „Zwei Welten“, „So ein Mann“ und „Dir gehört mein Herz“ wirken die üblichen Lieder teils überflüssig, vor allem im zweiten Teil gibt es dramaturgische Leerstellen.
Was am Ende bleibt ist also weniger „Ohrwurm-Gewusel“, sondern mehr das Staunen über die Athletik. Und natürlich die Alternative, auch mal über den Alltagsbezug nachzudenken: Wer denn nun dieser Tarzan ist. Was er uns heute sagen kann und ob es mehr oder weniger Tarzan-Mentalität in unserem Zusammenleben im 21. Jahrhunderts braucht. Egal, mit welcher Intention wir an Tarzan herantreten: Es tut gut, zu wissen, dass mehr dahinterstecken könnte. Und dass Liebe und Ehrlichkeit auch nicht die Unterschiedlichkeit und den Wert einer Familie zerstören können. Frei nach Affenmutter Kala, die in der traurigsten Stunde Tarzan Trost schenkt und singt: „Hör auf zu weinen und nimm meine Hand. Halt sie ganz fest, keine Angst. Ich will Dich hüten, will Dich beschützen. Bin für Dich hier, keine Angst.“
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